MÜNCHEN (BLK) – Im Februar 2009 ist bei dtv der Roman „Die Frau im Mond“ von Milena Agus erschienen.
Klappentext: Die junge Frau ist bildschön und nur von einer Sehnsucht erfüllt: die große Liebe zu erfahren. Doch die sardische Bauerntochter findet keinen Ehemann. Aus rätselhaften Gründen nehmen alle Verehrer Reißaus. Liegt es an den leidenschaftlichen, anzüglichen Briefen, die sie ihnen schreibt? An ihren expliziten erotischen Wünschen? Die Eltern sind alarmiert, denn eine Dreißigjährige ist längst keine gute Partie mehr. Schließlich nimmt ein Witwer sie zur Frau. Eine Vernunftehe, und das Gegenteil dessen, was sie sich erträumt hatte. Jahre später jedoch kommt es in einem Kurort zur Begegnung mit dem Mann ihrer Sehnsucht und sie erlebt für wenige Wochen die große Liebe. Die Geschichte dieser unbezwingbar romantischen Frau wird uns von ihrer Enkelin erzählt, die das Tagebuch der Großmutter gefunden hat. Eindringlich und detailgenau – bis zur Enthüllung des verblüffenden Lebensgeheimnisses der Großmutter, ganz zum Schluss.
Milena Agus wurde in Genua als Kind sardischer Eltern geboren. Als sie zehn war, zog die Familie zurück nach Sardinien. Milena Agus unterrichtet in Cagliari an einer Berufsschule Italienisch und Geschichte. „Die Frau im Mond“ ist ihr zweiter Roman, der in Italien, Frankreich und Deutschland zum gefeierten Bestseller wurde. Der Roman wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem von der wichtigsten Literatursendung Italiens („Fahrenheit „) als „Bestes Buch des Jahres 2007“. (ber/mül)
Leseprobe:
©dtv©
„Falls ich dich nie kennenlernen sollte, lass mich wenigstens spüren, wie sehr
ich dich vermisse.“
Gedanken eines Soldaten in Terrence Malicks Film Der schmale Grat
1
Großmutter lernte den Reduce im Herbst 1950 kennen. Zum ersten Mal in ihrem Leben betrat sie das italienische Festland. Sie ging auf die vierzig zu und hatte noch immer keine Kinder, weil die Nierensteine ihr in den ersten Monaten jeder Schwangerschaft Fehlgeburten bescherten. In einem sackartigen Mantel und mit hochhackigen Schnürschuhen, in der Hand den Koffer ihres Mannes, mit dem er Jahre zuvor als Evakuierter in ihr Dorf gekommen war, wurde Großmutter auf die Reise zu den Thermen geschickt. Dort sollte sie ihr Steinleiden kurieren.
2
Großmutter heiratete erst spät, im Juni 1943, kurz nachdem die Amerikaner Cagliari bombardiert hatten. Eine Frau, die damals mit dreißig Jahren noch nicht unter der Haube war, wurde praktisch als alte Jungfer angesehen. Nicht dass Großmutter hässlich gewesen wäre oder es ihr an Verehrern gemangelt hätte, keineswegs. Es war nur so, dass die Bewerber sie jeweils ab einem gewissen Punkt seltener besuchten, bis sie schließlich ganz ausblieben, ohne bei meinem Urgroßvater um ihre Hand angehalten zu haben.
„Liebes Fräulein, aufgrund von höherer Gewalt kann ich leider nächsten Mittwoch nicht zu Besuch kommen, was ich zutiefst bedaure, doch es ist mir unmöglich.“
Also erwartete Großmutter den Verehrer am übernächsten Mittwoch, doch stattdessen kam jedes Mal ein kleines Mädchen, um einen Brief zu überbringen, in dem der angekündigte Besuch abermals verschoben wurde, bis schließlich auch die Briefe ausblieben.
Mein Urgroßvater und seine Schwestern hatten Großmutter sehr gern, auch wenn sie ihnen schon etwas altjüngferlich erschien. Meine Urgroßmutter hingegen behandelte sie so hart und streng, als wäre sie nicht ihr eigen Blut.
