Von Stephanie Uhlig
BERLIN (BLK) – Bereits mit siebzehn Jahren veröffentlichte Marie N’Diaye ihren ersten Roman in dem großen französischen Verlagshaus Les Éditions de Minuit. Mittlerweile sind es neun Romane, vier Theaterstücke, ein Drehbuch und diverse Kinderbücher, die die 1967 geborene Französin publiziert hat. Geprägt wurde sie dabei nach eigenen Angaben unter anderem von der Lektüre Marcel Prousts.
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Den schweren Weg vom literarischen Wunderkind zur preisgekrönten Autorin ist sie erfolgreich gegangen. Für ihren Roman „Drei starke Frauen“ erhielt sie 2009 sogar den Prix Goncourt – die höchste literarische Auszeichnung Frankreichs. In diesem Roman setzt sie sich auch erstmals mit ihrer afrikanischen Herkunft auseinander: Ihr Vater stammt aus dem Senegal und verließ die Familie, als N’Diaye noch ein Kind war. Wenn N’Diaye von Obsessionen spricht, die sie immer wieder umtreiben, Leitmotive, die in ihrem Werk immer wieder auftauchen, dann ist dieser geheimnisvolle und vor allem in seiner Abwesenheit präsente Vater ein Beispiel dafür.
N’Dayes Stil zeichnet sich vor allem durch ein klares, reines Französisch aus, das zugleich von einer sinnlichen, metaphernreichen Sprache gekennzeichnet ist. Sie schildert häufig den banalen Alltag von Durchschnittsmenschen, in den dann ein Hauch von Irrealität einbricht. Unter einer klaren Oberfläche verbirgt sich bei N’Diaye oft Rätselhaftes, geradezu Dämonisches. Sie schreibt gleichzeitig subtil und brutal.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung an diesem Dienstagabend (01.06.2011), die in der Villa am Wannsee, in der das Literarische Colloquium Berlin (LCB) seine Räumlichkeiten hat, stattfand, standen der semi-autobiografische Text „Selbstportrait in Grün“, der im Original bereits im Jahr 2005 erschien, sowie „Mein Herz in der Enge“ von 2008.
Marie N’Diaye hat eine bewegte Biografie – sie lebte sowohl in verschiedenen Städten in Frankreich als auch in Italien und mittlerweile sogar in Berlin. Welche Bedeutung haben die Orte, an denen sie lebt, für ihre Texte? „Sie sind eine Inspirationsquelle und eine Bereicherung für mein Schreiben. Wenn ich glaube, eine Inspirationsquelle erschöpft zu haben, dann mache ich mich auf an einen anderen Ort“, meint die Autorin. Dies zeigt sich deutlich in dem ersten Werk, das an diesem Abend besprochen wurde: Das Buch „Selbstportrait in Grün“ spielt im Südwesten Frankreichs und ist eine Auftragsarbeit, die innerhalb einer autobiographischen Reihe in Frankreich erschienen ist.
Mit dem Zwang, der mit dieser Arbeit verbunden ist, konnte die Autorin sich nur deshalb anfreunden, weil sie sich ein Spiel zwischen autobiographischer Wahrheit und Fiktion ausdachte. Es gibt eine Reihe Parallelen, wie z. B. die Bedeutung der Kinder für die Ich-Erzählerin und Autorin oder der identische Name des jeweiligen Ehemannes. Ansonsten handelt es sich aber auch in diesem Buch um eine fiktive Geschichte, in der die Protagonistin immer wieder sogenannte Frauen in Grün trifft, die nicht nur grüne Kleidung tragen und grüne Augen haben, sondern auch eine „grüne Persönlichkeit“. N’Daye assoziiert mit dieser Farbe Neugier und Faszination sowie eine gewisse Exzentrik.
„Die grünen Frauen sind eine Personifizierung der Garonne, die ein verführerischer und zerstörerischer Fluss zugleich ist und die für mich für Weiblichkeit schlechthin steht“, erklärt die Autorin. „Selbstportrait in Grün“ ist auch eine Darstellung von Erzählanlässen an sich. Die Autorin vergleicht den Entstehungsprozess des Textes in diesem Sinne mit dem eines Malers, der sich im Wasser spiegelt und aus diesem Spiegelbild heraus sein Selbstportrait malt.
Das zweite Buch, das an diesem Abend präsentiert wurde, war „Mein Herz in der Enge“. Auch dies spielt im Südwesten Frankreichs, im dunklen Bordeaux, und handelt von einem Lehrerehepaar, das ohne ersichtlichen Grund von seinen Schülern gemobbt wird. Auch hier ist es eine Alltagswelt, deren scheinbarer Frieden plötzlich durchbrochen wird, die N’Diaye feinfühlig schildert.
Mit Marie N’Diayes Texten setzt man sich mittlerweile auch wissenschaftlich auseinander; so zum Beispiel bei einem Colloquium in Mannheim, zu dem die Autorin selbst geladen war. Wie sie sich dabei gefühlt hat? „Ein wenig verlegen“, gibt sie zu. „Ich finde es wichtiger, mir als Autorin ein gewisses Maß an Naivität und Ungewissheit zu bewahren, sodass meine Texte nicht vorhersehbar oder konstruiert wirken.“ Dass sie dies durch ihre gleichzeitig klare und bildhafte Sprache erreicht, wurde an diesem Abend im LCB deutlich.