Von Stephanie Tölle
„Eine Buchbesprechung macht noch keinen Mai.“ Diese redegewandte Gedichtzeile aus „Berliner Elegie“ stammt aus der Feder des noch jungen Hans Sahl und wurde erstmals im Jahre 1928 im Simplicissimus veröffentlicht. Seine Seitenhiebe auf die Engstirnigkeit und Borniertheit vieler Mitmenschen war schon damals charakteristisch. So muteten die Gedichte stets moralisch an, ohne moralisierend zu wirken. In den Gedichten, so scheint es, gelang es Sahl, zu verstehen und ohne steife Verbitterung über die Dinge zu schreiben. Mit der nötigen Wortmacht und Sprachgewalt verbalisierte er jene Missstände, die andere verstummen ließen.
Quer durch sämtliche Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts blieb sich Hans Sahl treu. Eloquenz und Eleganz zieren seine zarten Zeilen. Die Spannweite zwischen verschiedensten Themen ist immens. So sinniert er über alte Dichterfürsten und Vorbilder, wie Heine oder Zuckmayer, aber auch Nachrufe auf längst Vergessene gelingen ihm. In seinen Olymp reiht er all jene ein, die – ihm ähnlich – ehrlich etwas zu sagen hatten. Dabei hat er sich nie auf die Literatur beschränkt, sondern die bildende Kunst ebenso wie die Politik in seine Reflexionen einbezogen.
Und zu erzählen hatte Hans Sahl einiges: Als gebürtiger Dresdner verschlug es ihn bald nach Berlin, wo er sich rasch einen Namen in der Literaturszene machte und als junger Kritiker gefeiert wurde. Doch diese Hoch-Zeit der 20er Jahre währte nicht lange, das Trauerspiel des Nationalsozialismus setzte ein und vertrieb Sahl. Dieser strandete, an der Freiheitsstaue vorbei, in New York. Des Englischen bemächtigt, konnte er brillante Zeitgenossen, wie Arthur Miller oder Thornton Wilder kongenial übersetzen, so dass er in der Sprache beheimatet blieb.
Als einem der Wenigen gelang es Sahl, seine deutschsprachigen Gedichte auf dem amerikanischen Markt zu platzieren – mit Erfolg. Dass sein Gedichtband „Die hellen Nächte“ 1942 in den USA erschien, war eine kleine Sensation. Die Emigration trug ihm einen einzigartigen Erfolg ein, der jedoch für den 1902 Geborenen recht spät kam. Man darf sich fragen, wie dessen Leben ohne eine lange, traurige Flucht hätte verlaufen können.
Seine Rückkehr nach Deutschland erfolgte denn auch entsprechend spät. Erst 1989 ließ er sich in Tübingen nieder, wo er 1993 starb. Große Aufmerksamkeit blieb ihm jedoch verwehrt. Schon während der Nachkriegszeit fiel es ihm schwer, thematisch ins Bild zu passen. Seine Rückkehr nach Deutschland vermochte an dieser Dissonanz nichts zu ändern.
Sahls frühe Gedichte aus dem Band "Wir sind die letzten" (1933-1975) sind in dieser Anthologie neben seinem Spätwerk, "Der Maulwurf" (1992), eingereiht. Bislang unveröffentlichte sowie einzeln veröffentlichte Gedichte runden die Sammlung ab und geben einen umfassenden Einblick in ein ereignisreiches Dichterleben.
Unverständlich bleibt, warum Hans Sahl, der einerseits als einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller gehandelt wird, in zahlreichen Literaturanthologien fehlt. Dabei hat er sich nicht nur als Lyriker, sondern auch als Hörspielautor und Journalist verdient gemacht. Er hat lange Jahre für die Züricher Zeitung und die Süddeutsche Zeitung geschrieben und sogar Theaterstücke verfasst.
Der nach ihm benannte "Hans-Sahl-Preis" wird seit 1995 an Autoren vergeben, deren Werk für die Freiheit des Wortes steht.
Literaturangabe:
SAHL, HANS: Die Gedichte. Luchterhand Literaturverlag, München 2009. 336 S., 19,95 €.
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