Am Sonntag, wenn die anderen Mädchen den Gottesdienst besuchten oder mit ihren Verlobten Arm in Arm auf der Allee flanierten, schlang Großmutter sich die Haare zu einem schweren Knoten – sie hatte noch dichtes schwarzes Haar, als sie schon eine alte Frau und ich ein kleines Mädchen war; wie mochte es erst früher gewesen sein? – und ging in die Kirche, um Gott zu fragen, warum er nur so ungerecht sei und es ihr verwehre, die Liebe kennenzulernen. Die Liebe sei doch die herrlichste Sache der Welt, die einzige, die es wert sei, ein Leben zu führen, bei dem man früh um vier aufsteht, um die Hausarbeit zu verrichten, dann aufs Feld geht und später in die Stickschule – die langweiligste Sache der Welt –, dann mit dem Krug auf dem Kopf am Brunnen Trinkwasser holt, und bei dem man alle zehn Tage die ganze Nacht aufbleibt und Brot backt, um am Morgen wieder den Wassereimer aus dem Brunnen zu ziehen und die Hühner zu füttern. Wenn Gott nicht bereit sei, sie mit der Liebe bekannt zu machen, solle er sie eben sterben lassen, auf welche Weise auch immer.mm
Der Priester, der ihr die Beichte abnahm, sagte, dass solche Gedanken eine große Sünde seien und dass es auf der Welt unzählige andere Dinge als die Liebe gebe, aber diese anderen Dinge konnten Großmutter gestohlen bleiben.
Eines Tages erwartete meine Urgroßmutter sie mit der Handpumpe, mit der sie immer den Hof besprengten, und schlug mit dem Gerät auf sie ein, bis Großmutters Kopf mit Wunden übersät war, woraufhin sie hohes Fieber bekam. Meiner Urgroßmutter war zu Ohren gekommen, was man sich im Dorf erzählte: Der Grund dafür, dass die Bewerber nach einer gewissen Zeit fernblieben, sei der, dass Großmutter ihnen feurige Liebesgedichte schreibe, die nicht ganz frei von anzüglichen Anspielungen seien. Damit besudelte Großmutter nach Ansicht ihrer Mutter nicht nur sich selbst, sondern den Ruf der ganzen Familie. Während sie auf ihre Tochter eindrosch, brüllte sie: „Dimonia! Dimonia! Du Teufelin!“, und sie verfluchte den Tag, an dem sie Großmutter in die Grundschule geschickt hatten, wo sie lesen und schreiben gelernt hatte.
3
Im Mai 1943 kam mein Großvater ins Dorf. Er war jenseits der vierzig und Angestellter in der Saline von Cagliari. In der Via Giuseppe Manno hatte er ein schönes Haus besessen, unmittelbar neben der Kirche San Giorgio e Santa Caterina gelegen; von dort aus hatte man eine wunderbare Aussicht über die Dächer der Marina bis hin zum Meer. Nach dem Bombardement, das am 13. Mai stattfand, blieb weder von der Kirche noch von diesem Haus, noch von allen anderen Gebäuden in der Nachbarschaft etwas übrig – bis auf einen riesigen Trümmerhaufen.
Die Familie meiner Großmutter nahm diesen anständigen Herrn bereitwillig auf, der, für damalige Verhältnisse nicht mehr der Jüngste und obendrein Witwer, vom Kriegsdienst befreit war. Mit jenem geliehenen Koffer also, den er mit ein paar aus den Trümmern geretteten Habseligkeiten gefüllt hatte, kam er im Dorf meiner Großmutter an. Es verstand sich von selbst, dass er unentgeltlich im Haus wohnen durfte und verköstigt wurde.
Bereits im Juni hielt er um Großmutters Hand an. In jenem Monat vor der Hochzeit weinte sie den lieben langen Tag. In ihrer Verzweiflung fiel sie vor meinem Urgroßvater auf die Knie und beschwor ihn, Nein zu sagen, unter dem Vorwand, dass sie bereits einem anderen versprochen sei, der in den Krieg gezogen sei. Falls man sie im Haus partout nicht mehr haben wolle, sei sie zu allem bereit, etwa nach Cagliari zu gehen und sich dort Arbeit zu suchen.
„Die Leute kommen aus Cagliari hierher, Kind“, sagte mein Urgroßvater, „und du willst in die Stadt ziehen! Dort gibt es nichts mehr zu tun, was willst du denn machen?“
„Sie ist verrückt“, schrie meine Urgroßmutter, „vollkommen verrückt! Will doch tatsächlich in die Stadt gehen und dort als Hure arbeiten, denn etwas anderes kann sie sowieso nicht! Sie hat von nichts eine Ahnung, aber den Kopf voller Flausen, und das war schon so, als sie noch ein kleines Mädchen war!“
Es wäre ein Leichtes gewesen, einen Verlobten zu erfinden, der irgendwo an der Front war: in den Alpen, in Libyen, Albanien, im Ägäischen Meer oder auch bei der Regia Marina, der Königlichen Italienischen Marine. Ein Kinderspiel wäre es gewesen, aber meine Urgroßeltern wollten nichts davon wissen.
