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Neue Analyse der Balkankriege

Der unruhige Hinterhof Europas

© Die Berliner Literaturkritik, 16.12.09

Von Thomas Brey

Bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts existierten nur vergleichsweise wenige Bücher über den Balkan und sein Kernland Jugoslawien: Wissenschaftliche Wälzer waren das meist oder Landes- und Kunstführer für Touristen. Die Bürgerkriege der 90er Jahre brachten eine Welle von Veröffentlichungen zu diesen Themen: Diplomaten, Politiker, Wissenschaftler und Journalisten bemühten sich, den Gewaltausbrüchen auf den Grund zu gehen. Die meisten Analysen beschrieben zutreffend die Hintergründe und die nationalen Voraussetzungen der Kriege, blieben aber eine schlüssige Erklärung schuldig, warum es gerade zum damaligen Zeitpunkt zu diesen Kriegen kam.

Jetzt haben die beiden „Spiegel“-Journalisten Olaf Ihlau und Walter Mayr ihre Sicht der Dinge vorgelegt. Ihlau hatte in den 70er Jahren als Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ in Belgrad gearbeitet, Mayr ist auch heute noch einer der Balkan-Spezialisten des Magazins. Ihr Buchtitel „Minenfeld Balkan“ ist viel breiter gefasst als der Inhalt selbst. Das Kapitel Albanien wird auf nur 13 Seiten, das Kapitel Rumänien und Bulgarien auf nur 15 Seiten abgehandelt. Im Zentrum der Analyse steht der untergegangene jugoslawische Vielvölkerstaat.

Die Autoren beschreiben kenntnisreich die Ursachen der Gewalteruption, wobei sie ausführlich bis tief ins Mittelalter zurückgreifen. Der Laie überliest wahrscheinlich einige kleinere Fehler. Die Serbische Demokratische Partei Bosniens kürzt sich nicht DSS, sondern SDS ab. Die serbische Landeshälfte in Bosnien heißt nicht Srpska Republika, sondern Republika Srpska. Bedient werden auch einige Klischees. Der serbische Autokrat Slobodan Milosevic wird als versierter Banker bezeichnet, obwohl die damaligen kommunistischen Geldinstitute wenig mit einem Geldhaus im eigentlichen Sinn zu tun hatten. Über sein „ausgezeichnetes Englisch“ wurden im Land viele Witze gemacht.

Ob sich der als Wunderheiler untergetauchte Serben-Führer Radovan Karadzic dadurch als Problemfall qualifiziert, dass er „Urintrinker“ gewesen sei, der auch anderen „sexuellen Perversionen“  zugetan war, mag dahingestellt sein. Dagegen wird wiederholt an konkreten Vermittlungsbemühungen nachgewiesen, dass das westliche Ausland bei allen Krisen in Jugoslawien auf ganzer Linie versagt hat. Ihlau und Mayr kritisieren zu Recht: „Die allabendlichen Fernsehbilder der Balkangräuel lassen unter den Zuschauern Empörung aufwallen über das Schauspiel der Impotenz, das Uno-Friedenskommissare mit tapsigen Nato-Hilfssheriffs aufführen.“

Die Ursachen der leidvollen Bürgerkriege werden anschaulich und überzeugend dargestellt. Demgegenüber fehlt die Perspektive für die vielen weiter ungelösten Probleme in Serbien, im Kosovo, in Mazedonien und vor allem in Bosnien-Herzegowina. Kein Wort darüber, dass in Belgrad wieder die alten nationalistischen Kader in der Regierung sitzen und der pauschal als pro-westlich gelobte Staatspräsident Boris Tadic wegen seiner unbegrenzten Machtfülle heute schon wieder mit Milosevic verglichen wird.

Zerfällt Bosnien-Herzegowina? Kommt es zu einem Großalbanien? Wie sind die Perspektiven für das kleine Mazedonien, das die Autoren auf den Namensstreit mit Griechenland reduzieren? Die vielen ungelösten Probleme belegen die Binsenwahrheit, dass Kriege fast nie zu Lösungen beitragen.

Literaturangabe:

IHLAU, OLAF / MAYR, WALTER: Minenfeld Balkan. Der unruhige Hinterhof Europas. Siedler Verlag, München 2009. 304 S., 22,95 €.

Weblink:

Siedler Verlag

 

 


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