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Nach Berlin, nach Berlin, nach Berlin!

Eine Ringelnatz-Biographie von Frank Möbus

© Die Berliner Literaturkritik, 08.01.10

Von Klaus Hammer

Bitternis, Melancholie, Clownerie, Leiden an der Zeit, harte Schale, hinter der aber eine „zarte Weltseele“ durchscheint - das sind die Elemente seiner Poesie. Zeitlebens wollte Joachim Ringelnatz, der eigentlich Hans Bötticher hieß, anders sein, als er sich gab. Aber er war rettungslos auf sich selber zurückgeworfen. Das hat er in grotesken lyrischen Figurationen ebenso rücksichts- wie rückhaltlos ausgesprochen. Denn Ringelnatz ist Bekenntnis- und Gelegenheitsdichter. Viele seiner Gedichte haben die Funktion von Briefen, Kartengrüßen, Widmungen, Dankadressen. Die Rückhaltlosigkeit von Ringelnatz resultiert dabei nicht in großen Worten, sondern immer im Bezug auf das Alltägliche.

Seine künstlerische Laufbahn begann Ringelnatz in der Schwabinger Künstlerkneipe „Simplicissimus“, wo er als Hausdichter und Kabarettist tätig war. 1920 erhielt er ein Engagement an der Berliner Kleinkunstbühne „Schall und Rauch“ von Hans von Wolzogen. Er unternahm Tourneen im deutschsprachigen Raum und trug seine eigenen Dichtungen unter dem 1919 gewählten Namen Ringelnatz vor - der seemännischen Bezeichnung für das Glück bringende Seepferdchen, dieser Name sollte ihn schützen wie eine „Tarnkappe“. Er betätigte sich auch als Maler und schuf über 200 Ölbilder, Aquarelle und Zeichnungen.

Mit den beiden Bänden von 1920 war ihm der Durchbruch gelungen: „Turngedichte“ und „Kuttel Daddeldu oder das schlüpfrige Leid“. Die „Turngedichte“ geben sich so, als ob sie der jeweiligen Turnübung synchron liefen. Jede einzelne Übung oder Sportart wird in Richtung der ihr innewohnenden Möglichkeiten übersteigert. Dabei wird das Groteske an den Punkt getrieben, an dem es in schieren Irrsinn umschlägt. Das Gedicht bricht in dem Augenblick ab, in dem sein Gegenstand zerbricht. Es ist, in übertragenem Sinne, ein Salto mortale mit tödlichem Ausgang. Zugleich sind diese Groteskgedichte durchweg literarische Parodien: Ringelnatz nutzt tradierte literarische Formen, Reminiszenzen, Assoziationen, Zitate und Fehl-Zitate, um im Medium des Turnens seine Zeit insgesamt lyrisch zu attackieren. Gelegentlich verwendete er die Form des Rollengedichts, um Leid, Groll, Angst, Hoffnung artikulieren zu können: „Die Lumpensammlerin“, „Stimme auf einer steilen Treppe“, „Worte eines durchfallkranken Stellungslosen in einen Waschkübel gesprochen“. Den täglichen Existenzkampf meistern seine Außenseiter und Armen mit einem Mundwerk, das sich um Konventionen und Etiketten wenig schert.

Das Rollengedicht wird schließlich an eine andere Figur delegiert, das andere Ich des Dichters, die „Tarnkappe“, die nicht verbirgt, sondern enthüllt: den Seemann Kuttel Daddeldu. Mit den moritatenhaften Seemannsliedern, in denen der Titelheld von wilden Seefahrten und nicht weniger chaotischen Binnenlandaufenthalten in Hafenkneipen, Bordells, bei der festen Braut Marie, die aus Bayern stammt, und Kindern in aller Herren Ländern Bericht gibt, tingelte Ringelnatz in den 20er und frühen 30er Jahren quer durch Deutschland. Die Moral, die sich auf diese Welt beziehen lässt, ist banal und nüchtern, zuweilen zynisch und brutal:

