Von Richard Kropf
„Dann gingen wir in die Sixtinische Kapelle, die wir auch hell und heiter, die Gemälde wohl erleuchtet fanden. Das ‚Jüngste Gericht‘ und die mannigfaltigen Gemälde der Decke, von Michelangelo, teilten unsere Bewunderung. Ich konnte nur sehen und anstaunen. Die innere Sicherheit und Männlichkeit des Meisters, seine Großheit geht über allen Ausdruck.“
(Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 30.05.2003 und ist eine Wiederveröffentlichung aus unserem Archiv.)
Schon Goethes Eindrücke von den Fresken auf seiner italienischen Reise 1786 beschreiben die überwältigende Wirkung von Michelangelos Meisterwerk auf den Betrachter. Als der gelernte Bildhauer die Decke der Sixtinischen Kapelle im Jahre 1512 nach vierjähriger Arbeit endlich fertig stellen konnte und enthüllte, strömte ganz Rom in den Petersdom, um dieses atemberaubende Ergebnis einer vollkommen neuen Maltechnik zu bewundern.
Allein Papst Julius II., der das Mammutwerk in Auftrag gegeben hatte, wünschte sich etwas mehr Gold und Ultramarin in seiner Kapelle – als knallig bunte Ausschmückung. Aber der Künstler weigerte sich und entgegnete dem kirchlichen Oberhaupt ebenso trocken wie scherzhaft :„Ich wüsste nicht, dass Menschen Gold trügen. Die hier abgebildet sind, waren arme Leute“, und setzte sich schließlich durch, einmal mehr nach einer langen Kette von Reibereien und Konflikten.
Künstlerische Rivalen
Die Zusammenarbeit zwischen dem Papst und dem Künstler begann ursprünglich mit einem ganz anderen Auftrag. Michelangelo sollte ein Mammut-Grabmal mit vierzig Statuen in den Stein meißeln – eine Herausforderung, die er mit Freude annehmen wollte. Nachdem Julius II. aber gehört hatte, dass ein Grabmal zu Lebzeiten Unglück bringe, stornierte er den Auftrag und wünschte nun vom berühmten Bildhauer ein ungewöhnliches Werk: Fresken in der Sixtinischen Kapelle.
Das war nicht Michelangelos Welt, Fresken hatte er zuletzt in seiner Ausbildungszeit gemalt und daher kaum Erfahrung in dieser Technik. Es dauerte also etliche Bitten und noch mehr Drohungen, bis sich Michelangelo an die Arbeit machte – und widerwillig ein Meisterwerk schuf, das ihm ironischerweise viel mehr Ruhm einbrachte als das später doch noch gefertigte Grabmal.
Der 1962 in Kanada geborene und jetzt in Oxford lebende Schriftsteller und Kunstgeschichtler Ross King („Das Wunder von Florenz“) beschreibt in seinem neuen „erzählenden Sachbuch“ die Geschichte der beiden rivalisierenden Künstler Raffael und Michelangelo, die beide nur einen Steinwurf von einander entfernt im Vatikan für den kriegs- und streitsüchtigen Papst Julius II. arbeiteten. Es ist die packende Geschichte von zwei vollkommen unterschiedlichen Männern – und größten Künstlern der Renaissance.
„Schön“ versus „erhaben“
Der eine, Michelangelo, ein eigenbrötlerischer, menschenscheuer Bewunderer des menschlichen Körpers, ist beauftragt die Schöpfungsgeschichte für die Bürger Roms auf der Decke der Kapelle darzustellen und der andere, Raffael, ein Frauenfreund, ein charmanter Liebhaber des gesellschaftlichen Lebens und Treibens, gestaltete – wohl nicht ganz zufällig – die Schlafgemächer des Papstes.
Ihre unterschiedlichen Charaktere bilden sich nur allzu deutlich in ihren Arbeiten ab. Michelangelo, der selbst recht hässlich war, malte seine Figuren als kraftstrotzende, häufig für sich stehende Personen, perfekt in Form und Perspektive, aber in sich steif, wie vom Bildhauer Michelangelo in Stein gemeißelt. Sein Kontrahent hingegen konzentrierte sich weniger auf die anatomischen als mehr um mimischen Details und animierte Gesten, die seinen Figuren Lebensechtheit und dramatische Intensität verliehen. Raffales Werk galt und gilt als „schön“ – das von Michelangelo „erhaben“.
