„Bruno. Chef de police“: Krimi mit Lokalkolorit
Ein neuer Ermittler hat die Bühne der internationalen Krimi-Bühne betreten. „Bruno. Chef de police“ ist eigentlich ein einfacher Land-Polizist. In einem kleinen Dorf im französischen Périgord warnt er auf dem Wochenmarkt die Hersteller einheimischer Köstlichkeiten vor den spitzfindigen EU-Lebensmittelkontrolleuren. Er organisiert das Feuerwerk zum Nationalfeiertag und trainiert den Tennis-Nachwuchs des Ortes. Im übrigen ist Bruno ein Frauenschwarm, aber keinesfalls ein Weiberheld. Kurz: Ein durch und durch sympathischer Typ, den der Schotte Martin Walker da zum Leben erweckt hat. Sprecher-Star Johannes Steck kennt sich bestens aus in der kleinen Welt von Bruno, so dass sich auch der Hörer dort gleich wie Zuhause fühlt.
Das beschauliche Leben Brunos wird auf den Kopf gestellt, als ein aus Nordafrika stammender, alteingesessener Dorfbewohner brutal ermordet wird. Die Spur führt tief in die französische Geschichte. Der getötete Veteran aus dem Algerienkrieg war schon zur Résistance-Zeit in der französischen Armee aktiv. Walker schlägt ein wenig bekanntes Kapitel der französischen Vergangenheit auf. Bei so viel spannender Geschichtsaufarbeitung vergisst der Autor dennoch nie, den Leser mit witzigen Episoden aus dem Dorfalltag und Brunos Liebesleben abzulenken. Ein rundherum gelungener Start für die neue Krimireihe um den charmanten Bruno.
„Bei Einbruch der Nacht“ kommen die Wölfe
Wölfe machen die Gegend unsicher. Immer mehr Schafe fallen in Fred Vargas' Krimi „Bei Einbruch der Nacht“ den wieder in den Wäldern Südfrankreichs heimischen Raubtieren zum Opfer. Schäfer und Tierschützer streiten sich, wie mit den Wölfen umgegangen werden soll. Suzanne von Borsodys tastende, zögernde Sprechweise lässt den Hörer die Verunsicherung der Landbewohner spüren. Als ein erster Mensch von den Wölfen getötet wird, greift Panik um sich. Die alte Legende vom Werwolf macht die Runde, und schnell fällt der Verdacht auf einen Außenseiter — denn Wölfe greifen normalerweise keine Menschen an.
Kommissar Adamsberg reist aus Paris an, um den mysteriösen Fall aufzuklären. In der Provinz trifft er auf seine frühere Geliebte Camille, die zusammen mit einem alten Schäfer und einem jungen Mann — dem einzigen Schwarzen im Dorf — in einem klapperigen Viehtransporter Jagd auf den Wolfsmenschen macht. Für Adamsberg gibt es in diesem Fall gleich drei Herausforderungen: die Wölfe, eine Verrückte, die ihm aus Paris in den Süden gefolgt ist und ihn töten will — und nicht zuletzt Camille, die einen neuen Freund hat, aber dem Ermittler trotzdem noch zugetan ist. Spannung pur, von Borsody meisterhaft interpretiert.
Abenteuer-Klassiker neu interpretiert
„Tom Sawyer“ ist genauso unsterblich wie „Robin Hood“. Um Kinder heutzutage für diese Klassiker zu begeistern, ist eigentlich nicht viel mehr nötig als ein guter, mitreißender Erzähler. Genau so einer ist der Schauspieler Bodo Primus. Er interpretiert die Abenteuergeschichten von Mark Twain und Howard Pyle so unangestrengt und lebhaft, dass auch junge Hörer sofort gefesselt sind. Gelegentlich zurückhaltend musikalisch untermalt breitet sich vor dem inneren Auge Tom Sawyers abenteuerliches Leben am Mississippi aus — seine Bekanntschaft mit dem Außenseiter Huckleberry Finn, das Geheimnis von Indianer-Joe und Toms erste zarte Liebe zur hübschen Becky. Einen etwas ruhigeren Ton schlägt Primus bei „Robin Hood“ und der Legende des Königs von Sherwood Forest an.
„Galaktisch“: Rufus Beck im Weltall
Diese Hörgeschichte ist im wahrsten Sinne des Wortes „Galaktisch“. Rufus Beck, seit seiner „Harry Potter“-Interpretation Star der Sprecherszene, schlüpft dieses Mal in die Rolle von Liam. Der 13-Jährige unterscheidet sich von seinen Mitschülern nur in einem, aber entscheidenden Punkt: Er ist viel, viel größer als Gleichaltrige. Das bringt für Liam einige Nachteile, aber vor allem auch jede Menge Vorteile — denn Erwachsene sehen in ihm oft einen ebenfalls Erwachsenen. So bekommt Liam beim Porsche-Händler ohne weiteres die Autoschlüssel für eine Probefahrt mit seiner im wahrsten Sinne des Wortes kleinen Freundin Florida.
Als Liam am Wettbewerb „Der beste Vater der Welt“ teilnimmt und tatsächlich gewinnt, gerät alles ein wenig außer Kontrolle. Denn als Preis winkt den Gewinnern eine Reise ins Weltall. Beck spielt dabei wirklich kongenial den großen Liam, der zwischen aufmüpfigem Selbstbewusstsein und verunsicherter Nörgeligkeit, also haarscharf zwischen Kind und Erwachsenem, pendelt. Autor F.C. Boyce („Millionen“) hat offensichtlich Erfahrung mit Jugendlichen. Er lebt mit seiner Frau und seinen sieben Kindern in Liverpool.
