Michael Geißler war ein Berliner Haschrebell. „Wir haben nicht das Bruttosozialprodukt gesteigert. Aber wir haben uns selbst bereichert. Und wir haben dabei niemandem geschadet!“ „Acid, Mao und I Ging“ ist die erste Veröffentlichung des Mainzer Gonzo Verlags, der sich als „inoffizieller Verlag für eine bessere Welt“ vorstellt und mit der Note „inoffiziell“ einen hilfreichen Fingerzeig auf den ersten Titel macht.
Zwischen dem Fachchinesisch der Dutschke-Tagebücher und dem trockenen Bericht á la zurückgelehnte Autobiografie schreibt sich Geißler durch seine Lebenserinnerungen, die nicht gänzlich seinem Leben entsprechen können ob der Magie, die sich in Form ominöser Gurus, Pechspiegel-Sitzungen, LSD-Küchen und der konsumgütergestützten sexuellen Befreiung (Wasserbett) breit macht. Ganz wenig Mao und genug Acid fürs I Ging erwarten den Leser, der sich allerdings wappnen sollte für ein kumpelhaftes Du. Denn hier erzählt der Onkel, wie das damals so war – was sich Nachgeborene ja ohnehin nicht vorstellen können. Der Tonfall ist demnach freundlich und mit dem übersetzten Timothy Leary oder Burroughs’ Junkie („Zufällig hatte ich einige Unzen Marihuana zu Hause.“) verwandt. Freunde dieses Metiers werden Gefallen an den lakonisch berichtenden Passagen des Buches haben. Politische Mitteilungen stehen nicht im Vordergrund.
Geißler erzählt und erzählt…und konzentriert sich nicht auf das Geschehene, keine Wahrheit, sondern das wörtlich Erinnerte. „Und glaub auch mir kein Wort“ mahnt er ebenso an wie „bei der Wahrheit zu bleiben (…) ist meine feste Absicht.“ Genau das war zu erwarten. Letztlich wirkt das sehr konstruiert und mindestens halbfiktional. Aber Geißler trifft einen wahren Kern, wenn er sagt: „Selbst die Geschichte der 60er und 70er Jahre setzt sich doch nur zusammen aus all den Geschichten derer, die diese Zeit erlebt haben.“
Im Kindesalter ereilt ihn kurz nach Ende des 2. Weltkriegs die erste Vision. Er würde alle Tiere aus dem Zoologischen Garten befreien. Dieses Kapitel steht—profan betrachtet—als Initialerlebnis für die Hinwendung zu den Hippies. Ganz gleich, ob Floß oder Wasserbett: „Klamotten brauchte ich eh nicht, Geld kaum.“ Was folgt, ist eine konsequente Auseinandersetzung mit glorreichen Klischees über die freie Liebe, Drogen, die besondere Achtung gegenüber Mitmenschen und dem kurvigen Weg zur Selbsterkenntnis. Bleibt zu sagen: Don’t do this at home, kids!
Falls etwas überhaupt nicht nötig gewesen wäre, dann ist es Geißlers über alle Maßen prophetisches Fazit, dass eigentlich gänzlich hier zitiert werden müsste. Das ist schlimmer als die betont fetzigen Texte, die stets auf den Hüllen von Frank Schöbels Kinder - LPs auftauchten. Tragisch ist dabei, dass Geißler am Ende Opfer einer selbsterfüllenden Prophezeiung wurde: „Du bist aus einer anderen Generation und empfindest die gesellschaftliche Kälte (…) gar nicht so.“ Na, wenn wir das gleich gewusst hätten…
Von Kay Ziegenbalg
Literaturangabe:
GEISSLER, MICHAEL: Acid, Mao und I Ging. Erinnerungen eines Berliner Haschrebellen. Herausgegeben von Miriam Spies. Gonzo Verlag, Mainz 2008. 256 S., 12,95 €.
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