„Du musst die Leute in die Fresse knacken…

Und wenn du siegst: so sollst du traurig gehen,

Mit einem Witz. Und sie nicht wiedersehen.“

Frank Möbus, Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Göttingen und Herausgeber mehrerer Ringelnatz –Bände,  hat jetzt Gedichte, Prosa und Dokumente aus Ringelnatz’ Berliner Zeit zusammengefasst und sie mit Zeichnungen, Aquarellen und Gemälden des Dichters versehen. Seit 1920, seit seinem Engagement an der  Kleinkunstbühne „Schall und Rauch“, kannte Ringelnatz Berlin und 1930 bis zu seinem Tode 1934 sollte die Metropole sein ständiger Wohnsitz werden. 1929 heißt es in dem Gedicht „Sehnsucht nach Berlin“:

Berlin wird immer mehr Berlin.

Humorgemüt ins Große.

Das wär mein Wunsch: es anzuziehn

Wie eine schöne Hose.

 

Und wär Berlin dann stets um mich

Auf meinen Wanderwegen.

Berlin, ich sehne mich in dich.

Ach komm mir doch entgegen.

Es kam ihm entgegen, dieses Berlin der Weimarer Republik, das Ringelnatz auf seinen Wanderwegen durchstreifte, tagsüber und in der Nacht, zu allen Jahreszeiten, auf den Straßen und in den Hinterhöfen, in den Parks und Biergärten,  in der „Herren-Bar“ und bei den Prostituierten. „Unter den Linden / Schwindet der Hass, /  Sieht man immer etwas / Um die Ecke verschwinden“. Ihm begegnen die Lumpensammlerin und  „schöne Fraun mit schönen Katzen“, ihn stört das Reden, „weil es nichts Neues dir enthüllt“, und so zieht er sich müde in seine vier Wände zurück: „Leg dich in deine Hände, / Dann schäumt das schillernde Berlin / Um deine ernsten Wände. - - / Dein Schiff wird in die Ferne ziehn“.  Und immer wieder bricht die unerschütterliche Liebe zu seiner Frau durch, die er  zärtlich „Muschelkalk“ nannte und der er in einem „Privat-Telegramm“ anvertraut: „Unsrer beider Herzen mögen schwer sein /  Durch gemeinsames Missgeschick. / Aber keine Stunde zwischen uns darf liebeleer sein. // Denn ich liebe dich durch dick und dünn“. Er dankt dem Stück Bindfaden, das er fand: „Bindfaden, du dünne Kleinigkeit / Wurdest mir zum Tau. - /  Damals war Hungerszeit; / Und ich hätte ohne dich in jener Nacht / Den Kartoffelsack nicht heimgebracht“. Da steht ein Mann, „der unverwandt nach einem Fenster sah“,  und dieser Anblick lässt ihn nicht mehr los: „Zu sehen, wie der Mann dort stehen bleibt; /Vielleicht sind wir dann nur sentimental“. Die Klugheit der Krähe, die weiß, „was hinter Vogelscheuchen steckt“, imponiert ihm ebenso sehr  („Sie torkelt scheue Ironie, / Flieht souverän beschaulich. / Und wenn sie mich sieht, zwinkert sie / Mir zu, doch nie vertraulich“) wie ihn ein „regenzerschlagener Schmetterling. – Arm Ding!“  zu Tränen rührt. Der Wandel und das Unbestimmbare bei Ringelnatz wird in allen Spielarten gezeigt: witzig und voller Tristesse, deftig und zart, spielerisch und erschütternd ernsthaft, aber auch sentimental-romantisch, lyrisch-heiter und bizarr-grotesk oder unheimlich bis gewalttätig-abstoßend.

