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Mit Truman Capote auf Reisen

Die frühen Reiseberichte des amerikanischen Schriftstellers

© Die Berliner Literaturkritik, 21.05.10

Von Dominik Rose

Truman Capote war ein noch junger, aufstrebender Schriftsteller, seine literarischen Welterfolge „Frühstück bei Tiffany“ und „Kaltblütig“ lagen noch in weiter Ferne - und erst recht der spätere Weltruhm und das extravagante High-Society-Dasein, das ihn schließlich zugrunde richten sollte - , als er 1950 diverse Reisereportagen unter dem Titel „Local Color“ veröffentlichte. Seine Impressionen zu Orten und Menschen, die er zwischen 1946 und 1950 bereiste und kennenlernte, belegen zum einen, dass der junge Capote, kaum den Teenager-Jahren entwachsen, schon beachtlich herumgekommen war. Zum anderen verdeutlichen sie, dass in diesen Reiseberichten, die nun im Verlag „Kein & Aber“ (ergänzt mit zwei späteren Texten Capotes) unter dem Titel „Truman Capote, auf Reisen“ in einem sehr schönen, kleinformatigen Band neu veröffentlicht worden sind, bereits alle sprachlichen Qualitäten des begnadeten Beobachters und schelmischen Humoristen Truman Capote vereinigt sind.

Mit einem herkömmlichen Reiseführer, der sich der Historie und den kanonischen Sehenswürdigkeiten eines Ortes widmet, haben Capotes Reportagen erwartungsgemäß nichts gemein. Er selbst bekennt an einer Stelle: „Aus Kirchen und anderen historischen Hinterlassenschaften habe ich mir noch nie viel gemacht, mich interessieren Menschen, Cafés oder die Auslagen in den Schaufenstern.“ Das bedeutet einerseits, dass er sich glücklicherweise keinem pädagogischen Bildungsauftrag verschrieben hat oder seine Leser belehren möchte, andererseits gehen Capotes Texte viel tiefer, als es die zwangsläufig am Allgemeingültigen, am Konventionellen orientierten touristischen Reiseführer von Baedeker & Co. könnten. Ihm geht es um die „Local Color“, also die spezielle Färbung eines Ortes, seinen hintergründigen Charakter, der sich für Capote gerade in den beiläufigen, streng subjektiven Eindrücken offenbart - und besonders natürlich in den Menschen, denen er auf seinen Reisen begegnet.

New York, seit der frühen Jugend seine Heimatstadt, ist für Capote so wie die große Greta Garbo, der er zufällig in einem Antiquitäten-Laden begegnet, bevor sie an der nächsten Straßenkreuzung in eine Wand aus grellem, reflektierenden Licht entschwindet - eine Stadt der unerfüllten Träume, verführerisch und kalt. New Orleans andererseits ist eine alte Welt voller Geheimnisse, mystisch und gewalttätig, eine Märchenwelt mit lauter schrägen Gestalten. So wie die seltsame Mrs. Y., der Capote von Zeit zu Zeit einen Anstandsbesuch abstattet - „Sie ist wie das Piano in ihrem Wohnzimmer, elegant, aber etwas verstimmt“. Capote ist ein meisterhafter Chronist markanter Eigenarten und Abnormitäten, so etwa in der Beschreibung von Mrs. Y. in ihrem alten Haus: „Im Innern allerdings ist die alte Märchenwelt noch spürbar. Wenn etwa ein Geräusch ihres Stöckchens auf der breiten geschwungenen Treppe Kristall zum Zittern bringt. Wenn ihr Gesicht, jenes Herz aus zerknitterter Seide, wie ein Schemen in den deckenhohen Spiegeln erscheint. Wenn sie sich vorsichtig (man beachte, wie sehr sie auf ihre alten Knochen achtgibt), übervorsichtig in den Urururgroßvatersessel niederlässt…“

Los Angeles ist wohl der Ort, der am Schlechtesten davonkommt: Ein seelenloser Moloch, „ortloses Überall“, an dem alles dem Kommerz und Jugendwahn untergeordnet ist und in dem die Schulkinder auf die Frage ihrer Lehrerin, was denn das Gegenteil von „Jugend“ sei, mehrheitlich mit „Tod“ antworten. Capotes Sympathie in diesem grundweg unsympathischen L.A. gilt der jungen, dunkelhäutigen Thelma, die er im Flieger kennenlernt und die ihr Glück in Hollywood als Privatsekretärin eines Filmstars suchen möchte, wie ihr die Tante, eine Kartenlegerin, geraten hat. Bei Capote fallen Wahrheit und Dichtung oft ineinander, der dokumentarische Charakter der Beschreibung wird gewissermaßen durch fabulierende Einfälle - so ist zumindest zu vermuten - ein wenig ausgeschmückt. In diesem Geiste sind seine Reportagen verfasst: Komplexe Eindrücke, auf ein typisches Detail verdichtet.

