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Nachdenken über Hannah Arendt

Zwei Neuerscheinungen zum Werk Hannah Arendts

Von: ROLAND H. WIEGENSTEIN - © Die Berliner Literaturkritik, 24.01.06

 

Hannah Arendts (1906-1975) Wirkung entfaltet sich nicht vermittels einer „Schule“ (obwohl es inzwischen universitäre Forschungszentren gibt, die ihren Namen tragen), so wenig wie die ihres Mannes Heinrich Blücher (obwohl es in den USA eine ganze Reihe von Philosophen und Soziologen gibt, die sich auf ihn, der kaum je etwas veröffentlicht hat, berufen): Beide sperren sich gegen ihre Kodifizierung. Von Arendt gibt es nicht einmal eine kritische Werkausgabe, nur viele einzelne Bücher, über die in dem ihr gewidmeten Band von „Text und Kritik“ immerhin eine ausführliche Bibliographie unterrichtet. Sie hatte nie eine ordentliche Professur, lehrte nur als Gast in New York, Chicago und Aberdeen.

Aus Deutschland emigriert, aus Frankreich 1941 in die USA geflohen, hat sie ihre bedeutenden Bücher überwiegend in englischer Sprache verfasst, obwohl das Deutsche ihre „Heimat“ blieb, Tagebuchnotizen schrieb sie oft weiterhin in ihrer Muttersprache. „In der Fremdsprache Englisch hält sie die Worte auf Distanz, sie positioniert sich ohne Furcht vor Verkürzungen und Überstürzungen“ (so Christa Thürmer-Rohr in ihrem Beitrag „Verstehen und Schreiben – unheimliche Heimat“.)

Wie kann jemand zum Denker werden?

Zeitlebens war sie „umstritten“, ihr emphatischer Freiheitsbegriff wurde häufig ebenso missverstanden wie das, was sie unter „Totalitarismus“ verstand und wenn man die Liste ihrer Bücher Revue passieren lässt, so nehmen jene, die sich mit Literatur und Literaturkritik befassen, fast ebenso viel Platz auf dem Regal ein wie ihre philosophischen und politischen. Darin ist sie ihrem lebenslangen Antagonisten Theodor W. Adorno ähnlich, nur dass es bei ihm die Musiktheorie und Musikkritik waren, die mehr als die Hälfte seines Oeuvre ausmachen. Wohlbestallte (und unberatene) Ordinarien pflegen für solche Existenzen mit vielfältig gebrochenen Lebens- und Werkbiographien das Label „Literaten“ zu verwenden.

Das Doppelheft „Hannah Arendt“, das Wolfgang Heuer und Thomas Wild zusammengestellt haben, beschäftigt sich mit vielen Facetten der Autorin und trägt zu ihrem besseren Verstehen, ihrer unveränderten Aktualität manches bei. Natürlich fehlt darin nicht die prekäre Beziehung zu Heidegger, doch Ludger Lütgehaus, der darüber schreibt, geht dieser lebenslangen Attraktion (und Wunde) gottlob mit angemessener Diskretion nach. Jost Hermand behandelt die „Amerika-Erfahrung“ Arendts, die gleichzeitig eine von Freiheit und Kritik war, Ingeborg Nordmann das umfangreiche Briefwerk Arendts, und gleich mehrere Autoren setzen sich mit ihrer Schreibweise, ihren literarischen Aufsätzen und Kritiken auseinander: Diese Beiträge sind vermutlich die Wichtigsten des Bandes, weil sie in Bereiche vorstoßen, in denen die Forschung, abseits von müßigen Kontroversen, noch ständig neue Funde machen kann.

Marie-Luise Knotts eindringliche Studie über Arendts Kafka-Lektüre etwa (und die daraus entspringenden Arbeiten über den Dichter) gehört zu den dichtesten Essays des Buchs. Die an der Vanderbildt Universität lehrende Barbara Hahn hat ihren Essay „Wie aber schreibt Hannah Arendt?“ beigesteuert, ein Kapitel ihres fast gleichzeitig erschienen Buchs „Hannah Arendt – Leidenschaften, Menschen und Bücher“, das sich einlässlich mit einigen wichtigen Denkfiguren der Philosophin auseinandersetzt in einer Weise, die diesen im buchstäblichen Sinne nach-denkt, ihre Widersprüche produktiv zu machen unternimmt. Gleich im ersten Kapitel „Wie kann jemand zum Denker werden“, das eine Frage Nietzsches aufnimmt, versucht sie, den Horizont zu bestimmen, vor dem ein erratisches, zu großen Teilen noch uneingelöstes Werk seine fortwirkende Bedeutung gewinnt.