Also sagte Großmutter ihrem zukünftigen Ehemann, dass sie ihn nicht liebe und ihm niemals eine richtige Frau sein könne. Großvater versicherte ihr, dass sie sich keine Sorgen machen müsse – auch er liebe sie nicht. Somit wussten beide, woran sie waren. Und was die Sache mit der richtigen Frau anbelangte, hatte er ebenfalls vollstes Verständnis. Er würde eben weiter das Bordell im Hafenviertel von Cagliari besuchen, so wie er es schon immer getan hatte, seit er ein junger Mann war, ohne sich dabei jemals eine Krankheit zugezogen zu haben. Aber nach Cagliari kehrte er mit Großmutter, seiner Frau, bis 1945 nicht zurück.
Also schliefen die Großeltern wie Bruder und Schwester im Gästezimmer, das reich ausgestattet war: ein großes, hohes schmiedeeisernes Bett mit Intarsienarbeiten aus Perlmutt, darüber an der Wand ein Bild mit der Madonna und dem Kind, auf der Kommode eine Kaminuhr unter einer Glasglocke, ein Waschtisch mit Schüssel und Krug, ein Spiegel, den eine gemalte Blume zierte, und unter dem Bett ein Nachttopf aus Porzellan.
Die gesamte Einrichtung sollte Großmutter später übernehmen, als das Haus im Dorf verkauft wurde und sie in Cagliari mit Großvater aus der Via Sulis in die Via Manno umzog; dort wollte sie genau das gleiche Schlafzimmer haben, das sie im ersten Jahr ihrer Ehe mit ihrem Mann geteilt hatte. Doch während die Räume in dem Haus im Dorf nur spärliches Licht bekamen, gedämpft durch die lolla, den Laubengang, dringt hier in der Via Manno das südliche Meereslicht ungehindert in die Zimmer, taucht sie bis zum Sonnenuntergang in Helligkeit und verleiht sämtlichen Gegenständen einen strahlenden Glanz. Wie habe ich dieses Schlafzimmer als kleines Mädchen geliebt! Aber Großmutter ließ es mich nur betreten, wenn ich brav gewesen war, und nie öfter als ein Mal am Tag.
Im ersten Jahr ihrer Ehe erkrankte Großmutter an Malaria. Das Fieber stieg auf einundvierzig Grad. Großvater ließ es sich nicht nehmen, sie zu pflegen, Stunde um Stunde an ihrem Bett zu sitzen und dafür zu sorgen, dass das Tuch auf ihrer Stirn nie warm wurde – und die Stirn meiner Großmutter war kochend heiß, sodass man den Stoff immer wieder in eiskaltes Wasser tauchen musste. Ständig lief Großvater hin und her. Tag und Nacht hörte man den Flaschenzug des Brunnens draußen im Hof quietschen.
An einem jener Tage, es war der 8.September 1943, erzählten sie ihm, was soeben im Radio berichtet worden war: Zwischen den Alliierten und Italien sei der Waffenstillstand ausgerufen worden und der Krieg somit beendet. Großvater erwiderte, der Krieg sei keineswegs zu Ende, man könne nur hoffen, dass der italienische General Basso die Deutschen aus Sardinien abziehen lasse, ohne sich in unnütze Heldentaten zu stürzen. Basso stellte sich den Nazis zum Glück nicht in den Weg, und so räumten die dreißigtausend Männer der 90. Panzergrenadierdivision unter Generalleutnant Freiherr von Lungershausen ohne weiteres Gemetzel die Insel; zwar wurde der Deutsche später vor ein Ehrengericht gestellt und zu Festungshaft verurteilt, doch die Sarden waren noch einmal davongekommen. Anders als die Menschen auf dem Festland. Wie recht Großvater hatte, erfuhr man, als Radio London von den Protesten Badoglios gegen die Deutschen berichtete, die die gefangen genommenen italienischen Soldaten und Offiziere massakrierten.
