DARMSTADT (BLK) — 2009 ist in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft die dritte, bibliografisch aktualisierte Ausgabe von Frank Lorenz Müllers Geschichtsbuch „Die Revolution von 1848/49“ erschienen.
Alle revolutionären Ziele und Aktionen der Jahre 1848/49 werden in dieser klaren Einführung differenziert dargestellt, die politische Revolution des liberalen Bürgertums ebenso wie die Forderungen und Aktionsformen von Bauern, Arbeitern, städtischen und ländlichen Unterschichten sowie von unterprivilegierten Schichten (Frauen, Juden).
Frank Lorenz Müller, geb. 1970, studierte in Berlin und Oxford Geschichte und Englisch. Promotion 1999; seit 2002 ist er Senior Lecturer für Neuere Geschichte an der Universität St. Andrews / Schottland. Veröffentlichungen (unter anderem): „Britain and the German Question. Perceptions of Nationalism and Political Reform 1830 – 1863“ (2002). (köh/mül)
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c) Probleme der Staatsgründung im Zeichen des Nationalismus
Der tschechisch-britische Sozialwissenschaftler Ernest Gellner (1925–95) hat Nationalismus als das politische Prinzip definiert, das die Deckungsgleichheit von nationaler und politischer Einheit fordert. Indem sich die Frankfurter Volksvertreter anschickten, der deutschen Nation eine gemeinsame Verfassung und Regierung, mithin einen geeinten Nationalstaat zu geben, versuchten sie, dieses politische Prinzip in die Tat umzusetzen. Im Falle der deutschen Revolution von 1848 erwies sich dies als leichter gesungen als getan. Was der 1848 beinahe achtzigjährige Ernst Moritz Arndt, nunmehr Abgeordneter für den Wahlkreis Solingen, hierzu eine Generation vorher gedichtet hatte, galt vielen seiner Kollegen auch weiterhin als heilige Pflicht. Die brennende Frage „Was ist des Deutschen Vaterland?“ hatten Arndt und nach ihm zahllose Männerkehlen mit dem linguistischen Argument beantwortet: „Soweit die deutsche Zunge klingt / Und Gott im Himmel Lieder singt/ Das soll es sein!/ Das, wackerer Deutscher, nenne Dein!“ Diese Vorgehensweise war schon in Arndts Lied problematisch, das die Schweizer, Tiroler und Österreicher unbekümmert eingemeindet hatte; doch mangelte es an Alternativen. Als Richtschnur dafür, wo die Grenzen der deutschen Nation lagen, die es mit einem eigenen Staatswesen auszustatten galt, stand außer dem Deutschen Bund wenig mehr als das kulturell-historische Nationskonzept zur Verfügung, das seit 1813 auf so mannigfache Weise gestiftet worden war: eine Orientierungshilfe, deren Vagheit nur wenige davon abhielt, leidenschaftlich für sie einzutreten. Das sollte sich als unheilvoll erweisen.
Abgesehen von einigen Vertretern der föderalistischen Rechten herrschte in der Paulskirche Einigkeit darüber, dass der bisherige staatliche Rahmen der deutschen Nation — der viel geschmähte Deutsche Bund — durch einen fest gefügten Nationalstaat ersetzt werden musste. Nur so konnte nach innen Freiheit und Verfassungsstaatlichkeit garantiert werden. Nur so konnte Deutschland, in den Worten des Reichsverwesers, „nach außen hin stark und unabhängig“ sein. Der außen- und sicherheitspolitischen Komponente kam 1848 besondere Bedeutung zu, denn aller „Völkerfrühlings“-Rhetorik zum Trotz herrschte eine weit verbreitete Kriegsfurcht. Gerade vom französischen „Erbfeind“ und dem reaktionären Zarenreich wurde Schlimmes erwartet. „Vielleicht in wenigen Tagen stehen französische Heere an unseren Grenzmarken, während Russland die seinigen im Norden zusammenzieht“, hatte es im Aufruf zur Mannheimer Volksversammlung vom 27.2.1848 geheißen. Angesichts solcher Ängste schien die „Volksbewaffnung“ dringend geboten. Versuche seitens der Fürsten, vor allem des preußischen Königs, an den Geist von 1813 zu appellieren und das Bedrohungsgefühl in königstreue Vaterlandsliebe umzumünzen, misslangen jedoch. Anders als gegen Napoleon oder während der Rheinkrise ließ sich 1848 die Verknüpfung von außenpolitischem Druck und verfassungspolitischer Reform nicht mehr auflösen. Zur „patriotischen Verteidigung der Throne und zur Verteidigung des Volkes nach Innen und Außen“, argumentierte Karl Welcker am 26.2.1848 im badischen Landtag, sei eine nationale „Einigung“ unabdingbar. Diese könne nur durch „Wahrheit, Volksbewaffnung und Nationalsprache“ hervorgebracht werden.
Die Umwandlung des Deutschen Bundes in einen geeinten Bundesstaat unter solchen Vorzeichen war in zweifacher Hinsicht problematisch. Zum einen war die internationale Ordnung Europas auf dem Wiener Kongress um ein lockeres, nur zur Defensive befähigtes deutsches Staatsgebilde herum konstruiert worden. Die Begründung eines fest gefügten, zur Machtpolitik befähigten deutschen Bundesstaats in seinem Zentrum musste die Mächtearchitektur Europas tiefgreifend verändern. Dies berührte fundamentale Sicherheitsinteressen der Nachbarstaaten. Zum anderen war der Deutsche Bund das Produkt vornationaler Staatsraison und daher nicht ohne weiteres in einen homogenen Nationalstaat umzukrempeln ...
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Literaturangaben: MÜLLER, FRANK LORENZ: Die Revolution von 1848/49. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009. 162 S., 14,90 €.
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