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Mit Vollgas die Welt retten

Nicholas Christophers Pulp-Roman „Franklin Flyer“

© Die Berliner Literaturkritik, 14.01.12

Dieser Text erschien erstmals am 9. Dezember 2004 in diesem Literaturmagazin.

Von DENNIS WIPPICH

Der Amerikaner Nicholas Christopher ist bei uns in Deutschland eigentlich erst bekannt, seit 2002 der Roman „Eine Reise zu den Sternen“ (bereits sein vierter) erschien. In den USA gehört er schon länger zu den etablierten Autoren, nicht nur als Romancier, sondern auch als Gedichtschreiber, 1994 wurde er als bester amerikanischer Lyriker geehrt.

Dass der in New York lebende Autor noch nicht ganz im Kanon angekommen ist, beweist seine völlige Nichtberücksichtigung in Martin Schulzes „Geschichte der amerikanischen Literatur“ (Propyläen, 1999). Bedenkt man die Problematik, die mit jeder Kanonisierung einhergeht, muss ihm dies aber nicht zum Nachteil gereichen.

„Magischer Realist der nordamerikanischen Art“

Wolfgang Schneider von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ nannte Christopher im Rahmen seiner Besprechung zu „Eine Reise zu den Sternen“ einen „magischen Realisten der nordamerikanischen Art“. Erzählen bedeute immer, einen Protagonisten loszuschicken und suchen zu lassen, und genau so verhält es sich mit dem nun vorliegenden Roman des New Yorker Schriftstellers.

Christophers jüngster Roman trägt den Titel „Franklin Flyer“. Der titelgebende Held Franklin Flyer hat eben jenen Namen von einer entgleisenden Eisenbahn bekommen, in der er 1907 geboren wurde. Der Geburtsort in Kombination mit dem Unglück gibt den weiteren Verlauf seines Lebens vor, das aus Geschwindigkeit und Katastrophen bestehen wird.

Die Geschichte beginnt damit, dass es dem jungen Franklin den Hut vom Kopf weht, als er auf einem New Yorker Wolkenkratzer steht. Es ist Freitag, der 25. Oktober 1929, der Tag, der als so genannter „Schwarzer Freitag“ wegen der folgenden Weltwirtschaftskrise in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Fälschlicherweise wird im Buch dieser Tag auf den 29. Oktober datiert.

Die Zeit, in der sich der Roman abspielt, umfasst also die Jahre 1929 bis 2007, doch der Schwerpunkt liegt auf den Jahren 1929 bis 1942, die jeweils ein Kapitel bilden. Und Christopher kennt sich aus in der amerikanischen Politik und Alltagskultur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mitsamt deren weltpolitischen Verflechtungen. Der kurze, letzte Abschnitt spielt dann schließlich im Jahr 2007, aber dazu später mehr.

Die Flugbahn seines Hutes führt ihn jedenfalls in ein anderes Bürogebäude, in dem er das Foto einer Frau entdeckt: „Eine hellblonde junge Frau mit olivenfarbener Haut, vollen Lippen und weit auseinanderliegenden Augen stand mit einem Kamelhaarmantel und schwarzen Handschuhen bekleidet auf einer Steinbrücke, die über einen rasch dahinwirbelnden Fluß führte.“

Den Frauen verbunden – gegen die Nazis

Frauen säumen also Flyers Weg, in James-Bond-Manier schafft er es auf vier Frauen (darunter eine schwarze Jazzsängerin), und das Geheimnis der oben beschriebenen Ägyptologin Anita Snow (soviel findet der Held über die Frau heraus) kann er am Ende des Romans endlich entschlüsseln, soll hier aber nicht verraten werden.

Doch das einzig wirklich Beständige in seinem Leben ist die Freundschaft mit seinem Kater Archie, der ihn fast überall hin begleitet. Allerhand Abenteuer erlebt der Held, er wird über Kontinente gejagt, wird zum Geheimagenten, der gegen die Nationalsozialisten und das faschistische Italien kämpft. Für all diese Unternehmungen benötigt er – wie sein Kater – mehr als ein Leben. Gut, dass ihm das ein oder andere Mal ein ungarischer Mafioso namens „Joey the Knife“ aus der Klemme helfen kann.

