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Meisterin des Unausgesprochenen

Katharina Hartwells neues lesenswertes Buch:„Im Eisluftballon"

© Die Berliner Literaturkritik, 23.03.11

Von Armin Steigenberger

Es gibt Bücher, deren Texte gewinnen, je öfter man sie liest. Katharina Hartwells „Im Eisluftballon“ ist so ein Buch. Allein schon der Titel verheißt einiges und spielt aufgrund der prompt evozierten Assoziation zum Heißluftballon mit dem Gegensatz von Eis und heiß – der zwar nicht neu ist, dafür aber die ganze Bandbreite dazwischen in sich hat. Die zwölf Erzählungen haben es in sich. Und auch wenn der Grundtenor der meisten Erzählungen eher unterkühlt ist, so geht es doch ganz schön zur Sache; und was geschieht, ist nicht nur heiße Luft.

Schon bei der ersten Geschichte „Grashüpfer“ steht die abstruse Angst der Ich-Erzählerin vor kleinen Grashüpfern für etwas anderes. Die Grashüpfer existieren nur in der Fantasie, denn nur einmal habe sie einen „echten“ Grashüpfer gesehen.

„Wenn ich von den Grashüpfern erzählen will, wie sie von grellem Grün sind und kleine schwarze Augen haben, die einen gemein anschauen, sagt die Mutter: Denk mal an die Sarah. Die hat wirkliche Probleme.“ Worin diese Probleme bestehen, erfährt man nicht; auch nicht, wovor die Ich-Erzählerin eigentlich Angst hat. Lediglich der Name ihrer Freundin Sarah kann Indiz sein, muss aber nicht. Der Grashüpfer, der anwesend war, als Sarahs Vater gestorben ist und die Mutter völlig konfus war, wird zum übermächtigen Phantom bizarrer Ängste.

Ein Junge namens Sebastian will einen Roboter für die Unendlichkeit bauen. Auch dieser Roboter steht für etwas, vielleicht – denn der Junge kommt aus desolaten Familienverhältnissen und wirkt vernachlässigt. Eine andere Erzählung thematisiert die unaussprechliche Krankheit eines Kuriositätenladenbesitzers, über die niemand reden will: „Pauls Krankheit, verstehe ich, steckt im Kopf, im Herzen, nicht in den Lungen, in den Adern oder Knochen.“

Die Protagonistin und personale Erzählerin ist immer involviert, hat nicht den Überblick, hat vielmehr oft einen ähnlichen „Tunnelblick“ und macht aufgrund dieser verengten Perspektive Fehler. Diese Rollenprosa ist sympathisch und zieht sich durch alle Geschichten; oft gewähren sie Einblick ins Innenleben, auch wenn nichts wirklich ausgesprochen wird, wie beim Telefonat nach einem Blind Date mit dem Bruder einer Freundin, das beide etwas unterschiedlich erleben.

Hartwells Prosa ist, was ihre stilistischen Mittel angeht, geradezu minimalistisch. Die Geschichten kommen fast ohne Beschreibungen aus. Es werden zumeist keine Staffagen benötigt, keine Interieurs oder Äußerlichkeiten der Figuren geschildert. Das Atmosphärische kommt anders auf. Die Geschichten zeigen nur das Notwendigste der jeweiligen Situation. Die genaue Darstellung z. B. der grünen Grashüpfer ist darin die große Ausnahme. So lassen sie viel Freiraum für die Phantasie des Lesers und konzentrieren sich auf das Wesentliche.

Beim ersten Hineinlesen kann zunächst der Verdacht aufkommen, dass die Erzählungen nichts anderes sind als „längliche“ Kurzgeschichten, da sie mittendrin beginnen und doch im Wesentlichen alle Merkmale von Kurzgeschichten aufweisen. Was sich anfangs vielleicht liest wie dröge, kreuzbrav erzählte Shortstories, immer mit einer jugendlichen Erzählerin, mal junge Erwachsene, mal Kind – Kurzgeschichten mit dem gewissen sozial ambitionierten Touch –, zieht allmählich doch gehörig an. Hemingways „Iceberg Theory“ benennt, dass nur ein kleiner Teil der wichtigen Informationen direkt im Text steht. Das ist hier Programm. Insofern sind Hartwells Prosatücke aus mehreren Gründen geradezu mustergültige Kurzgeschichten, deren Schluss zudem immer offen bleibt. Das Vermeiden von Wertungen, Deutungen und vor allem Lösungen ist ihre Besonderheit.