Als Großmutter wieder gesund war, sagte man ihr, die habe es nur Großvater zu verdanken, dass das Fieber sie nicht aufgezehrt hätte, und man erzählte ihr, dass es inzwischen einen Waffenstillstand gegeben habe und Italien ein neues Bündnis eingegangen sei. Sie tat diese Neuigkeiten mit einem Schulterzucken ab, was so viel heißen sollte wie: „Was geht mich das an?“ Doch für diese Gehässigkeit sollte sie sich später schämen.
In dem hohen, breiten Ehebett verkroch sich Großmutter an den äußersten Rand, so weit wie möglich entfernt von ihm, sodass sie häufig herausfiel. Wenn bei Vollmond Licht durch die Läden der Türen drang, die zum Laubengang führten, und den Rücken ihres Mannes beschien, fürchtete sie sich nahezu vor diesem seltsamen Fremden, von dem sie nicht einmal wusste, ob er schön war oder nicht, sah sie ihn doch genauso selten an wie er sie. Erst wenn sie sicher sein konnte, dass Großvater tief und fest schlief, wagte sie es, aus dem Bett zu steigen und Pipi in den Nachttopf zu machen, doch bei der geringsten Bewegung, die sie aus dem Augenwinkel wahrnahm, legte sie sich den Schal um die Schultern, huschte aus dem Zimmer und lief auch bei Wind und Regen über den Hof zu dem Abort, der sich jenseits des Brunnens befand.
Im Übrigen versuchte Großvater nie, sich ihr zu nähern. Auch er zog sich, korpulent, wie er war, so weit an den Rand des Bettes zurück, dass er ebenfalls hin und wieder herausfiel, und so waren beide stets mit blauen Flecken übersät. Wenn sie allein waren, also im Schlafzimmer, denn sonst war man nirgendwo im Haus allein, sprachen sie kein Wort miteinander. Das heißt, Großmutter sagte vor dem Einschlafen immer ein Gebet auf, Großvater jedoch nicht, denn er war Atheist und Kommunist, dann murmelte einer von beiden: „Habt eine gute Nacht“, und der andere antwortete: „Habt ebenfalls eine gute Nacht.“
Meine Urgroßmutter verlangte, dass ihre Tochter meinem Großvater den Kaffee ans Bett brachte. Besser gesagt, den Kaffee, den man damals hatte – einen Muckefuck aus Kichererbsen und Gerste, die man im Rauchfang auf einer eigens darin angebrachten Vorrichtung röstete und anschließend mahlte. „Bring deinem Gemahl den Kaffee“, sagte Urgroßmutter, woraufhin Großmutter das mit Blumen bemalte Glastablett nahm und das violette und mit üppigem Goldrand versehene Tässchen daraufstellte, um es ins Schlafzimmer zu tragen; rasch platzierte sie das Tablett am Fuß des Bettes, um dann fluchtartig das Zimmer zu verlassen, so als hätte sie einem zähnefletschenden Hund den Futternapf hingeschoben, und auch das sollte sie sich ihr ganzes Leben lang nicht verzeihen.
Großvater half bei der Feldarbeit und machte sich gut dabei, auch wenn er ein Städter war und sein bisheriges Leben mit Lernen und Büroarbeit zugebracht hatte. Häufig übernahm er auch Aufgaben, die eigentlich seiner Frau oblagen. Großmutter hatte in immer kürzeren Abständen Nierenkoliken, und er war entsetzt darüber, dass eine Frau derart schwere Arbeiten auf dem Feld verrichten oder den bis zum Rand gefüllten Wasserkrug auf dem Kopf vom Brunnen ins Haus schaffen musste, auch wenn er solche Dinge aus Respekt vor der Familie, die ihn so gastfreundlich aufgenommen hatte, nur allgemein zur Sprache brachte, sozusagen als Kritik an der sardischen Gesellschaft im Inselinneren. In Cagliari war es eben anders als auf dem Dorf, dort nahm man einem nicht alles, was man sagte, übel und witterte auch nicht überall nur Schlechtes. Vielleicht war es die Meeresluft, welche die Menschen dort freiheitlicher sein ließ, zumindest in gewissen Dingen, wozu die Politik nicht zählte, denn die Cagliaritani waren bürgerlich eingestellt und hatten keine Lust, für irgendetwas zu kämpfen.
