Von Gerd Korinthenberg
SOLINGEN (BLK) – Vor genau 75 Jahren, im Mai 1933, loderten Scheiterhaufen in vielen deutschen Städten. Eine johlende Menge verbrannte die Bücher von Freud und Kafka, von Brecht, Benjamin und vielen anderen: Die dem Nazi-Wahn verfallene Nation entledigte sich ihrer Literatur. Erst mit seinem 1977 erschienenen Buch „Die verbrannten Dichter“ hat der Hamburger Publizist Jürgen Serke Deutschland wieder mit den NS-verfemten Schriftstellern bekanntgemacht und einer ganzen literarischen Gattung einen einprägsamen Namen gegeben.
Nun bekommen Dutzende der Verfolgten, Verdrängten und „Vergessenen“ wie der Dramatiker Ernst Toller oder die Lyrikerinnen Else Lasker-Schüler und Mascha Kaléko endlich ein sicheres Domizil: Das Museum Baden in Solingen zeigt ab Sonntag (30. März 2008) als Dauerausstellung mit Erstausgaben, Manuskripten, Briefen und Fotos den Kern der bedeutenden Sammlung, die Serke über viele Jahre zusammengetragen hat.
Ergänzt wird die Solinger Literatur-Dokumentation von Gemälden und Grafiken „entarteter“ und teils ermordeter Künstler als Auswahl aus der über 2000 Werke umfassenden Sammlung Gerhard Scheider. Damit wird das Museum in der rheinischen Provinz zum überfälligen und einzigartigen Gedächtnisort für eine verlorene Generation Intellektueller.
Ganze „Erzählungen“ füllen die geschickt eingerichteten Vitrinen: Ernst Tollers Kriegsdrama „Hinkemann“ (1923) steht in enger Beziehung zu Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ (1947) als literarische Aufarbeitung des Krieges. In einem Brief von 1934 teilt der undogmatische Sozialist Toller nicht ohne Stolz mit, dass er 20 Autoren gewonnen habe, um die Ehefrau des KZ-inhaftierten Publizisten Carl von Ossietzky zu unterstützen. „Irgendwo mal in einem Antiquariat“ habe er diesen Brief aufgestöbert und als Beleg der Solidarität in dunkler Zeit erworben, erinnert sich Serke, der mit sicherem Griff viele der langsam verwischenden Spuren der Verfemten für die Nachwelt gesichert hat.
Zu den Vergessenen, deren dramatisches Leben hinter Vitrinenglas Revue passiert, zählen der jüdische Bauernsohn und Auschwitz-Überlebende Hugo Sonnenschein oder der Lyriker und Willy-Brandt-Gefährte Karl Gerold, der sich über den Rhein nach Basel retten konnte und 1946 erster Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“ wurde. Aus dem Nachlass der frechen Dichterin Kaléko, die mit Kästner, Mehring und Tucholsky befreundet war, stammen anrührende Fotos. Eine ganze Serie von Zeichnungen lässt neben raren Erstausgaben und Manuskripten die fantastische Welt der 1945 im Jerusalemer Exil gestorbenen Else Lasker-Schüler, der „größten Lyrikerin, die Deutschland je hatte“ (Gottfried Benn), lebendig werden.
„Heldensterben in der DDR“ nennt Serke sarkastisch die Belege zu den Widerstands-Autoren wie Anna Seghers oder Johannes R. Becher, die sich später willig der SED-Diktatur unterwarfen. Mit Dokumenten zum Leben der mutigen und am Ende depressiven DDR-Schriftstellerin Inge Müller, Frau des Dramatikers Heiner Müller, zeigt die Ausstellung aber auch, „wie sich Widerstand gegen die sozialistische Männerwirtschaft entwickelt“, kommentiert Serke. Schließlich will das neue „Museum der verfolgten Künste“ grundsätzlich dokumentieren, wie sich der wahre Geist gegen dumpfe Diktaturen aller Ideologien sträubt.
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