Die innere Misere der Weimarer Republik lässt sich aus Ton, Thematik und Tendenz seiner Berlin-Gedichte aufs Genaueste erschließen. Eigene Verworrenheit und Lust am Verwirren bedingen einander wechselseitig. Je mehr sich Ringelnatz auf sich selbst, dickhäutig, aber hochgradig schmerzempfindlich, zurückzieht, desto stärker wird er zum Medium seiner Epoche. Instinktsicher bevorzugt er die Form der poetischen Epistel. Sie  ist bei Ringelnatz nicht Mittel gedanklicher Kommunikation im Sinne der Aufklärung, sondern beiläufige, gebrochene, verschrobene Übermittlung von Gefühlen, Stimmungen, Befindlichkeiten. Ringelnatz liefert eine lyrische Topografie Berlins. Markiert wird nur das, was der Dichter zu assimilieren vermag. Der reisende Artist, der er trotz seines Wohnsitzes in Berlin geblieben ist, Sinnbild des unbehausten Menschen, bewegt sich am Rande der Gesellschaft, er hat Angst, das Leben zu versäumen und verfehlt es dann auch wirklich permanent. Bescheiden, zermürbt, überflüssig, wagt er doch den Protest. Dass sich dieser Protest letzten Endes nicht politisch artikuliert, ist selber wieder politisches Symptom.

Und doch stimmt das so nicht. Ja, die Welt wird als bekannt vorausgesetzt, dann aber – mit der Beiläufigkeit des „Allerdings“, so der Titel des 1928 erschienenen zentralen Gedichtbandes – leise, aber energisch in Frage gestellt. Ohne rigoroser Moralist zu sein, unterscheidet Ringelnatz sehr genau zwischen Gut und Böse. Seine Liebe gilt den Kleinen und Unscheinbaren, sein Hass denen, die sich aufspielen, die mehr sein wollen, als sie sind. „Nichts stimmt, was mir begegnet“, stellt Ringelnatz fest. Bündiger hat keiner die Atmosphäre der 20er Jahre getroffen. Liebe und Freundschaft sind bei Ringelnatz nicht zu trennen. Denn jede Liebe ist Freundschaft, ist nichts weiter als zarte, das Eigensein des anderen achtende Berührung. Die Intensität des Fühlens verbirgt sich hinter scheuen Gesten, deren Unbeholfenheit sich auch sprachlich manifestiert.  Bevorzugte Geste ist die  des Schenkens, in der immer zugleich auch die Geste des Opferns verborgen ist. Wenn Ringelnatz auf die Erfahrung des Einzelnen mit der Welt schlechthin zu sprechen kommt, dann versagt stets eines am anderen. Dieses Versagen wird vorzugsweise in Monologen ausgesprochen. Die Reduktion des lyrischen Ich vom Menschen auf das Tier dient dann gelegentlich dem schärferen Herausarbeiten dieses Versagens: „Immer noch studiere  / Ich am kleinsten Tiere: / Welche himmelhohen Rätsel es gibt“. Dabei schlagen Strukturelemente der tradierten Fabel durch. Hinzu tritt die Wortverkehrung, der Wortwitz, das Wortspiel. Doch allzu oft sinkt das Wortspiel auch zum Kalauer ab. Stärker ist Ringelnatz dort, wo er sich die Auflösung der Sprache als Medium der Kommunikation zunutze macht. Einsamkeit ist, verschärft, Kommunikationslosigkeit. Wo dieses Problem thematisiert wird, das sind die Gedichte über Dichtung. Vermittels des Gedichts wird demonstriert, dass es unmöglich ist, Gedichte zu schreiben. Auch das „Unanständige“ vieler Gedichte von Ringelnatz ist wohl nur eine Form, diese „Unmöglichkeit“ zu bekunden.

Im öffentlichen Bewusstsein hatte sich Ringelnatz zwar das Image eines Komikers und Humoristen geschaffen, als ernsthaften Dichter hat ihn dabei aber kaum jemand wahrgenommen. Erich Kästner hat das schon 1924 bedauert: „Es ist so traurig, dass sich die meisten gewöhnt haben, über Ringelnatz als einen Hanswurst und Suppenkaspar zu lachen. Erkennen denn so wenige, dass man keine Kabarettnummer, sondern einen Dichter vor sich hat?...Ringelnatz ist ein Dichter. Und bei Gott kein geringer.“

