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Michael Stahls „Botschaften des Schönen“

Über zwei Dinge will der Autor lehren: Das Schöne der Antike und die Kultur der Antike

© Die Berliner Literaturkritik, 31.12.08

 

Einfach schön. Ein bisschen schwulstig um die Lenden, na gut. Und das Sixpack ist auch eher ein Fourpack, ok. Aber die Proportionen stimmen ansonsten. Ein Gesicht, ebenmäßig wie das des Apoll, wie das eines jungen Gottes, wenn man sich einen jungen Gott so vorstellen möchte. Ein bisschen wehmütig schaut der Jüngling in die Ferne. Ach ja, und nackt ist er. Splitternackt.

Der Bildhauer Polyklet hat ganze Arbeit geleistet. Seine klassische Statue eines speertragenden Jünglings hat er gut 450 Jahre vor Christus in Stein gehauen. Bis heute gilt sie als eines der Sinnbilder für Schönheit. Und um Schönes geht es ja schließlich in der neuen Publikation des Althistorikers Michael Stahl. „Botschaften des Schönen – Kulturgeschichte der Antike“ heißt das 300 Seiten starke Buch, das jetzt bei Klett-Cotta erschienen ist.

Über zwei Dinge also will der Autor lehren: Das Schöne der Antike und die Kultur der Antike. Er will „die antike Vergangenheit in Perspektiven der Gegenwart“ hereinholen. Denn auf ihren Fundamenten hat sich „das Leben der europäischen Völker seit 1500 Jahren, seit dem Ende der Antike, entfaltet“. Und Stahl hält es mit Paul Valéry, der „Athen, Rom und Jerusalem“ als europäische Quellen bezeichnet hat.

Athen und Rom, Griechenland und das Römische Reich: Das sind denn auch die beiden Schauplätze, auf denen sich Stahl tummelt. Warum er Jerusalem konstant ignoriert, nachdem er jene Kultur eingangs schon mit einem so prominenten Zitat eingeführt hat, das bleibt ein Rätsel – und Manko eines Buches, das „Kulturgeschichte der Antike“ sein will.

In sechs Kapiteln zeigt Michael Stahl das, was er zur Kultur jener Zeit zählt: Geschichtsverständnis im Altertum am Beispiel Herodot und Augustus, die Stadt als Lebensraum, Staat als Geflecht aus Bürgern und Monarchen, antike Gesellschaft, antikes Wohnen und griechische Bildhauerkunst. Bis auf das Kapitel über Skulptur halten sich je ein griechisches und ein römisches Beispiel die Waage.

Es sind die üblichen Verdächtigen, die immer wieder in Studienbänden über die alte Geschichte auftauchen – gut erklärt und durchaus anschaulich beschrieben, sprachlich wie optisch mit zahlreichen Fotos: Milet und Priene, Ephesos und Trier, die griechische Polis und die römische Monarchie, Herodot und die architektonische Verwandlung Roms nach den Plänen von Augustus.

Nur im letzten Kapitel bekommt Stahls Ordnung vom griechischen und römischen Beispielpaar einen Knick: Da ist die archaische Plastik einerseits und die klassische andererseits – vom römischen Gegenstück keine Spur. Warum? Entweder Stahl fand die Entwicklung vom statischen Kouros zum Kontrapost eines Polykletschen Diadumenos erhellender als die römische Plastik oder aber die römische Kunst gilt ihm nicht als kulturhistorisch relevant. Zuviel Kopie, zu wenig eigenständige Entwicklung. Das ist zweifelsohne eine mögliche Deutung antiker Skulptur – allein Stahl macht es sich damit ein wenig zu einfach. Er weicht aus, wo Diskussion und Interpretation nötig wären. Ganz zu schweigen von einer Einordnung in das politische Geschehen der Zeit.

Stahl weicht nicht nur aus, er lässt auch gänzlich weg. Da ist, wie bereits erwähnt, der gesamte Kulturkreis Jerusalem. Da ist aber auch die griechisch-römische Literatur. Eine Kulturgeschichte der Antike kann kaum ohne Homer auskommen, dessen Schriften doch als erste nach den dunklen Jahrhunderten gelten. Was ist mit den Philosophen und Staatstheoretikern? Sokrates, Platon und Aristoteles? Oder enthalten ihre Schriften vielleicht in den Augen Stahls keine „Botschaften des Schönen“? Und, zum Zeus, wo sind die Götter? Religion? Auch keine schöne Botschaft?

Stahl hat seine Kulturgeschichte ganz der Antikerezeption im 18. Jahrhundert untergeordnet. Prolog und Epilog verweisen auf die Wiederentdeckung des Klassischen zur Zeit Goethes: Johann Joachim Winckelmann einerseits und Karl Friedrich Schinkel andererseits. Der Archäologe, der die Rückbesinnung auf die Antike propagiert, und der Architekt, der sie mit seinen Bauten schließlich in Berlin sichtbar macht. Historismus und Klassizismus haben vor allem eines betont: das Schöne des Antiken. Sichtbar im Berlin Schinkels und München Klenzes.

Die Antikeforschung wäre ohne das 18. Jahrhundert nicht da, wo sie heute ist. Und vielleicht ist es gerade das, was der Universitätsprofessor mit seinem Epilog und Prolog unterstreichen möchte. Allein seine Winckelmänner und Schinkels springen ein wenig zu unmittelbar wie Karl aus der Kiste. Schließlich hatte es seinen guten gesellschaftlichen und politischen Grund, dass die gute alte Antike ausgerechnet im 18. Jahrhundert zu neuer Ehre kam. Aber der Darmstädter Professor bleibt auch hier konsequent – und lässt eine historische Einordnung einfach weg.

„Botschaften des Schönen“ hat viele schöne Themen und ist ein durchaus empfehlenswertes Studienbuch. Zu einer „Kulturgeschichte der Antike“ fehlen indes einige Kapitel. Nur schön sein reicht da – leider – nicht.

Von Ariane Stürmer

Literaturangaben:
STAHL, MICHAEL: Botschaften des Schönen – Kulturgeschichte der Antike. Klett-Cotta, Stuttgart 2008. 303 S., 29,90 €.

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