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Mit leisem Beispiel voran

Ein Finanzinvestor ruft auf zum sanften Wandel

© Die Berliner Literaturkritik, 07.05.09

Wo eine Krise ist, lassen Heilsverkünder und Revolutionäre nicht lange auf sich warten. Mit den Worten von Klaus Woltron ist das koevolutionär bedingt. Auch in der aktuellen Debatte um das wirtschaftliche und politische System der westlichen Welt überschlagen sich die Diagnosen und Rezepte. Zu häufig aber ist die Diskussion nach Meinung des Autors von Eigensinn, Machtgier und Populismus geleitet. Die verschiedenen Lager übertreffen sich immer wieder gegenseitig mit Extremen, beschwören wüste Untergangsszenarien und werben lautstark für ihre Zauberformeln.

Eine wirkliche Lösung kommt nach Woltron aber nur auf sachlichem, nachdenklichem Weg zustande. Nur so könne man einen umwälzenden und vor allem friedlichen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft bewerkstelligen. Mit der „Perestroika des Kapitalismus“ versprechen Autor und Verlag eine kluge Analyse, originelle Ideen sowie praktisch umsetzbare Maßnahmen. Die Schlussfolgerungen seien sowohl für Neoliberale als auch deren Gegner schwer verdaulich.

In Zeiten, in denen Politiker und Experten hilflos erscheinen, wecken solche Sätze große Erwartungen. Wer allerdings nach radikalen Ideen oder einem Aufruf zum Systemwechsel sucht, wird enttäuscht. Der Autor plädiert für kleine Anpassungen und gegen den großen Bruch. Zu sehr habe die Geschichte die katastrophalen Auswirkungen alternativer Systeme und Ideologien aufgezeigt. Woltron hält es da wohl mit Churchill: „Demokratie ist eine schlechte Regierungsform, aber ich kenne keine bessere“.

Auch der Neoliberalismus trage nicht die alleinige Schuld am Übel. Vielmehr habe er verbesserte Lebensumstände für viele Menschen gebracht. Man denke zum Beispiel an Tigerstaaten wie Südkorea, Singapur oder Thailand, wenn auch die Verteilung des Wohlstands ungerecht blieb. Negative Auswüchse habe es aber auch in jeglichen anderen Wirtschafts- und Regierungsformen gegeben. Selbstsucht und Machtgier würden seit jeher dazu führen, dass sich Herrschaft und großer Wohlstand auf einen kleinen Kreis beschränken. Gegenüber anderen wirtschaftspolitischen und staatstheoretischen Systemen habe sich die Kombination aus Demokratie und Liberalismus immer noch als das kleinste Übel erwiesen.

Nun steht aber unsere Welt vor einem ganzen Berg existenzieller Probleme, von denen die Finanzkrise wohl noch eines der kleineren ist. Viele Experten sorgen sich eher um Umwelt, Klima und Frieden. Woltron stellt hier die Frage, welche Ziel- und Steuerungsgrößen in das bestehende System eingebaut werden müssten, um ein neues, weltweit funktionierendes Gleichgewicht herzustellen.

Konkrete politische und rechtliche Maßnahmen seien meist schwer umzusetzen. Es gebe immer jemanden – sei es eine Person, ein Unternehmen oder ein Staat – der sich benachteiligt fühlt, wahrscheinlich dem Konsens nicht folgt und so das Ganze ad absurdum führt. Die Debatten um internationales Recht oder Umweltverschmutzung demonstrieren dies beispielhaft. Aus dem Dilemma zeigt auch Woltron keinen neuen Weg auf. Ihm bleibt in der Konsequenz nur, an die Vernunft des Einzelnen zu plädieren. Ob Bürger, politischer Mandatsträger oder Wirtschaftsboss: Jeder solle für sich mit gutem Beispiel voran gehen, ein Vorbild für seine Nächsten, seine Mitarbeiter oder seine Wähler sein.

Das klingt paradox, wenn man, wie der Autor, die menschlichen Urtriebe mit all ihren egoistischen Auswüchsen als grundsätzliches Übel ansieht. Konsequent resigniert der Autor auch schnell wieder vor seiner eigenen Courage. So schwankt das Buch zum Ende zwischen hoffnungsvollem Appell und düsterer Einsicht. Die Menschen würden wohl nicht eher zu Änderungen bereit sein, bevor sie die Probleme am eigenen Leib spüren. Dass sich Völker und Staaten einigen werden, bevor es vielleicht zu spät ist, hält Woltron für unwahrscheinlich. „Ohne Schock keine Erkenntnis“. Die Einsicht ist tatsächlich schwer verdaulich, nicht nur für Neoliberale und ihre Gegner. Originell und konstruktiv klingt es aber nicht.

 

Von Steffen Vogel

 

WOLTRON, KLAUS: Die Perestroika des Kapitalismus. Ein Aufruf zum Systemwechsel. Residenz Verlag, St. Pölten 2009. 208 S., 17,90 €.


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