Doch bevor Franklin auf Nazijagd gehen kann, noch einmal zurück zum Anfang: In weiser Voraussicht kündigt Flyer seinen Job, kurz vor dem erwähnten Börsencrash. Was danach passiert, lässt sich nur mit den amerikanischen Worten „From rags to riches“ beschreiben: Franklin erfindet eine Farbenmischmaschine, baut – mit dem Geld, das er sich durch die Patentierung der Erfindung verdient hat – sein eigenes Medienimperium auf, ist finanziell also so unabhängig, dass er als Agent mal eben die Welt retten kann.

Zwischen „film noir“ und Comic-Strip

An dieser Stelle entwickelt sich der Roman immer mehr zu einem „film noir“, zwielichtige Gestalten tauchen auf, die Nazis sind hinter einem Metall namens Zilium her, das völlige Unverwundbarkeit verspricht. Flyer gelangt in den Hafen von Marseille (ein Hinterhof der Unterwelt), nach Mailand und Athen, oder er trifft mal eben in geheimer Mission seinen Namensvetter: Niemand geringeren als Franklin D. Roosevelt, den Präsidenten der USA (1932-1945).

In Marseille findet unser Held zufällig heraus, dass er mit Narcissa (der oben erwähnten Jazzsängerin) ein gemeinsames Kind hat. Als Narcissa stirbt, passt eben mal Josephine Baker auf das Mädchen auf, bevor es Franklin Richtung USA schicken kann. Eine andere Frauenbekanntschaft – Margarito Cansino, die er in Buenos Aires vor ihrem prügelnden Vater beschützt hat – erweist sich später als eine „Grand Dame“ der Filmkunst: die Hollywood-Größe Rita Hayworth.

Diese Begegnungen mit großen Persönlichkeiten fügen sich ebenso nahtlos in die Handlung ein, wie Exkurse über die ägyptische Mythenwelt oder Ausflüge ins übersinnlich Phantastische. Die Sprache Christophers läuft wie eine vorzüglich gewartete Nähmaschine und sorgt für das entsprechende Tempo.

Am Ende kommt es natürlich noch zu einem richtigen „Showdown“. Eine Agentin (Franklin liebt auch sie) soll die letzte Zilium-Fabrik im deutschen Schramberg in die Luft jagen. Aus Norditalien soll sie schließlich gemeinsam mit Flyer fliehen. Dass bei dieser letzten Operation nicht alles reibungslos abläuft, dürfte klar sein.

Was in diesem Buch alles vermengt wird, ist beeindruckend: Alle möglichen Varianten der Populärkultur werden aufgegriffen, sei es der Krimi- oder Abenteuerfilm aus den 30er und 40er Jahren, seien es Comic- oder Groschenhefte. Das Erstaunliche dabei ist, dass es dem Amerikaner gelingt, alles so miteinander zu verknüpfen, dass erneut ein organisches Ganzes dabei herauskommt. Er verhilft den Genres auf diese Art zu literarischen Ehren, ohne auf der Gratwanderung zwischen Schund(-magazinen) (engl.: ‚pulp magazine’) und Literatur abzustürzen.

Kluge Unterhaltungsliteratur

Befände man sich in der Adorno-Ecke, wäre es möglich, sich mit vollem kulturkritischen Geschütz auf den Roman einzuschießen. Macht man das nicht, hält der Leser einfach einen blendenden Unterhaltungsroman in den Händen, der bis zuletzt fesselt.

Im Jahr 2007, Franklin Flyer ist mittlerweile 100 Jahre alt, kehrt der Roman zu seinem Anfang zurück, denn erneut steht der Protagonist auf einem Wolkenkratzer: „Er stemmte die Hände in die Hüften, und im gleichen Augenblick riß ihm ein Windstoß den Hut vom Kopf. Er ließ ihn fliegen – der Wind trieb ihn himmelwärts, wo er sich in einen goldenen Fleck verwandelte, bevor er ganz verschwand.“ Auf zu neuen Abenteuern!

Nicholas Christopher schreibt mit großer Verve, ohne große Psychologisierungen vorzunehmen, sein Plot ist raffiniert. Man muss also nicht auf Anspruch und Intelligenz verzichten, wenn Franklin einen mitnimmt auf eine Reise voller Unterhaltung und Spannung, mit Spionen, zwielichtigen Gestalten – und wunderschönen Frauen.

Literaturangaben:
CHRISTOPHER, NICHOLAS: Franklin Flyer. Roman. Deutsch von Pociao und Roberto de Hollanda (aus dem Amerikanischen). Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2004. 395 S., 24 €.


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