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Mit anderen Worten: einfädeln, stangeln, stopfen

In Jean-Claude Carrières „Mit anderen Worten“ wird der Wortschatz aufgepeppt

© Die Berliner Literaturkritik, 28.07.08

 

BERLIN (BLK) – Im Juni 2008 ist der Briefroman „Mit anderen Worten“ des Drehbuchautors Jean-Claude Carrière beim Alexander Verlag erschienen.

Klappentext: Die junge Schauspielerin Françoise synchronisiert pornografische Filme. In einem Brief an den Autor der Abhandlung zur Entwicklung des erotischen Vokabulars beklagt sie sich über die einfallslosen und armseligen Wörter, mit denen sie arbeiten muß und bittet ihn um Rat. Der alte Linguistikprofessor (im Ruhestand) antwortet ihr mit ausführlichen Briefen, die keine Frage offen und kein Thema unbehandelt lassen.

Jean-Claude Carrière, der berühmte Drehbuchautor und langjährige Mitarbeiter Luis Buñuels, bettet seine fantasievollen und entlegenen Sprachfundstücke, oftmals in den Seiten der Autoren der Weltliteratur aufgespürt (Apolllinaire, Rabelais, La Fontaine, Proust, Zola, Shakespeare, Schiller...), in diesen kleinen Briefroman ein, und beschreibt geistreich und amüsant das, wofür meist nur ordinäre und abgedroschene Formulierungen verwendet werden.

„In manchen Bereichen ist unsere Sprache unerschöpflich.“

Jean-Claude Carrière

 

Jean-Claude Carrière arbeitete zu Beginn der 50er Jahre als Schriftsteller. Erste Kontakte zum Film erhielt er, als Jacques Tati ihn damit beauftragte, Romanfassungen zu zwei seiner Filme zu schreiben. Carrière schrieb daraufhin die Romane zu Die Ferien des Monsieur Hulot und zu Mon Oncle.

Ab 1963 arbeitete Carrière mit dem spanischen Filmregisseur Luis Buñuel. Es entstanden vielschichtige Filme, die durch surrealistischen Einfallsreichtum und exzessiven, schwarzen, subversiven Humor gekennzeichnet sind (Schöne des Tages, Der diskrete Charme der Bourgeoisie, u.a.).

In den folgenden Jahren schrieb Carrière für so unterschiedliche Regisseure wie Milos Forman (Valmont), Louis Malle (Komödie im Mai, u.a.) Carlos Saura, Volker Schlöndorff (Die Blechtrommel, u.a.), Andrzej Wajda (Danton), Philippe de Broca, Jean-Luc Godard (Rette sich wer kann: das Leben) und arbeitete häufig mit Peter Brook (u.a. am Mahabharata).

Carrière war lange Direktor und Lehrer der Pariser Filmhochschule FEMIS.

Außerdem veröffentlichte er zahlreiche Bücher, u.a. mit Umberto Eco oder Gespräche mit dem Dalai Lama. Luis Bunuels Autobiographie Mein letzter Seufzer entstand ebenfalls in enger Zusammenarbeit mit Jean-Claude Carrière. (vol/wip)

 

Leseprobe:

© Alexander Verlag ©

Paris, am 3. September

Sehr geehrtes Fräulein!

Ich danke Ihnen für Ihren Brief, der mich zutiefst berührt und den schlaffen Mann (der ich aber nicht immer war) wachgerüttelt hat.

Die wissenschaftliche Arbeit, die Sie ansprechen und die heute vergriffen ist, hatte den genauen Titel „Abhandlungen zur Entwicklung des erotischen Vokabulars“. Ich habe sie schon vor sehr langer Zeit veröffentlicht, und ich wage zu behaupten, daß sie bis heute unübertroffen ist. Selbstverständlich sind seitdem einige neue Ausdrücke entstanden – die Sprache lebt –, aber ich habe mich immer so gut es ging auf dem laufenden gehalten.

