FRANKFURT AM MAIN (BLK) – Der Suhrkamp Verlag hat das Buch „Wir Lebenskünstler“ von Zygmunt Bauman im Dezember 2009 veröffentlicht.
Klappentext: Wie sollen wir leben? Worin besteht das Glück? In der flüchtigen Moderne wollen wir mit solchen Fragen am liebsten gar nicht behelligt werden. Wir wissen schließlich genau, worauf es ankommt: Mehr Geld heißt mehr Glück, und jeder einzelne ist für seinen Erfolg und sein Scheitern selbst verantwortlich. Zugleich stürzt uns die Frage in bodenlose Ratlosigkeit, denn worin wir morgen unser Glück erblicken werden, scheint völlig unvorhersehbar. Daß eine Orientierung trotzdem möglich ist, zeigt der große Essayist Zygmunt Bauman, indem er Klassiker der Philosophie auf ihre Botschaften für die unmittelbare Gegenwart hin abklopft. Wenn wir Heutigen, so sein Fazit, schon gezwungen sind, unser Leben als Kunstwerk zu betrachten, uns permanent zu verändern und neu zu definieren, dann können wir die Anleitungen der Moral und Ethik zwar ausschlagen, den Konsequenzen unseres Handelns aber trotz allem nicht entkommen.
Zygmunt Bauman, geboren 1925 in Posen, lehrte ab 1954 Soziologie an der Universität Warschau. 1968 ging er nach Israel. 1971 erhielt Bauman einen Ruf auf den Lehrstuhl für Soziologie an der University of Leeds, den er bis 1990 inne hatte. Bauman erhielt 1989 den Amalfi-Preis, 1998 wurde er mit dem Theodor-W.-Adorno-Preis ausgezeichnet. (olb/ros)
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Die Frage, mit der diese Einleitung überschrieben ist, wird vielen Lesern seltsam vorkommen. Das soll sie auch: Sie soll verwirren, zum Innehalten und Nachdenken zwingen. Zum Nachdenken worüber? Über die Tatsache, daß die Suche nach dem Glück unser Denken derart bestimmt und alles andere aus unserem Alltag verdrängt, dass wir – von ein paar kurzen, stets allzu flüchtigen Augenblicken abgesehen – kaum noch zum Luftschnappen, geschweige denn zu etwas anderem kommen. Und was macht die Frage so verwirrend? Die Tatsache, daß sie nach Mängeln des Glücks fragt, was so ähnlich klingt, als würde man nach der Hitze von Eis oder dem Gestank von Rosen fragen. Da Eis Hitze ausschließt und wir bei einer Rose an alles mögliche, nur nicht an Gestank denken, kommen uns solche Fragen unsinnig vor: Sie widersprechen sich selbst (was heiß ist, kann nicht gefroren sein und umgekehrt). Was soll denn am Glück, um Himmels willen, auszusetzen sein? Bedeutet Glück nicht gerade, daß man nichts auszusetzen hat? Daß es keinen Mangel mehr gibt? Daß alles, aber auch wirklich alles stimmt? Dennoch stellte der Soziologe Michael Rustin in einem Zeitschriftenartikel genau diese Frage,1 und er war weder der erste noch wird er vermutlich der letzte gewesen sein, dem sie Kopfzerbrechen bereitete. Er nennt auch den Grund dafür: Zweifellos würden, schreibt er, die westlichen Gesellschaften, deren Mitglieder unablässig auf Glückssuche sind, immer reicher, doch lasse sich nicht feststellen, dass sie dabei auch glücklicher würden. Es habe vielmehr den Anschein, als könne das Streben nach immer mehr Glück gerade das Gegenteil bewirken. Alle verfügbaren Untersuchungen deuteten darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen wachsendem Wohlstand – also der vermeintlich wichtigsten Voraussetzung des Glücklichseins – und der Zufriedenheit von Menschen in den wohlhabenden Gesellschaften nicht gebe. Dabei gilt genau dieser Kausalzusammenhang doch als ausgemacht, als die nachgerade grundlegendste aller Wahrheiten. Unsere Spitzenpolitiker werden nicht müde, ihn uns einzuschärfen – und wir, die wir ihren Versprechungen allzu gerne glauben, nicken dazu eifrig mit dem Kopf. Wie sie halten wir es für eine Tatsache, dass mehr Wohlstand auch mehr Zufriedenheit bedeutet. Deshalb wollen wir ja auch, dass sie mehr für uns tun, dass ihre Maßnahmen Erfolg haben, denn wir hoffen, dass sie zu einer Mehrung des verfügbaren Einkommens, unserer Liquidität und unseres Besitzes führen, dass sie dadurch unsere Lebensqualität steigern und dafür sorgen, dass wir glücklicher sind als zuvor. Praktisch alle Untersuchungen, die sich Rustin angesehen hat, kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass „die Steigerung des Lebensstandards in Ländern wie den USA oder England nicht nur nicht mit einer Steigerung, sondern sogar mit einer leichten Verschlechterung der subjektiven Zufriedenheit einhergeht“. Auch der amerikanische Politikwissenschaftler Robert E. Lane stellte fest, dass die Zufriedenheit der Amerikaner trotz der beispiellosen Einkommenszuwächse seit dem Zweiten Weltkrieg abgenommen hat.2 Und der englische Wirtschaftswissenschaftler Richard Layard zeigt anhand einer landesweiten Umfrage, dass die subjektive Lebenszufriedenheit zwar zunächst im Gleichschritt mit dem Bruttosozialprodukt steigt, dann jedoch, sobald Armut und unmittelbare Bedürftigkeit verschwinden und das essentiell „Lebensnotwendige“ zur Verfügung steht, zu stagnieren beginnt oder zumindest deutlich hinter den Anstieg des Wohlstands zurückfällt.3 Insgesamt weisen Länder, in denen das durchschnittliche Pro-Kopf-Jahreseinkommen zwischen
20.000 und 35.000 Dollar beträgt, nur geringfügig höhere Werte an Glück und Zufriedenheit auf als jene, in denen es unterhalb der Schwelle von 10.000 Dollar liegt. Die Strategie, das Glück der Menschen durch Einkommenssteigerungen zu mehren, geht offenbar nicht auf. Zugleich gibt es sehr wohl einen sozialen Index, der auf spektakuläre Weise mit dem Wohlstandsniveau Schritt hält, ja sogar so stark steigt, wie man das vom subjektiven Glücksempfinden erwartet und versprochen hat, nämlich die Kriminalitätsquote: Wohnungseinbrüche und Autodiebstähle, Drogenhandel, Bestechung und Korruption. Unvermeidlich greift damit auch das quälende, dem Glück eher abträgliche Gefühl der Unsicherheit um sich, einer diffusen, „atmosphärischen“ Ungewissheit, der wir überall begegnen, die sich anscheinend an nichts festmachen lässt, die unspezifisch bleibt und aus diesem Grund um so beunruhigender und beängstigender, unangenehmer und belastender ist.
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Literaturangabe:
BAUMAN, ZYGMUNT: Wir Lebenskünstler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 206 S., 14 €.
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