Etwas Neues im Arsenal menschlicher Verrücktheiten

Dass Arendt die Vereinigten Staaten, die ihr, der Jüdin, das Überleben ermöglichten, stets als einen Staat angesehen hat, in dem mehr als irgendwo sonst, die Freiheit als Movens des Gemeinwesens begriffen wird, diese emphatische Stellungnahme für etwas, was im Europa der Kriege und Totalitarismen verloren gegangen war, hat sie, voller Trauer und prophetisch zugleich, als fast schon verloren begreifen müssen. In einem kurz vor ihrem Tod geschriebenen Aufsatz „Home to the roost“ (Heim zum Nest – des Adlers als des Wappentiers der USA) zur Feier des zweihundertsten Jahrestages der amerikanischen Revolution mutmaßt sie, „dass unsere Regierungsform das Jahr 2000 nicht überlebt“, denn „Image-Bildung als globale Politik ist in der Tat etwas Neues im riesigen Arsenal menschlicher Verrücktheiten“ und weiter: „Nicht Amnestie sondern Amnesie wird unsere Wunden heilen.“ Das bezog sich damals auf den Umgang mit dem (verlorenen) Vietnam-Krieg und das politisch gewollte Vergessen dessen, was er angerichtet hatte.

Es gilt noch sehr vielmehr für die folgenden Kriege des Hegemons. Geleitet von einer genauen Analyse der Gedichte, die in Arendts Werk eine so große Rolle spielen, deckt Hahn die Aporien von Arendts Freiheitsbegriff auf, Aporien, die geschichtlich bedingt sind. „Nach einem langen Weg durch Gedichte und Geschichten, durch kausal verknüpfende und analog verkettende Argumente, ist die Frage am Ende immer noch offen. So weit man wissen kann, gründet die Dunkelheit nicht in Unzulänglichkeiten beim Nachdenken. Sie gründet in einer Wirklichkeit, die keine Antwort auf die Frage – mehr – birgt, wie menschliche Freiheit entsteht.“

Barbara Hahns Buch enthält viele solcher Einsichten, sie analysiert etwa, wie Gesellschaften sich neu erfinden können, durch Revolutionen und dass diese „Anfänge“ eigentlich seit Mitte des 18. Jahrhunderts immer scheiterten. Und sie entwickelt die dialogische Form menschlicher Existenz, die Arendt sowohl am biblischen Schöpfungsmythos wie an dem Roms nachzuweisen versucht.

Die produktive Arbeit dessen, der liest

Damit lässt sie auch der Figur Heinrich Blüchers, des Ehemanns und besten Gefährten aller Denkabenteuer von Hannah Arendt, Gerechtigkeit widerfahren, dessen Anteil an ihrem Denken oft übergangen wird, zugunsten der prekären Verbindung Heidegger/Arendt. Blücher „war der Ko-Autor oder besser Ko-Denker der Studie über den Totalitarismus, das erste ihm gewidmete Buch.“ Nach seinem Tod, als der ständige Dialog mit ihm verstummt war, begibt sich in dem von Hahn häufig als Quelle herangezogenen Denktagebuch nichts mehr. Auch das Ich verstummt.

Die Autorin insistiert auf der Mitarbeit jedes Arendt-Lesers: „Die produktive Arbeit dessen, der liest oder sieht, bestünde darin, diese Wendungen nicht als Widersprüchlichkeiten abzutun, sondern als Aufforderung, als Möglichkeit einer anderen Art des Verstehens. Nicht hermeneutisches Auslegen, sondern ‚Auseinanderlegen’“. Dazu hat die Autorin in ihrem Buch einen wichtigen Beitrag geleistet.

Literaturangaben:
HEUER, WOLFGANG / WILD, THOMAS (Hg.): Hannah Arendt. Text und Kritik, Nr. 166/167, München 2005. 198 S., 22,- €.
HAHN, BARBARA: Hannah Arendt. Leidenschaften, Menschen und Bücher. Berlin Verlag, Berlin 2005. 144 S., 18,- €.

Weblinks

Roland H. Wiegenstein arbeitet als freier Literatur- und Kunstkritiker für dieses Literaturmagazin. Er lebt in Berlin und Italien


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