So haben sich ergänzende Notizen zum Buch angesammelt. Sie verteilen sich bereits über meine ganze Wohnung.

Ich glaube, ich kann Ihre heikle Frage beantworten. Sie fürchten, daß Ihr quälendes Problem mir „eigenartig oder unangebracht“ erscheinen könnte. Seien Sie beruhigt: Ich bin glücklich, Ihnen helfen zu können und mein bescheidenes Wissen zu Ihren Füßen zu legen, die ich mir übrigens sehr hübsch vorstelle.

„Es ist kein Handwerk schlecht, doch viele treiben’s nicht recht.“ Sie beschäftigen sich, wenn ich Sie richtig verstanden habe, mit der „Synchronisation“ fremdsprachiger Filme, die, wie Sie sagen, einen entschieden pornographischen Charakter haben, und Sie bedauern den armseligen Wortschatz, der Ihnen vorgelegt wird. Niemand könnte Sie besser verstehen als ich. Es ist vielleicht ein- oder zweimal vorgekommen, seitdem ich im Ruhestand bin, daß ich mich in eines dieser Kinos verirrt habe, und ich war jedes Mal zutiefst betrübt, und zwar nicht über das Gesehene, sondern über das Gehörte. Immer die gleichen abgenutzten und ordinären Wörter. So üppig die Kurven, so flach die Sprache.

Dabei verfügt unsere schöne Sprache, glauben Sie mir, mein Fräulein, in diesem Bereich über wahre, meist verkannte Schätze. Nehmen wir zum Beispiel den Ausdruck Liebe machen, den Sie sicherlich verwenden und der seit immer und ewig durch das Verb ficken ausgedrückt wurde, das seine heutige Bedeutung schon im 16. Jahrhundert bekommen hat und nach und nach das früher verbreitete fickfacken ersetzte, und es lassen sich sofort jede Menge malerische und köstliche Synonyme finden, etwa im Jargon der Schneiderinnen das Wort einfädeln oder, um im Handwerklichen zu bleiben, stangeln und wetzen, die sehr gebräuchlich sind, eigentlich genauso wie pflanzen, stechen, pfropfen, bimsen, und nicht zu vergessen poppen, das in Deutschland sehr beliebt ist und seinen Reiz hat. Man sagt auch, sich poppen lassen, sich ficken lassen, sich vögeln lassen, die alle interessant klingen, sowie – nur zur Erinnerung – sich nehmen lassen, sich bumsen lassen (mit den Varianten einen drüber-, ran- oder reinlassen), das noch handwerkliche fegen („mein kleiner Kamin müßte mal wieder gefegt werden“ schrieb … ich hab’ vergessen, wer). Das ausdrucksstärkste Wort bleibt, nach Ansicht der meisten, ficken, das man mit Adverbien beliebig ergänzen kann, und zwar mit durch und durch, sorgfältig, ordentlich oder je nach Vorliebe und Neigung wild, erbarmungslos, blind drauflos, was das Zeug hält, bis zum Hals, und so weiter. Nicht vernachlässigen sollte man gewisse geläufige und beliebte Ausdrücke wie tupfen, springen, stöpseln und pimpern. Beim Fassbinder läßt man sich anzapfen.

Der Waffenschmied mag einfeuern. Der Polsterer mag lieber stopfen. Man sagt ganz einfach jemanden rumkriegen wie in dem oft gehörten Satz: „Ich hab’ sie rumgekriegt.“ Und selbstverständlich auch aufreißen.

Wenn man das Handwerkliche besonders schätzt, kann man sich beim Tischler und beim Zimmermann dübeln, nieten oder bolzen lassen. Selbstverständlich kann man fast überall nächtigen (manchmal sogar kostenlos) oder sich etwas zustellen lassen, nicht unbedingt nach Hause. Man kann beiliegen, man kann beischlafen; wobei von Schlafen nicht die Rede ist.

