„Ich bin ein Pasticheur. Aber weniger aus Opportunismus als aus Aberglauben. Ich habe schon gemerkt, dass ich nur eine Geschichte erfinden kann, wenn ihre Prämisse bereits durch einen der Autoren in meinem persönlichen Pantheon abgesegnet ist. Jeder meiner Romane ist deshalb ein Palimpsest. Kratzen Sie an seiner Oberfläche, und schon finden Sie in der darunterliegenden Schicht einen anderen Roman, normalerweise einen Klassiker.“
So stellt sich der Autor – und Ich-Erzähler – Gilbert Adair (geboren 1944) in seinem jüngsten Roman „Und dann gab’s keinen mehr“ selbst vor. Laut Untertitel soll es sich dabei um den dritten Fall einer gewissen Evadne Mount handeln, die schon zweimal als Heldin von Adair-Krimis fungierte. Diesmal taucht sie erst spät auf, als Figur in einem Spiegelkabinett, das der Autor von der ersten Seite an mit einem Prolog eröffnet, der die Lebensgeschichte eines bulgarischen Schriftstellers namens Slavorigin (!) ausbreitet, dessen Bücher er mit sublimer Gemeinheit beschreibt und so überleitet zu einem Kongress von Krimi-Autoren in Meiringen (Kanton Bern). Dort beziehungsweise in den nahen Reichenbach-Fällen hatte Conan Doyle seinen Helden Sherlock Holmes sterben lassen, ehe er ihn – auf Wunsch zahlreicher Leser – im nächsten Buch wieder auferstehen ließ. Wieder verwendet Adair viel Zeit darauf, die anderen anwesenden Schriftsteller boshaft zu charakterisieren, darunter eben auch Evadne Mount, die aus seinen Romanen ins Leben springt.
Ehe man ob solcher Vermischung von Fiktion und Realität vollends aus der Kurve getragen wird, erfahren wir, dass es sie (als ziemlich erfolglose Autorin) „wirklich gibt“ und nicht nur als Romanfigur: Adair hat sie, mit ihrem Einverständnis sozusagen „benutzt“ – gegen Tantiemen. Schließlich passiert doch noch ein Mord: im Sherlock-Holmes-Museum von Meiringen wird auf Seite 132 Slavorigin mit einem Pfeil erschossen, die Kantonspolizei sucht vergeblich nach dem Täter, Adair und die „echte“ Mount versuchen es auf ihre Weise – und sie finden ihn. Mit tödlichem Ausgang.
Adairs „Palimpsest“ ist ein gescheit angerichtetes Verwirrspiel, das mit den Motiven und Ticks anderer Autoren, vornehmlich englischer Provenienz, spielt und vor lauter Anspielungen manchmal die Fäden zu verlieren scheint. Er nimmt sie alle wieder auf. Der Genuss für ausgebuffte Fans des Genres muss groß sein, für weniger kundige Leser hält er sich in Grenzen.
Der eigentliche Ertrag (neben einiger Spannung: whodunit?) liegt in der Begabung Adairs für Sottisen und einer durchweg boshaften Art des Schreibens. Da kriegen alle ihr Fett weg: er selbst – als Romanfigur – auch. Und natürlich das Internet („Das Internet ist nichts weiter als eine unendliche Bibliothek googleäugiger Ignoranz. Wenn Sie mir nicht glauben: Googeln Sie Tolstoi.“) Das Ganze spielt übrigens im Jahr 2011, also genau zehn Jahre nach dem Terrorangriff auf die Twin Towers in New York und gibt Adair die Möglichkeit, auch noch die Zeit des unseligen Doubleyou nach Kräften zu zausen.
Unser Autor hat Oscar Wildes Techniken gut gelernt. Aber der Spaß lässt bald nach: die Aneinanderreihung von Parodien und Satiren wirkt nach einer Weile nicht mehr so spaßig. Adairs schriftstellerisches Outfit stammt eben doch eher von H&M als aus der Old Bond Street, auch wenn es mit angelsächsischer Nonchalance getragen wird.
Literaturangaben:
ADAIR, GILBERT: Und dann gab’s keinen mehr. Roman. Übersetzt aus dem Englischen von Jochen Schimmang. C. H. Beck Verlag, München 2008. 272 S., 18,90 €.
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