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„Meine Wildnis" von Peter Rock

Ein Roman über den zivilen Ungehorsam

© Die Berliner Literaturkritik, 16.05.11

ROCK, PETER: Meine Wildnis.  Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. DuMont Buchverlag. 240 S., 19,99 €.

Von Angelo Algieri

Unglaublich – 2004 wurde in der US-amerikanischen Stadt Portland im Staate Oregon ein Mann mit seiner 12-jährigen Tochter gefunden. Sie gaben vor, vier Jahre lang im Stadtpark gewohnt zu haben. Unglaublicher ist, dass die Tochter bei Schultests besser abschnitt als Gleichaltrige. Beide wurden daraufhin in einem Dorf untergebracht. – Doch alsbald entschwanden sie von dort. Diese wahre Begenbenheit griff der US-amerikanische Autor Peter Rock auf – entstanden ist der Roman „Meine Wildnis“. Der Autor, Jahrgang 1967, ist in Salt Lake City geboren, studierte in Yale und unterrichtete an der University of Pennsylvania sowie an der State University in San Francisco Englische Literatur. Rock veröffentlichte in den USA sechs Bücher, dabei ist „Meine Wildnis“ das erste Buch, das ins Deutsche beim Kölner DuMont Verlag erschienen ist.

Der Roman wird ausschließlich aus der Sicht der Tochter Caroline beschrieben. Sie ist im Roman 13 Jahre alt. Zunächst beschreibt sie ihre Gewohnheiten mit ihrem Vater im Stadtpark von Portland: Sie schlafen in einer getarnten Baracke, versuchen keine Spuren zu hinterlassen, der Vater gibt ihr Hausaufgaben auf und sie liest aus einer Enzyklopedie. Ein Mal im Monat gehen sie gut angezogen in die Stadt und heben Geld ab und kaufen das ein, was sie im Stadtpark nicht anbauen oder bekommen können.

Doch eines Sommertages, wird Caroline von einem Polizisten entdeckt. Daraufhin werden sie kurz ins Gefängnis gebracht. Es werden Untersuchungen angestellt. Caroline besteht den Schultest. Die Psychologin ist erstaunt, dass sie weiter ist als die gleichaltrigen Schulmädchen. Vater und Tochter werden in einem Dorf gebracht. Dort sollten sie sich an die soziale Gesellschaft gewöhnen – allerdings bleiben sie nicht lange und flüchten von dort. Eine kleine Odyssee beginnt – bis sie im Herbst bei Schneetreiben in den Rocky Mountains ankommen. Sie finden in einer Jurte Unterschlupf. Darin wohnt eine Mutter mit ihrem Sohn, die so wie sie, von der Gesellschaft in Abgeschiedenheit leben wollen. Doch nachdem Caroline mit dem Sohn gerodelt ist und zur Jurte zurückkam, war ihr Vater tot. Mutter und Sohn sind schnellstmöglich abgehauen. War es ein Unfall? Hat diese Frau ihn umgebracht? Die Fragen bleiben unbeantwortet. Caroline nimmt die Leiche mit sich und lässt sie in einer umliegenden Höhle „begraben“.

Autor Rock hätte spätestens ab diesem Zeitpunkt eine spannende und nachdenkliche Geschichte entwickeln können. – Stattdessen wird unnötigerweise Carolines Entführungsgeschichte eingeflochten. Auch wenn Caroline in ihrer naiven Sicht es nicht als Entführung erkennen möchte – selbst vier Jahre danach: als sie ihr Tagebuch sichtet. Mit 17 Jahren lebt sie weiterhin als „Einsiedlerin“ in den Rocky Mountains. Allerdings machte sie den Schulabschluss, strebt den Abschluss als Bibliothekarin an, arbeitet bereits als Hilfskraft in einer Bibliothek. Sozialen Kontakt pflegt sie nicht – wie einst ihr Vater.

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In seinem Roman zeigt Rock richtigerweise, wie das Zurückziehen aus der Gesellschaft nicht zwangsläufig zu einer Verdummung führen muss. Der Autor knüpft hier an die Philosophen und Schriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts. Allen voran Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) mit „Emile oder über die Erziehung“. In der Natur soll sich ein Kind entfalten und Erkenntnisse gewinnen, ohne von der Gesellschaft beeinflusst zu werden. Der andere Querverweis ist die der  Transzendentalisten, besonders der Essay „Nature“ von Ralph Waldo Emerson (1803-1882) sowie „Walden or Life in the Woods“ und „Civil Disobedience“ von Henry David Thoreau (1817-1862). Sie proklamierten u.a. eine einfache Lebensweise mit der Natur. Kern von Thoreaus Aussage ist aus Gewissensgründen das Recht zum zivilen Ungehorsam. Dieser zivile Ungehorsam spiegelt sich sehr deutlich beim Vater, der sich der staatlichen Autorität entzieht. Ja mehr noch: Er überträgt diese Haltung seiner Tochter.

Trotz der spannenden Themen, wie öffentliche gegen private Erziehung oder die Ausübung des zivilen Ungehorsams, langweilt dieser Roman. Der Autor versteht es nicht eine spannende, kantige Story zu erzählen. Zudem werden Themen wie etwa, dass der Vater Vietnamveteran oder dass die Tochter entführt worden ist, nicht weiter ausgebaut. Sie wirken plakativ. Er hätte sich ein Beispiel an seinem Landsmann David Vann nehmen sollen: Der eben bei Suhrkamp erschienene Roman „Im Schatten des Vaters“ erzählt, wie Vater und Sohn gemeinsam ihr Leben auf einer abgeschiedenen Insel verbringen wollen. Nach ein paar Wochen kommt es zum Selbstmord des Sohnes. Vann versteht es, aus dem Fund der eigenen wahren Begebenheit, den Leser zum Denken herauszufordern. Er hat, im Gegenteil zu Rock, aneckende und nachhaltige Literatur geschaffen. Rock hat indes seine Gelegenheit sträflicherweise verpasst – unglaublich!

Weblink: DuMont


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