1969 in Stuttgart, 2009 in Berlin :beide Male eine große Ausstellung, beide Male ein informativer Katalog (siehe BLK, VI,3) und nun gar ein eigenes „Lexikon“: das „Bauhaus“, jene legendäre „Gemeinschaft“ (die sich so nannte und empfand) von Lehrenden und Studierenden, die in dreizehn Jahren ihrer Existenz (1919-1930), mit samt einigen ebenso kurzzeitigen – und kurzweiligen – Nachfolge-Institutionen in den USA (Black-Mountain College in North Carolina, New Bauhaus in Chicago) und in Deutschland (Hochschule für Gestaltung in Ulm) wurde so sehr zum Mythos, dass das „Bauhaus“ in Immobilien-Anzeigen noch heute als Gütesiegel für langweilige Flachdach-Häuser auftaucht: seine „Wirkung“ war enorm. Und das, obwohl nur ganz wenige Bauten aus den Bauhausjahren selbst – etwa in Dessau (Haupthaus, Meisterhäuser, heute „Kulturerbe“ und die Siedlung in Dresden-Törten) erhalten geblieben sind, und natürlich „klassisch“ gewordene Möbel und Einrichtungsgegenstände von Bauhäuslern (in aller Regel von Lehrern entworfen), die heute industriell hergestellt werden.
Das Lexikon, das alle aufzählt, die einmal dort waren, seien sie „Meister“, „Gesellen“ oder Studenten gewesen – für Jahre oder nur für einige Semester – mit kurzen Lebensläufen, auch dem, was sie später taten, macht von A – Z ein paar Dinge klar, die diesen internationalen Erfolg erklären können: von „Adams-Teltscher, Georg“ bis „Zaubitzer, Carl“, von „Abtraction-Création“ bis „Zweimeistersystem“, und in eigenen Themenartikeln (auf grauem Papier) von „Architektur“ bis „Vorkurs“. Die alphabetische Ordnung holt viele ins kollektive Gedächtnis zurück, die sonst allenfalls den Enkeln noch bekannt sind, aber es ebnet auch Unterschiede zwischen den Personen und ihrer Arbeit ein, etwa die zwischen den verschiedenen künstlerischen Positionen (Esoterik, Handwerk, Massenproduktion) und macht eben damit ein paar Tendenzen greifbarer als viele Essays.
Die beschworene „Ganzheit“ hat – allem internen Streit über Methoden und politische Haltungen zum Trotz – wirklich existiert: als gemeinsame Idee. Im Personenverzeichnis wird klar, wie ernst es Meistern und Eleven mit einer neuen Formgestaltung war und wie sehr die meisten, auch wenn sie längst andere Wege gingen, sich doch zeitlebens als „Bauhäusler“ begriffen. Das hatte politische Auswirkungen: nur ganz wenige haben sich nach der Schließung des Bauhauses durch rechte Provinzregierungen (Weimar, 1925) und die Nationalsozialisten (Dessau 1932, Berlin 1933) diesen angeschlossen, viele haben während der Nazizeit (ohne allzu viele Kompromisse) „überwintert“ und noch mehr haben Deutschland verlassen: sind ausgewandert nach Westeuropa, Palästina und Amerika oder wurden als Juden verfolgt und in Vernichtungslager transportiert. Es sind zum Teil deprimierende Lebensläufe, die da in nüchterner Lexikon-Prosa aufgelistet werden, und andere, die von Ruhm und Nachruhm berichten. Vor allem die Biografien der Meister, deren Namen noch heute jeder kennt, der etwas von Moderner Kunst weiß, zeigen, wie kompliziert und oft mäandernd verlief, was heute als gradlinig erscheint: ob es um Gropius, Mies van der Rohe oder Hannes Meyer, um Feininger, Kandinsky, Klee, Moholy-Nagy oder Schlemmer geht, um den geplatzten Traum von einer, von einigen in der Sowjetunion erhofften, Veränderung der Gesellschaft, um eine neue Ära des Bauens – mit neuen Materialien (Stahl, Glas) – oder um simple, aber so schöne wie brauchbare Alltagsgegenstände – überall finden wir viel Scheitern und einige Triumphe. Also all das, was zu historisch belangvollen Bewegungen gehört, deren Hinterlassenschaften weiter wirken – in von ihren Urhebern vielleicht nie beabsichtigten Formen.
Und noch etwas wird evident: es war die Autorität der bedeutenden Künstler, die die Studierenden begeisterte, sie selbst oft zu ernsthaften Künstlern machte, und das Versprechen einer Neuen Architektur, das sich eigentlich erst nach Ende der Bauhausjahre international materialisierte. Der „soziale“ Antrieb der Schule, die Verbesserung des Lebens für die „unteren Klassen“, blieb bis heute auf der Agenda, eingelöst wurde er selten, der individualistische Anspruch der Selbstwerdung hingegen erfüllte sich oft.
Es ist erstaunlich, was man alles aus diesen Lebensläufen und thematischen Artikeln „lernen“ kann und wie sehr dies „Bauhaus“ einem gesellschaftlichen Bedürfnis entsprach. Heute sind die Bauhäusler (fast) alle tot, die Architektur ist zurückgekehrt zu den „Solitären“, die freilich schon am Beginn die Faszination der Meister begründeten (vom „Haus Sommerfeld“ bis zum „Haus Tugendhat“), in der Kunst herrschen Strömungen vor, die denen in Dessau und Weimar wohl als der bare Schrecken erschienen wären, billige Plastik hat die soliden Werkstücke der Schüler und Lehrer ersetzt: die Geschichte ist über das Bauhaus hinweggegangen. Und doch bleibt es als etwas Uneingelöstes auf der Agenda. Sein Ruhm ist berechtigt, das Lexikon hält ihn fest.
Literaturangabe:
DÜCHTING, HAJO (Hrsg.): SEEMANNs Bauhaus-Lexikon. E.A. Seemann Verlag, Leipzig 2009. 1. Aufl., geb., 351 S., 69 farbige und 105 s/w-Abb. 35 €.
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