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Mies van der Rohes „Haus Lemke“ – eine fast vergessene Schönheit

Wita Noack präsentiert die Biografie eines architektonischen Juwels

© Die Berliner Literaturkritik, 17.10.08

 

Wer das kleine, einstöckige Haus am Obersee in Hohenschönhausen nicht kennt, das heute zum Berliner Bezirk Lichtenberg gehört, der könnte es aus einiger Entfernung betrachtet für eine große „Datsche“ halten, die da eingeklemmt zwischen sehr viel größeren, höheren Häusern steht, in einem auch nicht sehr großen, wenn schon sorgfältig gepflegten Garten, der sich bis fast hinunter zum See erstreckt. Doch der erste Eindruck täuscht, das wissen alle, die dort gelegentlich zu einer der Wechselausstellungen moderner Kunst oder einer Lesung gehen: Es handelt sich da um eine Inkunabel des „Internationalen Stils“ und das letzte Haus, das Mies van der Rohe vor seiner Emigration 1932/33 noch bauen konnte. Ein paar spätere Entwürfe des letzten „Bauhaus“-Direktors wurden nicht mehr ausgeführt, er passte nicht in die kleinbürgerlich-völkische und zugleich gigantomanische Architekturauffassung, die seit dem Januar 1933 mit Hitler und seinen Vasallen Troost und Speer zur einzig erlaubten geworden war.

Es handelt sich um das „Haus Lemke“, genannt nach dem Auftraggeber Karl Lemke, dem Besitzer einer grafischen Druckanstalt, der für sich und seine Frau ein „kleines Haus“ von einem der berühmten Baumeister der Republik zu einem günstigen Preis haben wollte. Lemke, von Natur sparsam, hatte nach dem Börsenkrach von 1929/30 auch gar nicht mehr die Mittel, sich eine große Villa bauen zu lassen. In der Tat hat das auf einem L-förmigen Grundriss in Backstein errichtete Gebäude gerade einmal eine Fläche von knapp 160 Quadratmetern und in den meisten Mies-Biografien, die sich mit seinen Wohnhäusern, etwa dem spektakulären Haus Tugendhat in Brünn oder den Häusern Lange und Esters in Krefeld, befassen, spielt es – wenn überhaupt – nur eine marginale Rolle.

Denn zwischen 1945 und 1989 lag es in einer „Sperrzone“, wurde zunächst von der Sowjetischen Armee, später vom KGB der DDR benutzt: als Lagerschuppen, obwohl es doch schon Ende der Siebzigerjahre vom Ostberliner Senat unter die schützenswerten Baudenkmäler aufgenommen worden war. Nach der Wiedervereinigung erlebte es eine Art (freilich nur von seiner unmittelbaren Umgebung recht bemerkten) Rehabilitierung und dient heute, nach einer gründlichen und überwiegend glücklichen Restaurierung, als Kulturzentrum. Die jetzige Leiterin des Hauses, Wita Noack, hat seine wechselvolle Geschichte, nebst der der Familie Lemke, gründlich erforscht und die daraus entstandene Dissertation nun als Buch veröffentlicht.

Wir erfahren, was Karl Lemke, der gelegentlich auch Kunst kaufte (Altmeister, die heute zum Bestand der Gemäldegalerie gehören, moderne, die zum Teil ins Brücke-Museum wanderten), wollte und wie es ihm erging: Er verlor seinen Betrieb 1951, ging nach Westberlin, fing noch einmal von vorne an, musste in den Sechzigerjahren Konkurs anmelden und starb wenig später, seine Frau Martha hat ihn überlebt und das damals noch unzugängliche Haus samt ihren sonstigen Besitztümern der Stadt vermacht, denn berechtigte Erben hatten die kinderlosen Lemkes nicht.

Noack hat alles zusammengetragen, was sich in zahlreichen Archiven (bis hin zum Museum of Modern Art, das Mies van der Rohes Nachlass verwaltet) auffinden ließ, sie hat Überlebende befragt und so ist es ihr gelungen, die Entwurfs- und Baugeschichte und das spätere Schicksal des kleinen Juwels zu rekonstruieren. Sie hat noch mehr zuwege gebracht: die Einordnung dieses Baus in die Werkgeschichte des großen Architekten und die Bedeutung, die es für ihn selbst wohl gehabt hat. Er wollte zeigen, dass er auch im kleinen Maßstab ein Haus entwerfen konnte, das auf seine Auftraggeber zugeschnitten war, das eine enge Verbindung von Bau und Garten erstrebte, das schön und in seinen Materialien angemessen war und das deutlich seine Handschrift trug, ohne doch an den Bedürfnissen (und Kostenvorstellungen) der Bauherren vorbeizugehen.

Es ist der Autorin weithin gelungen, ungeklärte Fragen im Zusammenhang mit diesem zu Unrecht fast vergessenen Haus aufzuklären, ihre Beschreibungen sind einlässlich und konkret, die Liebe zu dem Bau, der ihrer Obhut anvertraut ist, wird immer wieder spürbar, da stören auch ein paar Wiederholungen nicht sonderlich. Schon eher die oft zu kleinen Abbildungen und, halten zu Gnaden, die angestrengt wirkenden Detailsfotos von Heidi Specker, die dem selbst gestellten Anspruch, das, was heute dasteht, gleichsam mit den Augen der Vorbesitzer zu sehen, nicht gerecht wird.

Insgesamt aber ist das Buch eine willkommene Ergänzung der Mies-Literatur und es macht neugierig, einmal nach Hohenschönhausen zu fahren – was alte Westberliner ja vermutlich selten tun.

Literaturangaben:
NOACK, WITA: Konzentrat der Moderne. Das Landhaus Lemke von Ludwig Mies van der Rohe. Wohnhaus, Baudenkmal und Kunsthaus. Mit einem Bildessay von Heidi Specker. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2008. 339 S. mit 240 meist farb. Abb., 39,90 €.

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