Hartwell arbeitet mit reizvoll Ausgespartem. So wird in der Geschichte „Der weißeste Raum“ der Besuch eines Paares bei den „Schwiegereltern“ erzählt. Doch irgendetwas stimmt nicht; allein das eklatante Unwohlsein der Erzählfigur ist Symptom genug. In der Küche fällt der Satz „Warum muss er den jetzt auch noch hierher mitbringen?“ In nur einem einzigen Wort wird klar, dass es ein männlicher Protagonist und somit ein schwules Paar ist. Auch wenn die Darstellung der Mutter als zähnefletschendes Monster nicht wirklich überzeugt und der Ich-Erzähler, der Vegetarier ist, durch das mehrfache Betonen seiner körperlichen (und psychischen?) Geschwächtheit hart am Tuntenklischee entlangschrammt, kommt der Kunstgriff der Minimalandeutung gut zur Geltung. Für alle, die es überlesen haben, kommt am Ende noch einmal der Satz, als der Ich-Erzähler in die Damentoilette geht: „Bei den Männern geht die Tür nicht auf (…)“ So leben die Geschichten der Autorin immer wieder von einem solchen Kniff, aus der es dann letztlich die Spannung bezieht. Das setzt Akzente, ist sehr spannend und gewissermaßen neu. Der unterkühlte Tonfall des Erzählens bekommt dabei in einigen Fällen auch etwas nahezu Depressives. So ändert sich doch einmal die Erzählperspektive; die Themen sind Tabu, Verrat, Schuld, Tod, Selbstmord.

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Hartwells Geschichten wollen ergründet sein. Die Geschichten enden da, wo sie eigentlich anfangen könnten – oder sollten? Andererseits gehen sie da erst richtig los, wo sie aufhören: im Kopf des Lesers. Es werden scheinbar am Rande brisante Themen angerissen, in Nebensätzen große Fässer aufgemacht. Das Angedeutete wird nicht weitergeführt oder gar vertieft; es werden keine komplexen Problemlagen von Aidskranken – für die es, sinnbildlich gesehen, keinen Sicherheitsgurt mehr gibt –oder einem Schwulenpaar aufgefächert und „abgearbeitet“. Das kann man gut finden oder auch nicht; es zeigt lediglich den Status Quo dar, dass unsere Gesellschaft so ist wie sie ist (– und sich da nichts bewegt, wo man denkt, dass sich längst etwas bewegt hätte?); dass unsere Gesellschaft einen riesigen Bogen um so einiges macht, nach wie vor. Hartwells Geschichten gehen dennoch hinter der Geschichte weiter.

„We’re flying high / We’re watching the world pass us by“ lautet das Motto, und man könnte dieses Motto der Synthie-Pop-Band Depeche Mode auch so verstehen, dass wir aus der Distanz der Höhe lediglich zuschauen, wie die Welt und ihr Geschehen an uns vorbeitreibt – ohne einzugreifen. Wir wissen Bescheid, aber tun nichts. Auch das kann als latente Gesellschaftskritik gelten. Aber … langt uns das? Eine Frage des Standpunktes. Dass Problematiken „nur“ angerissen werden anstatt sie in einer Geschichte zu entwickeln, auszubauen und zu vertiefen – was die einen als „ein bisschen“ oder „zu wenig“ sozialambitioniert empfinden ­– sehen andere gerade als den Reiz. Katharina Hartwells Prosa ist – ausnahmslos – etwas „subkutan“ Verstörendes, das aufgrund der Unterkühlung und Aussparung umso eindringlicher ist.

 

BIO

Katharina Hartwell ist 1984 in Köln geboren und studierte Anglistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main. Sie hat zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, 2006 war sie Preisträgerin des Wettbewerbes »Junges Litera­tur­forum Hessen-Thüringen«. Sie erhielt 2009 den MDR-Kurzgeschichtenpreis und nahm an der LCB-Autorenwerkstatt teil. Seit Herbst 2010 studiert sie im Masterstudiengang am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Als Finalistin beim Open-Mike 2010 erhielt sie eine lobende Erwähnung.

Weblink: Poetenladen


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