Von Roland H. Wiegenstein
„Es sind keine erfreulichen Wahrheiten, die Proust uns enthüllt. Das Beglückende liegt darin, dass es Wahrheiten sind und dass er uns lange Zeit durch die Fliederalleen führt, bevor er uns ihre vertrockneten Dolden zeigt.“ So enthusiastisch führt uns Michael Maar, der für eine essayistische Arbeit gerade erst den Heinrich-Mann-Preis bekommen hat, durch den Kosmos Marcel Proust. „Proust Pharao“ heißt das Bändchen, in dem er einige seiner Funde ausbreitet. Funde sozusagen am Wege, Auflösung schwieriger Stellen, Parallelen etwa zwischen Thomas Manns „Zauberberg“ und der „Recherche“, ein anrührendes Porträt von Prousts Haushälterin Céleste, die Verschleierungsstrategien, in denen Personen das Geschlecht wechseln - all das, was nur dem sehr kundigen Leser womöglich auffällt - oder was Maar ihm erklärt. Man muss sich schon sehr auf die „verlorenen Zeit“ einlassen, um Maars „kleine“ Hinweise richtig zu einzuschätzen.
„Wer Proust liest, kann sich die Soziologen schenken. Nicht umsonst reckt sich in seinem Stammbaum bei den Urahnen ein Zweiglein zu einer Familie, der ein anderer großer Mann entsprießen wird, Karl Marx. Was erfährt der Leser nicht allein über die Integration oder Nicht-Integration der Juden, über die Feinabstufungen des Sozialsystems innerhalb und außerhalb des Adels, über den Dreyfus-Prozess und wie er die Gesellschaft bis hinein in die Zelle Familie spaltete, über Snobismus und Aufsteigertum und die wechselnden Karrieren im großen Würfelbecher des Krieges? Dagegen ist Brecht ein kümmerlicher Plakatmaler.“
Maar gibt, gelegentlich mit der leichten Arroganz des Wissenden, eine Art Lese- oder vielmehr Aufmerksamkeitsanleitung, die die Lust an der Lektüre befeuern soll. Und da er selbst ein genauer Leser ist, der auch alle anderen Texte des Dichters, auch alle Briefe, durchforstet hat, erfährt man Neues: Wichtiges wie Unwichtiges. Möglich, dass dies die Neigung, Proust zu lesen oder wieder zu lesen, animiert. Und das wäre ja schon etwas.
Literaturangabe:
MAAR, MICHAEL: Proust Pharao. Berenberg Verlag, Berlin 2009. 80 S., 19 €.
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