Die beiden Widersacher sind sich wohl nicht selten begegnet, beinahe Tür an Tür arbeitend und um die Gunst des Papstes buhlend, aber Raffael wäre der Letzte gewesen, dem Michelangelo am Schaffungsprozess der Schöpfungsgeschichte hätte teilhaben lassen. Dennoch respektierten sie einander. Raffael verewigte Michelangelo nachträglich in seiner „Schule von Athen“, nicht ohne Ironie als einsamen, bärtigen Grübler.
Auf dem Rücken liegend
Die direkte Konkurrenzbeziehung zwischen Michelangelo Buonarroti und Raffaello Santi ist einer der Aspekte, die Ross King herausarbeitet und die sich in der viel gerühmten und viel gelesenen Romanbiografie von Irving Stone so detailliert nicht wiederfinden. Ross King sieht die Vorzüge seines Buches in der fortgeschrittenen Forschung, die neue Erkenntnisse zu Tage fördere, zu denen Stone in den frühen 60er Jahren noch keinen Zugang haben konnte.
Beispielhaft nennt Ross King die Frage, inwieweit Michelangelo allein gearbeitet habe. Dabei zitiert und widerlegt er den Michelangelo-Biografen Ascanio Condivi, der behauptet, der Bildhauer habe seine Mitarbeiter sämtlichst entlassen und „dann die ganze Arbeit in zwanzig Monaten ohne jede fremde Hilfe, nicht einmal die eines Farbenreibers“ vollendet. Condivi veröffentlichte seine Biografie 1898. Aber schon in Stones „Michelangelo“ wird der Meister zu diesem Thema zitiert: „Michi will ich zum Stampfen der Farben behalten, und Roselli soll weiter den Mörtel auftragen.“ Ein Schlag ins Wasser also?
Und auch einen zweiten Mythos entkräftet Ross King, ganz ohne Widerspruch fürchten zu müssen. Ein Zeitgenosse Michelangelos, der Biograf Giorgio Vasari, schilderte in seinem Buch „Die Lebensbeschreibungen der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Architekten“ das Malen an der Decke als qualvolle Prozedur, da er davon ausging, dass Michelangelo aufgrund von Platzproblemen zwischen Gerüst und Arbeitsfläche auf dem Rücken liegend arbeiten musste. King verweist auf eine Skizze des Künstlers, die ihn lediglich zurückgelehnt mit erhobenen Armen bei der Arbeit zeigt. Auch diese Skizze war Irving Stone anscheinend bekannt, der die Arbeitsweise identisch beschrieb – aber das Auf-dem-Rücken-Liegen als Ausnahme beschreibt.
Raffaels „Banditen“
Wenn sich die Forschung an dieser Stelle nicht weiterentwickelt zu haben scheint, so doch zumindest die Legendenbildung. Von einer Begegnung auf dem Petersplatz zwischen Raffael und Michelangelo schreibt Stone, Michelangelo habe gefragt: „Wohin gehen Sie, Liebling der Götter?“ und darauf von Raffael die Antwort erhalten: „Und wo gehen Sie hin, Sie Eremit?“ In Kings Legende beschimpft Michelangelo Raffael und seine Anhängerschaft auf dem Petersplatz als „Banditen“, Raffael tituliert den Kontrahenten postwendend als einsam „wie der Henker.“
Wenn man nun von dem Anspruch, wirklich neue Erkenntnisse der Michelangelo-Forschung zu erfahren, einmal absieht, hält man mit Ross Kings „Michelangelo und die Fresken des Papstes“ immer noch ein spannendes und leidenschaftlich geschriebenes Zeugnis einer der aufregendsten Epochen der Weltgeschichte in den Händen. Und ein paar schöne Legenden.
Literaturangaben:
KING, ROSS: Michelangelo und die Fresken des Papstes. Aus dem Englischen übertragen von Michael Müller; Albrecht Knaus Verlag, München 2003. 416 S., 24,90 €.