Von Stephan Maurer
FÜRTH (BLK) — Gerade begrüßt Intendant Werner Müller die rund 100 Besucher, die dicht gedrängt im Foyer des Stadttheaters Fürth stehen, zur Premiere, spricht in wohlgesetzten Worten über die Auseinandersetzung der Theatermacher mit jüdischen Autoren. Da springt einer der Besucher auf, erregt sich lautstark über die Verwendung des Begriffs „jüdischer Mitbürger“. „Er soll doch Jude sagen“, schreit der Mann. Andere schalten sich ein, widersprechen, eine heftige Diskussion entbrennt. Doch der scheinbare Eklat ist kalkuliert, er gehört zu dem Projekt „Jüdisch Jetzt“, das das Fürther Theater am Donnerstagabend (11.06.) als höchst ungewöhnliche Uraufführung präsentierte.
In einem mehrstündigen Rundgang wandern die Besucher, aufgeteilt in zwei Gruppen, vom Stadttheater durch die Altstadt zum Jüdischen Museum und zur Israelitischen Kultusgemeinde. An den Stationen, aber auch unterwegs in Innenhöfen, auf Treppen oder mitten in der Fußgängerzone, warten Schauspieler; zudem haben sich Mitwirkende unter das Publikum gemischt. So entstehen überraschende Spielszenen, spontane Dialoge und provozierende Diskussionen über die Frage, was überhaupt jüdisch ist und was es heute bedeutet, Jude zu sein; manch ahnungsloser Passant fragt sich verwundert, was denn hier „gespielt“ wird, oder er spielt sogar einen Moment lang mit.
„Wir gehen raus aus dem Theater, spielen im urbanen Raum, arbeiten mit ‚Experten des Alltags’“, so beschreibt Regisseur Christian Schidlowsky den „theatralen Streifzug“, den er zwei Jahre lang vorbereitet hat. Die Besucher sollen bewusst im Ungewissen darüber gelassen werden, was inszeniert und was spontan ist. „Auch ich weiß nicht genau, was heute passiert“, sagt der Regisseur.
Es passiert jedenfalls eine ganze Menge: In der Israelitischen Kultusgemeinde werden dem überraschten Publikum Matzenknödel serviert, während sich eine Fragerunde über koschere Küche entspinnt. Im Gewimmel der Fußgängerzone tritt ein „professioneller Versöhnungsjude“ auf den Plan und bittet um Spenden; im Jüdischen Museum diskutieren zwei Frauen über die Unterschiede zwischen orthodoxem und liberalem Judentum; und in einem Innenhof wartet ein Schauspieler und erzählt vom Schicksal jüdischer Einwanderer aus Russland. Die Aufführung klingt schließlich im Kulturforum aus, wo Biografien heutiger Juden vorgestellt werden.
Mit „Jüdisch Jetzt“ will das Theater nach Worten von Intendant Müller eine Lücke schließen: Während die Beschäftigung mit jüdischer Kultur, Literatur und Geschichte eine lange Tradition habe, sei die Auseinandersetzung mit dem heutigen jüdischen Leben im einstigen „fränkischen Jerusalem“ bisher ausgeklammert worden. Im 18. Jahrhundert galt die jüdische Gemeinde Fürth als einer der spirituellen Mittelpunkte des europäischen Judentums. Zu Beginn der Nazi-Diktatur 1933 lebten noch knapp 2000 Juden in der Stadt, von denen nur wenige den Terror überlebten. Anfang der 90er Jahre stand die jüdische Gemeinde kurz vor der Auflösung, doch heute zählt sie wieder rund 270 Mitglieder, überwiegend Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.