Von Andreas Heimann
Eigenwillig war Sarah Kirsch schon immer – und eine, die genau hinschaut. In ihrer Lyrik spiegelt sich das wider und auch in ihren Tagebüchern. „Krähengeschwätz“ zeigt das ein weiteres Mal. Rechtzeitig zum 75. Geburtstag der Dichterin und Büchnerpreisträgerin am 16. April ist das Buch gerade in der Deutschen Verlagsanstalt erschienen. Es gibt Einblick in den Alltag der Autorin, aber auch in das Entstehen ihrer Lyrik. „Krähengeschwätz“ ist weder Nabelschau noch Selbstentblößung und gerade deswegen genauso angenehm zu lesen wie unterhaltsam.
Es versammelt Tagebuchnotizen aus den Jahren 1985 bis 1987, dazwischen auch eine Reihe von Gedichten aus dieser Zeit. „Krähengeschwätz“ ist auch ein Beleg dafür, wie sehr Sarah Kirsch sich im hohen Norden Deutschlands zu Hause fühlt. Aufgewachsen ist die Lyrikerin in Halberstadt und lebte später als Autorin in Ost-Berlin. Durch ihre Solidarität mit dem ausgebürgerten Wolf Biermann eckte sie bei der DDR-Regierung an und ging 1977 in den Westen. Seit langem lebt sie in Schleswig-Holstein. Wie stark die Landschaft unweit von Deichen und Nordseeküste sie geprägt hat, zeigt sich in ihrem neuen Buch immer wieder.
Die geografischen Konstanten dort sind keine Metropolen, sondern Dörfer wie Tielenhemme, Meggersholm und Tellingstedt. Sarah Kirsch notiert in ihrem Tagebuch kein pulsierendes Großstadtleben, sondern ländliche Idylle: Wolle färben gehört zu den regelmäßigen Beschäftigungen, Schlittschuhlaufen im Winter, die Geburt der Lämmer im Frühling. Der Tierarzt kommt zu Besuch, um den Kater zu kastrieren und den Esel zu entwurmen.
Und zum Einkaufserlebnis wird keine Shopping-Mall, sondern ein Laden für Landbedarf, wo es „die herrlichsten Kälberstricke, Schaufeln seltsamster Formen, Sensen und Sägen aus Schweden und fürchterliches Geschirr für die ländliche Küche“ gibt. Die kleine Welt, die Sarah Kirsch in ihren Tagebüchern beschreibt, wird auch dem Leser schnell sympathisch.
Als eine „Meisterin der Naturpoesie“ ist sie einmal gelobt worden. Und auch das bewahrheitet sich in „Krähengeschwätz“ immer wieder. Pflanzen und Tiere beobachtet die Autorin mit erstaunlicher Präzision: Die Pirole im Garten, die Blaumeisen, die Graureiher am Himmel, die blühenden Moorlilien genau wie den Kaktus in der Wohnung. Auch Beschreibungen der Landschaft haben bei Sarah Kirsch ihre eigene Poesie, selbst in den kurzen Tagebuchaufzeichnungen.
Aktuelle Politik und Zeitgeschichtliches bleiben im Hintergrund: Der Reaktorunfall von Tschernobyl und der Tod Heinrich Bölls beispielsweise tauchen nur in wenigen Zeilen auf. Aber es ist nicht so, dass etwas fehlen würde: Gerade für Leser und Leserinnen, die Sarah Kirsch seit langem schätzen, ist „Krähengeschwätz“ ganz sicher eine lohnende Lektüre.
Literaturangaben: KIRSCH, SARAH: Krähengeschwätz. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010. 175 S., 17,95 €.
Weblink: Deutsche Verlags-Anstalt