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Mutter und Sohn

Per Petterson schreibt ein Buch über eine letzte Annäherung

© Die Berliner Literaturkritik, 09.04.10

München (BLK) – Im Herbst 2009 erschien im Hanser Verlag Per Pettersons neuer Roman „Ich verfluche den Fluss der Zeit“.

Klappentext: Als Arvids Mutter im November 1989 erfährt, dass sie Krebs hat, beschließt sie, noch einmal ein paar Tage in der Heimat, in ihrem Sommerhaus auf Jütland zu verbringen. Weder ihren Mann noch die erwachsenen Söhne will sie in Dänemark dabeihaben. Doch Arvid, der schon immer das Sorgenkind der Mutter gewesen ist und nun vor der Scheidung steht, reist ihr Hals über Kopf nach. In raffinierten Rückblenden erzählt der in Norwegen mehrfach ausgezeichnete Roman eine Geschichte von Mutter und Sohn, Alter und Jugend, Kränkungen und nachgetragener Liebe. Wo den Figuren die Worte fehlen, beschreibt Per Petterson in dichter Sprache und unvergesslichen Szenen, was sie bewegt.

Per Petterson, 1952 in Oslo geboren, arbeitete als Buchhändler und Übersetzer, bevor er sich als Schriftsteller etablierte. Für seinen Roman „Pferde stehlen“ (2006) wurde er mit dem Independent Foreign Fiction Prize ausgezeichnet. Für den vorliegenden Roman erhielt er den bedeutendsten norwegischen Literaturpreis, den Brage-Preis, den Norwegischen Kritikerpreis und den Preis des Nordischen Rats. Bei Hanser erschienen außerdem die Romane „Sehnsucht nach Sibirien“ (1999), „Im Kielwasser“ (2007) und „Ich verfluche den Fluss der Zeit“ (2009).

 

Leseprobe:

©Carl Hanser Verlag©

Als wir ins Ferienhaus kamen, waren wir beide ein wenig durchgefroren. Ich stellte die Flasche auf den Tisch in der Stube und ging zu dem Jøtul-Ofen, den mein Vater bei einem Fabrikverkauf erstanden und hierher hatte schicken lassen, wo der Schornstein fertig gemauert bereitstand, und so konnten meine Mutter und mein Vater in einem Haus, das eigentlich ein Sommerhaus war, nach Herzenslust Feuer machen und auch zu anderen Jahreszeiten als in den warmen Monaten wohnen.

Auf dem Feuerbock lag Holz, ich ging auf die Knie und ordnete es luftig an, und mit ausreichend Spänen bekam ich das Feuer in Gang, da der Ofen gut zog. Es war ein guter Ofen, die Wärme begann sich im Zimmer zu verteilen, sobald die Flammen hinter dem Gusseisen hochschossen, und als ich die Wärme im Gesicht spürte, wurde ich sogleich müde. Ich schloss die Augen.

„Ich werde geschieden“, sagte ich.

„Das hast du schon gesagt“, sagte sie. „Ich weiß allerdings nicht, warum.Warum du geschieden wirst.“ Sie war irgendwo hinter mir. In der Essecke vielleicht. Ich starrte in den Ofen. Er brannte jetzt wirklich gut.

„Es geht einfach nicht mehr“, sagte ich und merkte, dass es klang, als wäre es meine Idee,meine Konsequenz, aber das war es nicht.

„Es ist wohl eher sie, die sich scheiden lassen will“, sagte meine Mutter.

„Warum sagst du das?“

„Ich kenne dich“, sagte sie.

„Du kennst mich nicht“, sagte ich, darauf antwortete sie nicht einmal mehr. „Du könntest selbst geschieden sein“, sagte ich.

„So, meinst du? Aber ich bin nicht geschieden.“

„Wenn du mich so gut kennst, warum weißt du dann nicht, warum ich geschieden werde?“

„Ach, Arvid“, sagte sie, „lass gut sein.“

Ich öffnete die Augen. Ich kniete immer noch vor dem Ofen. Ich stand langsam auf, drehte mich um und sah sie an.

„Ich glaube, ich muss mich kurz hinlegen“, sagte ich. „Eine halbe Stunde oder so, wenn es für dich in Ordnung ist?“

„Es ist völlig in Ordnung“, sagte meine Mutter. Sie hatte sich an den Tisch gesetzt und eine Zigarette angezündet, und ihre Stimme klang merkwürdig gedämpft, fast flach, wie von hinter einer Wand. Daraufhin ging ich nicht in eins der zwei kleinen Schlafzimmer, wie ich es sonst getan hätte, um mich dort ins Bett zu legen, sondern legte mich auf das alte Schlafsofa in der Stube, denn ich wollte nicht allein sein, wenn ich schlief, auch wollte ich nicht, dass sie ohne mich war, solange sie wach war. Anfangs schwankte das Schlafsofa im Zimmer wie noch vor wenigen Stunden das Schiff, und mir wurde etwas übel, aber dann gewöhnte ich mich daran, und mit der Zeit fand ich es angenehm. Der dicke Sofabezug roch nach Sommer und Sechzigerjahren, und ich hörte,wie meine Mutter am Tisch in einem Buch blätterte, Auf Messers Schneide vermutlich. Und dann hörte ich das leise Geräusch des Feuerzeugs, als sie ihre Zigarette wieder anzündete, und ich ließ los, fiel in freiem Fall und schlief ein, bevor ich unten auftraf.

©Carl Hanser Verlag©

Literaturangabe:

PETTERSON, PER: Ich verfluche den Fluss der Zeit. Hanser Verlag, München 2009. 240 S., 17,90 €.

 

Weblink: Hanser Verlag


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