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Nach dem „Esra“-Verbot: Kleiner Sieg für die Kunstfreiheit

Die Verfassungsrichter waren erkennbar darum bemüht, das „Esra“-Verbot als Ausnahmefall erscheinen zu lassen

© Die Berliner Literaturkritik, 05.02.08

 

Von Wolfgang Janisch

KARLSRUHE (BLK) – Als das Bundesverfassungsgericht im Herbst 2007 Maxim Billers Roman „Esra“ verbot, sprach Suhrkamp-Geschäftsführer Philip Roeder von einer „Einladung zum Klagen für alle, die sich in Romanen wiederzuerkennen meinen“. Vergangene Woche hat Karlsruhe erstmals seit „Esra“ zwei Entscheidungen zum Konflikt Kunstfreiheit versus Persönlichkeitsschutz nachgelegt. Mit anderem Ausgang: Lutz Hübners Theaterstück „Ehrensache“ darf aufgeführt und der autobiografische Roman „Pestalozzis Erben“ darf verkauft werden.

Diesmal behielt also die Literatur in Karlsruhe die Oberhand – ein Punktsieg für die Kunstfreiheit. Und nicht nur das: Einige Nuancen in der Urteilsbegründung nehmen der Furcht, der „Esra“-Beschluss könnte eine Klageflut auslösen, vorerst die Spitze. Die Verfassungsrichter waren erkennbar darum bemüht, das „Esra“-Verbot als Ausnahmefall erscheinen zu lassen, aus dem sich für weitere Verbotsklagen nicht so viel Honig saugen lässt.

Stein des Anstoßes war in „Esra“ die Schilderung von Sexualität. Der Roman verletzte – so sah es die Mehrheit der Richter des Ersten Senats – die Intimsphäre von Billers Ex-Freundin, weil sie in der Hauptfigur des Romans wiedererkennbar war und das Buch seinen Lesern detaillierte und realistische Darstellungen intimer Details darbot.

Zwar geht es in Hübners „Ehrensache“ um Sexualität. Das Stück verarbeitet den „Hagener Mädchenmord-Fall“. Im Mai 2004 war eine 14-Jährige von einem Mann türkischer Herkunft umgebracht worden, mit dem sie am Tag zuvor eine sexuelle Beziehung angefangen hatte. Die Mutter sah durch das Stück das Lebensbild ihrer Tochter entstellt – vor allem, weil ihre Tochter als frühreifes, stark sexuell ausgerichtetes Wesen geschildert wurde, charakterlich und moralisch haltlos.

Während das Landgericht Hagen die Bedenken der Mutter geteilt und das Stück verboten hatte, sah Karlsruhe dazu keinen Anlass. Der entscheidende Unterschied zu „Esra“: Während Billers Roman zumindest die Vermutung nahelegte, er schildere seine tatsächlichen sexuellen Erlebnisse mit seiner früheren Intimpartnerin, war das bei Hübner eindeutig nicht der Fall. Er hatte – ohne persönlich mit dem realen Fall verwoben zu sein – den Mord zum Anlass genommen, sich mit Fragen der Ehre beim Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen zu befassen.

Damit wird deutlich, dass die Karlsruher Richter nicht etwa Sexualität als solche tabuisieren, sondern die Intimsphäre einer realen Person gegen ihre – wenn auch literarische – Darstellung in der Öffentlichkeit schützen wollte. Freilich bleibt es damit auch nach der Präzisierung bei der problematischen Konsequenz der „Esra“-Entscheidung. Ein Autor hat – nimmt er eine frühere Sexualpartnerin zum Vorbild seiner Romanfigur – nur zwei Möglichkeiten: Entweder muss er die Figur verfremden. Oder er muss auf die Schilderung von Sexualität verzichten – eines ewigen Themas in der Literatur.

Diese Konstellation hatte in den vergangenen Jahren immer wieder Probleme bereitet. 2003 schritten Richter gegen Alban Nikolai Herbsts Roman „Meere“ ein, drei Jahre davor gegen Birgit Kempkers „Als ich zum ersten Mal mit einem Jungen im Bett lag“ – jeweils wegen intimer Details aus dem Leben erkennbarer Personen.

Zumindest aber betont das Gericht, dass die Möglichkeit zu ungünstiger, negativer Zeichnung von Romanfiguren auch dann erhalten bleibt, wenn das Vorbild erkennbar ist. Der Grundrechtsschutz einer Literatur, die Fakten und Fiktion vermengt, würde verfehlt, wenn man dies für eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts ausreichen ließe, argumentiert die dreiköpfige Kammer, der Wolfgang Hoffmann-Riem und Christine Hohmann-Dennhardt angehören – also zwei der drei Abweichler im Fall „Esra“.

So hatten die Richter auch die Darstellung von Esras Romanmutter Lale – ebenfalls im wahren Leben wiedererkennbar – als herrschsüchtige, psychisch kranke Alkoholikerin unbeanstandet gelassen. Und die beiden Lehrer, die sich in „Pestalozzis Erben“ unvorteilhaft beschrieben wähnten, erhielten nun in Karlsruhe ebenfalls eine Abfuhr.

Ein historisches höchstrichterliches Buchverbot dürfte damit inzwischen nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich überholt sein. 1971 hatten die Verfassungsrichter Klaus Manns „Mephisto“ beanstandet, weil dadurch posthum das Persönlichkeitsrecht des Schauspielers und Intendanten Gustaf Gründgens verletzt wurde. Heute dürfte Manns Darstellung des Nazi-Karrieristen Hendrik Höfgen eine Karlsruher Überprüfung wohl überstehen.


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