Großstadt- und  Seemannsgedichte, Kinderlyrik, Liebesgedichte, Lieder, Parodien, Episteln, Epigramme, Chansonnetten und Couplets und vieles andere mehr finden wir in diesem Berlin-Band. In diesen Texten vermischen sich die Realitätsebenen, Namen assoziieren Eigenschaften und werden um neue Konnotationen erweitert. Ungewöhnliche Kombinationen bringen ursprüngliche Bedeutungen und Zusammenhänge ins Wanken. Da gibt es Brüche, Irritationen und Unvollständiges, das ergänzt werden muss. In seinen Bildern wie Texten ist die Imaginationskraft des Lesers oder Betrachters immer mit einbezogen. Mitunter wenden sie sich an Kinder und Erwachsene zugleich. Ein Wagnis – aber warum nicht? - ist der „…liner Roma…“ (1924), mit zehn Bildern von ihm selbst, ein Berliner Roman in dadaistischer Collagetechnik, der weder über  einen „ordentlichen Anfang“ noch über ein “rechtes Ende“ oder eine eigentliche Handlung verfügt. Es ist die Großstadt, die sozusagen die Handlung übernommen, die ihre der Apokalypse entgegentaumelnden Bewohner instrumentalisiert hat. Im Unterschied zu dem 5 Jahre später erschienenen Döblinschen Roman „Berlin Alexanderplatz“, in dem Franz Biberkopf im Dickicht der großen Stadt überlebensfähig werden soll, werden bei Ringelnatz keine Handlungsangebote gemacht, sein diagnostischer Text empfiehlt keine politische Therapie der gesellschaftlichen Missstände.

In Ringelnatz’ Roman fordert am Schluss Gustav seine Freundin auf,  Berlin „visionär zu genießen“: „Wenn der Frühling die städtischen Anlagen beehrt, dann stehl’  ich mir einen Zweig, daran zarte gelbe Wollwürstchen hängen, die duften wie: Alles wird einmal wieder gut…Miezko will antworten. Da poltert die Tür schreckhaft, und auf der Stelle steht ein eleganter Neger, der einen Muff und eine Handgranate….“ Abrupt bricht der Satz ab. Sechs Jahre später  geht Fabian in Erich Kästners ironisch bitterem Roman gleichen Namens  mit seiner neuen Freundin durch das abendliche Berlin: „Aber Sie täuschen sich. Der Mondschein und der Blumenduft, die Stille und der kleinstädtische Kuss im Torbogen sind Illusionen…Soweit diese riesige Stadt aus Stein besteht, ist sie fast noch wie einst. Hinsichtlich der Bewohner gleicht sie einem Irrenhaus. Im Osten residiert das Verbrechen, im Zentrum die Gaunerei, im Norden das Elend, im Westen die Unzucht, und in allen Himmelsrichtungen wohnt der Untergang.“   

Unter der NS-Diktatur hatte Ringelnatz 1933 Auftrittsverbot erhalten und seine Werke wurden als „undeutscher Schmutz“ bei den Bücherverbrennungen ins Feuer geworfen. Sein Name stand auf der berüchtigten „Schwarzen Liste“ der aus den Bibliotheken zu verbannenden Bücher. Er starb verarmt 1934 an einer Lungenkrankheit in seiner Berliner Wohnung am Sachsenplatz, wo er in besseren Zeiten dem Gesang der „Nachtigall“ gelauscht und den Vogel gebeten hatte:

Nachtigall,

Besuche bitte ab und zu

Den Sachsenplatz;

Dort wohne ich. – Ich weiß, dass du

Nicht Verse suchst von Ringelnatz.

Frank Möbus schreibt in seinem bestechend formulierten Vorwort, dass die hier versammelten Texte eine „fortlaufende Liebeserklärung“ an die Stadt Berlin seien, „in der manchmal eben doch die Nachtigallen sangen“. Ein Lesebuch, das man so schnell nicht wieder aus der Hand legt. Das Ringelnatz nun auch als Berliner Dichter entdeckt und festschreibt.

 

Literaturangabe:

MÖBUS, FRANK (Hg.): Ringelnatz. Nach Berlin, nach Berlin, nach Berlin! Gedichte, Prosa und Dokumente aus der Berliner Zeit. Verlag für Berlin-Brandenburg Berlin 2009. 250 S., 19,90 €.

Weblink:

Verlag für Berlin-Brandenburg

 

 


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