In der restlichen Zeit hörte er, im Gegensatz zu Großmutter, der die Welt da draußen reichlich egal war, am liebsten Radio London. Im späten Frühjahr 1944 erfuhr man, dass im Süden Italiens sechs Millionen Menschen streikten, dass in Rom 32 Deutsche erschossen worden waren, woraufhin die Nazis als Vergeltungsmaßnahme bei einer Razzia 320 Italiener hinrichteten, des Weiteren, dass sich die VIII. Armee für eine neue Offensive rüstete und dass in den frühen Morgenstunden des 6. Juni
die Alliierten in der Normandie gelandet waren.mm
4
Im November 1944 verkündete Radio London, dass die Kampfhandlungen an der italienischen Front bis auf Weiteres eingestellt würden. Den Partisanen von Oberitalien wurde empfohlen, abzuwarten und die Energie auf Sabotageakte zu verwenden. Großvater meinte, dass der Krieg weitergehe und er nicht bis in alle Ewigkeit den Gast spielen könne, und so zogen sie bald darauf nach Cagliari.
Sie wohnten in der Via Sulis in einem möblierten Zimmer, das auf einen Lichtschacht hinausging. Das Bad und die Küche teilten sie mit weiteren Familien. Ohne gefragt worden zu sein, erzählten die Nachbarinnen Großmutter, was der Familie ihres Mannes an jenem 13.Mai 1943 zugestoßen war.
Außer ihm waren an dem unglückseligen Nachmittag schon alle zu Hause gewesen, denn es war sein Geburtstag, und sie warteten auf ihn, um mit ihm zu feiern. Seine unterkühlte, ziemlich unansehnliche Frau, die allen und jedem misstraute, hatte ausgerechnet an jenem Tag mitten im Krieg eine Torte gebacken und die ganze Familie eingeladen. Gott weiß, wie lange sie gebraucht hatte, um die Zutaten auf dem Schwarzmarkt in Cagliari zu kaufen, wo man den Zucker grammweise erstehen musste, die Arme, ach, die ganze arme Familie! Keiner wusste zu sagen, wie es dazu kommen konnte, dass sie das Haus nicht verließen, um in den Luftschutzbunker im Stadtpark zu flüchten, als der Bombenalarm losging. So absurd es auch klingen mag: Wahrscheinlich war der Tortenboden gerade im Backofen und noch nicht zu Ende gebacken, als die Sirenen losheulten, oder der Teig war noch nicht ganz aufgegangen, jedenfalls wollte man sie nicht zurücklassen, die wunderbare Torte in der toten Stadt.
Das einzig Gute war, dass sie keine Kinder hatten, sagten die Nachbarinnen – eine Ehefrau, eine Mutter, die Schwestern, Schwager, Nichten und Neffen vergaß man mit der Zeit, und Großvater hatte sie schnell vergessen, man musste sich nur die zweite Frau ansehen, die jung und schön war, dann wurde einem klar, dass es ihm nicht schwergefallen sein konnte. Immer war er ein lebenslustiger Mann gewesen, heißblütig, ein Schürzenjäger. 1924, als er noch ein Junge war, hatten die Faschisten ihn gezwungen, Rizinusöl zu trinken, um ihm zu zeigen, wo’s langging, doch er hatte sich stets darüber lustig gemacht, und es schien fast so, als ob ihn nichts umbringen könnte. Nicht gerade ein Kostverächter, was das Essen und den Wein betraf, war er auch in den case chiuse, den Bordellen, ein oft gesehener Gast, was seine erste Frau im Übrigen wusste, die Arme, und wer weiß, wie sie darunter litt, eine Frau wie sie, die an allem und jedem Anstoß nahm; bestimmt ließ sie es niemals zu, dass ihr Mann sie nackt sah, auch wenn es da wohl nicht besonders viel zu sehen gab, meinten die Nachbarinnen; man musste sich fragen, was die beiden so machten, wenn sie allein waren.mm
Großmutter hingegen war da eine ganz andere Frau, ein richtiges Weibsbild, so wie er es sich bestimmt immer erträumt hatte, mit ihren vollen, festen Brüsten, den üppigen schwarzen Haaren und großen Augen, noch dazu war sie eine Seele von Mensch. Man konnte sich ja ausmalen, meinten die Nachbarinnen, welche Leidenschaft zwischen den Eheleuten herrschte und dass es wie ein Blitz zwischen ihnen eingeschlagen haben musste, wenn man bedachte, dass sie innerhalb eines Monats geheiratet hatten.
©dtv©
Literaturangabe:
AGUS, MILENA: Die Frau im Mond. Aus dem Italienischen von Monika Köpfer. dtv, München 2009. 144 S., 7,90 €.
Weblink: