FRANKFURT AM MAIN (BLK) – Im September 2008 ist das Sachbuch „Wenn Frauen Morden. Spektakuläre Fälle – vom Gattenmord bis zur Serientötung“ von Stephan Harbort im Eichborn Verlag erschienen.
Klappentext: Morden Frauen anders? Der Serienmordexperte Stephan Harbort erzählt die Geschichte der Taten und analysiert Motivation, Persönlichkeit und den sozialen Hintergrund der Täterinnen — spannend, authentisch und aufwühlend. Sie agieren still, unauffällig und kaltblütig: „Das Blaubeer-Mariechen“, das sich mit Pflanzengift ihrer Ehemänner und anderer Familienangehöriger entledigt, die Dorfschönheit, die tödlichen Enzian verabreichen lässt, die Krankenpflegerin, die ihre Patienten umbringt, die Mutter, die ihre Kinder tötet. Und zuletzt die „Schwarze Witwe“, die im Verdacht steht, vier vermögende Männer getötet zuhaben, um an ihr Geld zu kommen. Schon immer haben Mörderinnen größeres Entsetzen hervorgerufen als mordende Männer, stehen sie doch in krassem Kontrast zum Bild der Frau als Lebensspenderin. Alle von Stephan Harbort so spannend wie beklemmend beschriebenen Fälle aus den letzten Jahren und Jahrzehnten haben hohe öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Und immer hat diese Reaktion, der „öffentliche Aufschrei“, auch etwas über das Innenleben unserer Gesellschaft ausgesagt. In seinem neuen Buch geht Deutschlands renommiertester Serienmordexperte den psychologischen und sozialen Spuren weiblichen Tötens nach.
Stephan Harbort, geboren 1964, Kriminalhauptkommissar, entwickelte international angewandte Fahndungsmethoden, die Bestandteil des Profiling zur Überführung von Serienmördern sind. Zudem ist er Fachberater bei TV- und Radio-Dokumentationen und war beratend bei Krimi-Serien und Kinofilmen wie „Hannibal“ oder „Zodiac“ tätig. Stephan Harbort wurde durch seine TV-Auftritte bei Günther Jauch und Johannes B. Kerner einem breiten Publikum bekannt. Seine zahlreichen Bücher (aktuell: „Das Serienmörder-Prinzip. Was zwingt Menschen zum Bösen?“) sind kriminalistische Bestseller. Von 1997 bis 2007 führte Stephan Harbort Interviews mit 51 verurteilten Serienmördern in Justizvollzugsanstalten und psychiatrischen Krankenhäusern. Er lebt mit seiner Familie in Düsseldorf. (bah)
Leseprobe:
© Eichborn Verlag ©
Die Mörderin und das Böse
Kriminelles Verhalten beunruhigt den Menschen, weil es seine Sicherheit grundsätzlich infrage stellt. Dies gilt umso mehr, wenn er seine Freiheit bedroht sieht – oder das eigene Leben. Diese Beunruhigung kann sich bis zum Entsetzen steigern, wenn nicht einfach nur ein Mensch getötet wird, sondern dabei gleichsam grundlegende gesellschaftliche Erwartungen verletzt werden. Wenn Frauen morden, ist das der Fall. Denn Tötungskriminalität ist vornehmlich Männersache, es gibt beispielsweise (fast) keine Amokläuferin, Sexualmörderin, Raubmörderin oder gar Massenmörderin. Männliche Gewalt ist der gesellschaftlich akzeptierte Maßstab für Normverletzungen und Unterdrückung, die tötende Frau hingegen ist der verstörende und betörende Gegenentwurf. Einerseits büßt der Mann seine Dominanz ein, andererseits macht gerade dieser Tabubruch Mörderinnen besonders anziehend.
Frauen, die ihrer zuallererst mütterlichen sozialen Rolle nicht entsprechen und mit ihr brechen, sind nicht nur Rechtsbrecherinnen, sondern auch böse. Denn das Böse gehört nicht zu den Themen, denen man mit bewährten Problemlösungsstrategien beikommen könnte, es steht als Sammelbegriff für Grausamkeit und Zerstörung, mit der wir nicht rechnen und für die wir zunächst keine Erklärung haben. Wer weiß schon sicher zu sagen, warum Frauen morden? Der besondere Schauder wird auch durch die Fantasie hergestellt, die Leerstellen solcher Verbrechen wollen ausgefüllt werden. Die Täterin wird darum zunächst entweiblicht, dann entmenschlicht. Und die Taten von Mörderinnen lösen mitunter nicht nur Bestürzung aus, sondern auch Hass. Jede Frau, die gesellschaftliche Konventionen bricht und das weibliche Geschlecht in Verruf bringt, eignet sich besonders für Projektionen des Bösen und als Hassobjekt.
Weil wir noch so wenig über die Täterinnen wissen und sie auf uns extrem abstoßend wirken, sind diese Frauen aber auch besonders interessant. Die gemeine Mörderin wird deshalb lustvoll angeprangert und öffentlich vorgeführt, ihre Lebensgeschichte weidlich ausgeschlachtet. Und ihre Namen stehen häufig nicht nur für böse Taten, sondern für das Böse schlechthin. Deshalb wird, wenn eine Frau gemordet hat und überführt worden ist, meist auch ein Medienspektakel daraus. Der Fall Monika Böttcher (besser bekannt als Monika Weimar) beispielsweise hielt diese Republik zwanzig Jahre lang in Atem: Am 7. August 1986 werden Melanie und Karola gefunden, ihre 5- und 7-jährigen Töchter sind erwürgt beziehungsweise erstickt worden. Erst gerät der Vater in Verdacht, dann die Mutter, schließlich wieder der Vater, letztlich doch die Mutter. Monika Böttcher wird verhaftet, und es beginnt ein juristischer Verhandlungsmarathon, keine Instanz bleibt ausgespart, bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht. Ein ganzes Land diskutiert diesen Fall und seine möglichen Hintergründe über viele Jahre hinweg, immer wieder angestachelt von den Medien: War sie es? Oder doch der Vater? Oder vielleicht beide? Und welche Rolle spielt der Geliebte von Monika Böttcher, ein amerikanischer Soldat? Erst am 22. Dezember 1999 wird das letzte Urteil gesprochen, an diesem Tag endet eines der spektakulärsten Justizdramen der Bundesrepublik: 15 Jahre Haft für Monika Böttcher. Wäre der Täter ein Mann gewesen, dieser Fall wäre, wie viele vergleichbare auch, lediglich eine Fußnote der deutschen Kriminalgeschichte. Meist richtet sich weibliche Gewalt gegen den Partner oder die eigenen Kinder. Frauen versuchen, sich aus der überwiegend männlichen Dominanz zu lösen, notfalls mit allen Mitteln. Diese Tatmuster sind bekannt und auch recht gut erforscht. Die Tötung des Intimpartners und die generellen Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Tätern und ihren Taten sind demzufolge nur ein Randthema dieses Buches. Im Wesentlichen sollen besondere Formen der weiblichen Tötungsdelinquenz beschrieben und beleuchtet werden, die von der Wissenschaft bisher entweder stiefmütterlich oder gar nicht behandelt worden sind, etwa der Gattenmord, bedingt durch eine verhängnisvolle Dreiecksbeziehung, in der irgendwann ein Mann zu viel da ist und aus Sicht der Täterin beseitigt werden muss. Aber warum trennt man sich nicht einfach oder lässt sich scheiden, wie Millionen anderer Paare auch? Warum werden unliebsam gewordene Ehemänner heimtückisch ermordet?
Zu den bisher kaum erforschten Deliktsbereichen gehört auch die Tötung von Neugeborenen durch die Mutter. Es vergeht mittlerweile keine Woche, in der nicht über den Fund einer Babyleiche berichtet oder eine ganze Serie von Kindestötungen aufgedeckt wird. Jedes Mal sind Entsetzen und Empörung besonders groß, verständlicherweise, berechtigterweise. Die Vorstellung, dass die Mutter, der man sein Leben verdankt, dieses auch böswillig auslöschen kann, dass sie sich an wimmernden und wehrlosen kleinen Menschenwesen vergreift und sie qualvoll tötet, widerspricht unseren Erwartungen und unserer Lebenserfahrung so deutlich und erschüttert unser Urvertrauen in mütterliches Handeln so heftig, dass das Bedürfnis nach Aufklärung besonders groß ist. Wer sind diese Mütter? Warum tun sie das? Und was kann getan werden, damit es nicht immer wieder dazu kommt? Besonders angsteinflößend sind Tötungsverbrechen, wenn sie in Krankenhäusern oder Pflegeheimen passieren, Orten, an denen man sich besonders sicher und geborgen glaubt, wo kranke Menschen geheilt und ältere Menschen gepflegt werden sollen. Und genau dort begegnet uns das Böse, genau hier wird immer häufiger gemordet, willkürlich, kaltblütig, nahezu ausnahmslos in Serie. Es könnte jeden von uns treffen. Was treibt Frauen, die aus Überzeugung Krankenschwestern und Pflegerinnen geworden sind, um zu helfen, zu solch ruchlosen Verbrechen? Ist es tatsächlich Mitleid mit den Patienten, die von ihren Leiden erlöst werden sollen? Und wie ist es zu erklären, dass diese Serientötungen, bei denen besonders viele Opfer zu beklagen sind, passieren, obwohl die Täterinnen im Regelfall schnell unter Verdacht geraten, aber trotzdem ungehindert weitertöten können? Die Serienmörderin nimmt im Bereich der weiblichen Tötungsverbrechen allein schon deshalb eine besondere Stellung ein, weil es bisher nur wenige Täterinnen gegeben hat, und zwar weltweit. Seriell mordende Frauen sind uns besonders unheimlich, und wir halten die Täterinnen für besonders böse, weil sie nicht nur heimtückisch morden, sondern dabei nichts empfinden. Ihre Taten schaffen es mühelos auf Seite 1 der Bild-Zeitung, aber auch in die Tagesschau. Welche Motive haben diese Frauen? Was unterscheidet sie von männlichen Tätern? Und wie gelingt es ihnen, ihre Taten nicht nur vor der Polizei zu verbergen, sondern auch vor dem eigenen sozialen Umfeld? Morden Frauen gerissener und raffinierter als Männer?
Unabhängig von Täterinnen und Taten muss auch der gesellschaftliche Kontext ausgeleuchtet und verstanden werden, in dem solche Verbrechen passieren: die konkreten Tatsituationen, die sozialen Rahmenbedingungen. Wer außer der Täterin hat noch dazu beigetragen, dass es so weit kommen konnte? Wer hat Mitschuld? Wer hat noch versagt? Vielleicht stellt sich bei der Untersuchung dieser Fragen sogar heraus, dass das Böse in der Mörderin nur eine Illusion ist.
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Literaturangaben:
HARBORT, STEPHAN: Wenn Frauen morden. Spektakuläre Fälle – vom Gattenmord bis zur Serientötung. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2008. 208 S., 16,95 €.
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