Sylvester Groth liest Wilhelm Genazino
„Das Glück in glücksfernen Zeiten“ muss man erst mal finden. Gerhard Warlich, Doktor der Philosophie, hat es in Wilhelm Genazinos gleichnamigem Roman gar nicht leicht damit. Doch schließlich arrangiert er sich mit dem Leben. Er hat ja seine heiß geliebte Freundin Traudel und was soll's: Wenn er nicht den gewünschten Job bekommt, dann fängt er sein Berufsleben ganz einfach als Wäschereiausfahrer an. Schauspieler Sylvester Groth, zuletzt für Kinofilme wie „Hilde“ oder „Inglourious Basterds“ vor der Kamera, erzählt mit hörbarer Empathie und Sympathie von dem vom Leben gebeutelten Warlich. Es ist eine Geschichte voller Selbstbespiegelung und Selbstironie — mit ausgesprochen skurril-heiteren Einschüben. Als Traudl sich ein Kind wünscht und das sorgsam eingerichtete Leben damit ins Wanken bringt, verfällt Warlich in eine depressive Stimmung. Warlichs Gedanken und Taten werden immer wunderlicher. Ein weises, trauriges, aber auch humorvolles Buch, das Hoffnung auf ein Leben vermittelt, das in der Zukunft umsichtiger geführt werden sollte.
Atemberaubend spannend: Lade liest „Kolyma“
Der russische Priester Lasar muss mit ansehen, wie seine Kirche gesprengt wird. Doch es kommt noch schlimmer: Sein junger Mitpriester Maxim entpuppt sich als Angehöriger des Sowjetgeheimdienstes und Lasar landet im Gulag Kolyma, einem der schlimmsten Straflager der Stalinzeit. Viele Jahre später wird Maxim alias Leo — jetzt nicht mehr beim Geheimdienst, sondern bei der Kripo — mit einer Bande von Widerständlern konfrontiert, deren Anführer die Ehefrau des Gefangenen Lasar ist. Sie entführen Leos Stieftochter und wollen sie nur freigeben, wenn Leo den Priester Lasar aus dem Lager herausholt. Mit dem atemberaubenden Thriller „Kolyma“ hat der Brite Tom Rob Smith eine Fortsetzung seines Bestsellers „Kind 44“ vorgelegt. Bernd Michael Lade — vielseitiger Film- und Fernsehschauspieler und besonders bekannt als Kommissar Kain aus dem MDR-„Tatort“ — liest die atemberaubende Geschichte mit viel Sensibilität und außerordentlicher Intensität.
Zum akustischen Mitreisen: „Train Stories“
In den USA haben „Train Stories“ und „Train Songs“ Tradition. Doch gibt es auch deutsche „Train Songs“? Der Gitarrist, Sänger und Songwriter Richie Arndt hat nur „Auf der schwäbischen Eisenbahn“ gefunden. Aber Deutschland kann wenigstens eine Ballade beisteuern: „Die Brücke am Tay“ von Theodor Fontane, geschrieben im Jahr 1880 — inspiriert vom großen Eisenbahnunglück im Jahr 1879 auf der Brücke über den Forth of Tay in Schottland. Arndt kombiniert mit seinen ganz eigenen „Train Stories“ gekonnt Musik und Geschichten rund um den Mythos der Schienen.
Auf dem Hörbuch erzählt er von Eisenbahn-Malochern, Eisenbahn-Räubern, von den oft schwarzfahrenden Wanderarbeitern und von den immer wieder katastrophalen Eisenbahnunglücken. Mit seinem sorgsam zusammengestellten Band, herausragend ist die texanische Sängerin und Harpspielerin Kellie Rucker, hat Arndt berühmte Eisenbahnsongs eingespielt — unter anderem von John Lee Hooker, den Beatles, Elvis, Jimmy Hendrix und Johnny Cash. Die Doppel-CD ist eine tolle Fundgrube nicht nur für Blues-, Rock-und Railroadfans und gehört in jedes Eisenbahnreise-Gepäck.
Literaturangaben:
ARNDT, RICHIE: Train Stories. Fuego Verlag, Bremen 2009. 15,95 €.
BOYCE, FRANK COTTRELL: Galaktisch. Gekürzte Lesung. Gesprochen von Rufus Beck. Silberfisch Verlag bei Hörbuch Hamburg, 2009. 291 Min., 19,95 €.
GENAZINO, WILHELM: Das Glück in glücksfernen Zeiten. Gesprochen von Sylvester Groth. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 284 Min., 26,95 €.
SMITH, TOM ROB: Kolyma. Gesprochen von Bernd Michael Lade. Lübbe Audio, Bergisch Gladbach 2009. 408 Min. 19,95 €.
TWAIN, MARK: Tom Sawyer. Gekürzte Lesung. Gesprochen von Bodo Primus. Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2009. Je 158 Min., 9,95 €.
VARGAS, FRED: Bei Einbruch der Nacht. Gesprochen von Suzanne von Borsody. Der Aufbau Verlag, Berlin 2009. 340 Min., 19,99 €.
WALKER, MARTIN: Bruno. Chef de police. Aus dem Englischen von Michael Windgassen. Gesprochen von Johannes Steck. Diogenes Verlag, Zürich 2009. 505 Min., 29,90 €.