Die Europareise ist für Capote nach eigenen Worten die Gelegenheit, „etwas noch mit Verzauberung anzuschauen“, „eine Brücke zur Kindheit [und] in die frühesten Landschaften meiner Imagination“. Diese Fähigkeit, neue Eindrücke mit staunendem Blick zu erfassen, zeichnet nicht nur seine Reportagen aus Europa aus. Capote ist stets aufnahmebereit und lässt seine Leser an seinen sinnlichen Erlebnissen mittels einer oft sehr poetischen, metaphernreichen Sprache teilhaben, die weitreichende Assoziationen weckt. Die folkloristischen Impressionen einer Jungfrau-Maria-Prozession auf Ischia, leicht ironisch, doch mit Sympathie beobachtet, oder die ergreifenden Schilderungen landschaftlicher Schönheit, wie an der sizilianischen Küste: „Sobald man aus dem Fenster guckt oder auf die Terrasse hinaustritt, wähnt man sich in einem Schwebezustand zwischen Gebirge und Meer, genau wie die vorbeisegelnden Möwen. Die Dimensionen reduzieren die Umgebung zu einer Spielzeuglandschaft. Die Zypressen schrumpfen zu Schreibfedern, und man meint, ein vorbeifahrendes Schiff mühelos in die Hand nehmen zu können.“

Seine Reisen liefern Capote neben all den sinnlichen Eindrücken auch genügend Stoff, um seine komödiantischen Fähigkeiten auszutoben, seinen Spaß am Skurrilen und Grotesken, der jedoch nie überheblich wirkt, sondern stets Anteilnahme am teils fremden, absonderlichen Dasein der Menschen erkennen lässt, die in Capotes Schilderungen zu seinen Figuren werden, manchmal aber auch aus einem Rabelais-Werk entsprungen sein könnten. Auf der Piazza von Taormina spielt sich zum Beispiel Folgendes ab: „Sooft ich da bin, halte ich Ausschau nach der Metzgerstochter, einem Schwergewicht, das die ganze Woche lang die Fleischeraxt schwingt wie zwei Kerle gleichzeitig. Doch am Sonntag hat sie ihren Auftritt als große Dame, frisch frisiert und eingehüllt in Wohlgerüche, stöckelt sie auf Pfennigabsätzen und an der Seite ihres schmächtigen, kaum schultergroßen Verlobten durch die Straßen. Es ist ein Triumph der Romantik, der selbst den abgefeimtesten Spötter verstummen lässt.“ Eine Zugreise in Süd-Spanien gerät zu einem einzigen komödiantischen Theater-Stück über die südländische Lebensweise, mit einem überfüllten Abteil, einer griesgrämigen Matrone, ihrer flirtwilligen Tochter, einer Gruppe einfacher Soldaten, ihren geckenhaften Offiziers-Vorgesetzten, einem eleganten Mann mit Trauerflor und seinen sechs bildhübschen Töchtern, bezaubernd wie Geranien, einer alten Frau, die ständig vor Rührung weint, und einem alten Mann als blindem Passagier als buntes Personal.

Capotes Leben offenbart sich in seinen Reportagen als ein einziger, langer Urlaub - fast zu schön, um wahr zu sein. Erst der letzte Reisebericht fällt ein wenig aus der Sammlung heraus, wohl auch da er einige Jahre später entstanden ist, genau genommen im August 1966. Seitdem hat sich offensichtlich viel getan. Capote ist zu einer Berühmtheit geworden und reist inzwischen mit der High Society auf einem luxuriösen Kreuzfahrtschiff des millionenschweren italienischen Industriellen Gianni Agnelli. Mit dabei sind unter anderem auch Lee Radziwill, ihres Zeichens jüngere Schwester von Jackie Kennedy und zeitgenössische Society-Diva, sowie Luciana Pignatelli, italienische Prinzessin und Mannequin. Die Schilderung der Kreuzfahrt über die Adria dreht sich nun doch eher um die Kreuzfahrer selbst als um die Küstenbewohner. Es geht um Seekrankheiten und andere Unpässlichkeiten, und am Ende erscheint Capotes beiläufiger Wunsch, in der nächsten Bar „diese köstlichen kleinen Krabbensandwiches mit ein, zwei oder mehr Martinis herunterzuspülen“, fast wie ein tragischer Vorgriff auf seinen eigenen Abstieg. Was folgen sollte, waren Jahre der Alkoholsucht und zunehmenden Fettleibigkeit. Die Brücke zur Kindheit, zum Reich der Imaginationen, war von da ab unerreichbar fern.

Literaturangabe:

CAPOTE, TRUMAN: Truman Capote, auf Reisen. Reportagen. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay. Kein & Aber Verlag, Zürich 2010. 176 S., 14 €.

Weblink:

Kein & Aber


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