Purzelbäume schlagen verströmt frische Landluft. Das gleiche gilt für ackern, bestellen, durchfurchen, durchforsten, aufpfropfen (wie der erste Satz der Wahlverwandtschaften: „Eduard – so nennen wir einen reichen Baron im besten Mannesalter – Eduard hatte in seiner Baumschule die schönste Stunde eines Aprilnachmittags zugebracht, um frisch erhaltene Pfropfreiser auf junge Stämme zu bringen.“), den Dreschflegel schwingen, den Acker pflügen, den Liebstöckel pflücken, den Hahn krähen lassen, sich melken lassen (normalerweise in Handarbeit), die Blätter von unten betrachten – man hört förmlich die Vögel zwischen den Zweigen zwitschern – und das Gänseblümchen entblättern. Ich persönlich schätze sich abrackern, schweißen und schürfen nicht besonders, sie alle erinnern fatal an mühsame Fabrikarbeit.

Ich weise noch auf ein paar ältere Verben hin, einige von ihnen sind nicht mehr in Verwendung, aber man weiß ja nie: bammeln, bletern, bujen, abern, dormen, lunen und munkeln, noch heute zu hören in der Wendung „im Dunkeln ist gut munkeln“. Die italienischen Renaissancedichter bieten einen reichen Schatz an pikanten Ausdrücken wie mit gespanntem Segel in den Hafen fahren, der Lerche das Singen lehren, mit dem Blasebalg das Feuer schüren oder mit der Dame ritterlich ins Turnier ziehen. Zu meinem großen Bedauern sind sie in Vergessenheit geraten.

Man kann, und nicht nur zu Weihnachten, das Christkind in die Krippe legen. Man kann auch sagen Liegestütze machen, ins Schwarze treffen, ins Sommerfeld springen, mit dem Zipfel spielen, Vater- Mutter-Kind spielen, Nachwuchs basteln, Doktor spielen oder einfach herumspielen. Bei Rabelais findet man das Tier mit den zwei Rücken machen, fröhlich die Schwarte aneinanderreiben, bei Shakespeare (Maß für Maß) findet man Forellen in einem fremden Bach fangen, bei Proust heißt es Cattleya spielen (der Name einer Blume, die Odette am Kleid trug) und sich die Pfanne polieren lassen (was eine spezielle Bedeutung hat).

Man spielt auch – verzeihen Sie mir die Inkohärenz dieses Briefes – das Reiterspiel, Bockspringen, Faßreiten oder -wippen, Besen balancieren, Blinde Kuh, Himmel und Hölle, Minigolf. Oder man konjugiert: ich spiele, du spielst, er spielt, wir spielen, ihr spielt, sie spielen.

In Gotteshäusern hört man meist Unzucht treiben und kopulieren. Aber auch eins sein, ein Fleisch sein. Nicht zu vergessen beschmutzen und sündigen. In gewissen Situationen verwenden Kirchenmänner bekanntlich Latein. Dies macht es salonfähig. Aber ich denke, Latein wird Ihnen kaum weiterhelfen bei Ihren Synchronisationen.

Erkennen ist der biblische Ausdruck, ein klassischer Euphemismus. Davon kommt auch kennen und die Wendung ich würde sie gerne besser kennenlernen. Was nicht unbedingt tiefer gehen, noch länger dauern muß, aber es wäre von Vorteil, wenn man dabei kenntnisreich vorgeht.

Man kann auch das Tanzbein schwingen oder ein Tänzchen wagen. Wenn man jung und ungestüm ist, muß man sich die Hörner abstoßen und sich genügend Auslauf verschaffen, eine Anspielung auf das Almleben. Auf jeden Fall muß man die Feste feiern, wie sie fallen.

© Alexander Verlag ©

Literaturangaben:
CARRIÈRE, JEAN-CLAUDE: Mit anderen Worten. Ein erotischer Sprachführer. Briefroman. Übersetzt aus dem Französischen von Nathalie Rouanet-Herlt und Helen Zellweger. Alexander Verlag, Berlin 2008. 196 S., 17,90 €.

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