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Graphic Novel über den Massenmörder Haarmann

Die abscheulichen Taten des Fritz Haarmann nun als Comic

© Die Berliner Literaturkritik, 20.10.10

Von Güngör Öztürker

HANNOVER (BLK) - Ein Mann mittleren Alters stürzt sich auf sein Opfer, wirft es aufs Bett und versucht sich an ihm zu vergehen. Der junge Mann schreit vergeblich um Hilfe. Wie von Sinnen würgt der Ältere sein Opfer bis es stirbt. Der Täter hält kurz inne, zieht dem Toten das Hemd, die Hose und die Unterwäsche aus. Völlig entblößt liegt der Leichnam mit weitaufgerissenen Augen auf dem Boden. Der Mörder legt sich eine Schürze um und greift zu einer Axt. Doch bevor er zuschlägt, bedeckt er den Kopf des Opfers mit einer Tischdecke. Das Grauen hat einen Namen: Fritz Haarmann, der Massenmörder aus Hannover.

In den 1920er Jahren versetzte der als gemeingefährlich diagnostizierte Geisteskranke die Stadt an der Leine in Angst und Schrecken. Durch das unglaubliche Ausmaß an Brutalität und Grausamkeit ist der Kriminalfall Haarmann in die Kriminalgeschichte eingegangen. In der Zeit von Anfang 1923 bis Mitte 1924 gingen mindestens 24 Morde an Schülern, Lehrlingen und Wanderburschen auf das Konto des damals 45-Jährigen. In einem Comic stellen der Schriftsteller Peer Meter und die Zeichnerin Isabel Kreitz nun die Geschichte des Massenmörders auf 192 Seiten dar.

„Das Spannende an der Geschichte ist der Justiz- und Polizeiskandal zum damaligen Zeitpunkt“, sagt Meter. Eine Woche lang stöberte der 54-Jährige im Stadtarchiv Hannover in historischen Akten. So auch in einem umfangreichen psychiatrischen Vernehmungsprotokoll von Haarmann. Außerdem studierte Meter Aufzeichnungen über den Prozessverlauf von Theodor Lessing aus dem Jahr 1924. „Hätte es diese Aufzeichnungen nicht gegeben, wäre der Fall nie ans Tageslicht gekommen“, betont Meter. „Der Prozess wäre unter den Teppich gekehrt worden.“ Aus einer Mischung von Fakten, Ermittlungen und Gerüchten schreibt Meter das Szenario des spannenden, überaus brutalen Comics.

Der Comic soll die letzten Wochen vor der Verhaftung von Haarmann wiedergeben. Darin kommen das erste Opfer Friedel Rothe sowie das letzte Opfer Kurt Fromm vor. „Aus Respekt vor den Opfern ist die Vita von Rothe erfunden“, sagt Meter. Während er für das Szenario verantwortlich war, illustrierte die in Hamburg lebende Kreitz mit ihren Bleistiftzeichnungen die düstere und bedrückende Atmosphäre in Schwarz-Weiss. Mit Hilfe von sehr wenigen alten Fotos habe Kreitz die Zeichnungen zu Papier gebracht, sagt Meter. Das Buch wird offiziell am 4. November in der Polizeigeschichtlichen Sammlung in Hannover vorgestellt. Im Handel ist es bereits erhältlich.

Das schier Unglaubliche, dass auch im Comic wiedergegeben wird, ist, dass Haarmann von der Polizei zunächst gedeckt wurde. „Er ist unser bester Spitzel... und im Vertrauen: Er hat von mir einen Polizeiausweis erhalten“, sagt Kommissar Wilhelm Müller im Comic. Meter meint: „Wenn man gewollt hätte, hätte man ihn früher gefasst.“

Nachts soll der stadtbekannte Homosexuelle Haarmann den Bahnhof beobachtet haben. Er gab vor ein „Kriminal“, ein Polizist, zu sein und sprach immer junge Männer an, die alleine in den Wartesälen des Bahnhofs waren. „Als Kriminal habe ich nemich für alle jungen Männer Verantwortung, die ich hier auf'm Bahnhof antreff“, sagt Haarmann im Comic.

Der Satz klingt zynisch, wenn man bedenkt, dass er die jungen Männer in seine Wohnung lockte, dort über sie herfiel und bestialisch niedermetzelte. Im Comic verkauft Haarmann das Fleisch zum Schnäppchenpreis an die hungernde Bevölkerung. Was aber in der Realität mit dem Fleisch der Opfer geschah, konnte nach Angaben von Meter nie geklärt werden. Die Kleider der Männer verkauft Haarmann im Comic an Hehler. „Die Gesellschaft nutzte Haarmann aus“, sagte Meter.

Nach seiner Verhaftung gesteht Haarmann im Comic-Verhör 30 oder 60 Männer ermordet zu haben. „Ich will geköppt wern, dann hab ich endlich ruh“, fleht Haarmann einen Polizisten an. Was für ein Geisteskranker er war, verdeutlichen die Worte im Comic, als er in eine Gefängniszelle eingesperrt wird. „Den Kopp krich doch mit, nüch? Da hat mir einer erzehlt, der bleibt hier. Den muss ich doch mithaben! Sons bin ich nemich ohne Kopp im Himmel!“

Dem letzten Wunsch des Massenmörders wurde aber nicht entsprochen. Nach der Hinrichtung unter dem Fallbeil am 15. April 1925 wurde sein Kopf der Wissenschaft zur Verfügung gestellt. Der Schädel soll in der Rechtsmedizin der Göttinger Universität lagern.

 

Meter, Peer; Kreitz, Isabel: Haarmann, Carlsen, SW-Comic, 192 S., 19,90 €.


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