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Verpöntes Wort in aller Munde

Immer noch massive Unterschiede in der Wahrnehmung von Ost und West

© Die Berliner Literaturkritik, 03.08.09

Von Burkhard Fraune

BERLIN (BLK) - „Neue Bundesländer“ - 20 Jahre nach dem Mauerfall sollte man meinen, die Bezeichnung sei langsam veraltet. Stattdessen herrscht Überfluss: Der Begriff ist nicht wegzukriegen, obwohl ihn kaum einer mehr mag. „Neue Bundesländer“, wohin man hört, wenn es um Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und bei manchen auch um den früheren Ostteil Berlins geht. Dabei hält selbst der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Wolfgang Tiefensee, eigentlich nicht viel von diesem Wort für das Gebiet der zusammengebrochenen DDR. „Ich spreche lieber von Ostdeutschland“, sagt der SPD-Politiker.

„Irgendwann hat sich das Jahr 1989 auch insofern überholt, als da nicht neue Länder hinzugekommen sind, sondern Deutschland ist vereinigt mit Teilen, die alle eine hundert-, eine tausendjährige Geschichte haben“, sagt Tiefensee. Ähnliche Stimmen gibt es viele: „Wir sind nicht mehr so neu. Wenn Sie zwanzig sind, sind Sie keine zwei mehr“, meint etwa der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), dem das Wort auch manchmal rausrutscht. Sein Amtskollege in Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), hält den Begriff ebenfalls für überholt, bekennt aber: „In der Wahrnehmung haben wir aber zwei Bereiche, die neuen und die alten Bundesländer - egal wie man sie nennt. Da gibt es immer noch massive Unterschiede.“

Es gibt aber Menschen, die auf eine Ost-West-Unterscheidung angewiesen sind, Statistiker zum Beispiel. „Auf unseren statistischen Karten kann man oft ganz genau erkennen, wo einmal die Mauer gestanden hat“, sagt Klaus Pötzsch, Sprecher des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden. So erreiche bei Löhnen und Arbeitslosigkeit der Westen mit Abstand bessere Werte, bei der Kinderbetreuung habe klar der Osten die Nase vorn. Das sei nur durch die lange Teilung zu erklären. Allerdings: Das überholte Wort „neue Bundesländer“ sei nicht nötig, um das festzustellen, sagt Pötzsch. „Wir haben das in den 90er Jahren noch sehr strikt benutzt, aber wir sind laxer geworden, schreiben viel mehr von Ost- und Westdeutschland.“

Was also tun mit dem überholten Wort „neue Bundesländer“? Selbst wenn man das könnte, will Tiefensee das nicht verbieten: „Wir brauchen niemandem vorzuschreiben, was er sagt.“ Eine nicht ganz ernstzunehmende Lösung hat der Satiriker Martin Sonneborn parat, der mit seiner PARTEI bei der Bundestagswahl antritt; dahinter steht das Satire-Magazin „Titanic“, dessen Redakteure die Mauer wieder aufbauen wollen. Er meint: „Wir brauchen den Begriff nicht. Wir werden uns von dem Begriff wie von den neuen Bundesländern selbst trennen.“

Doch so leicht ist das Wort nicht unterzukriegen. Sein Erfolg habe damit zu tun, dass es einigermaßen politisch korrekt sei, meint der Frankfurter Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser, der durch die Wahl des „Unworts des Jahres“ bekanntgeworden ist. Deshalb sei der Begriff in Parteien, Verbänden und Medien so beliebt, während auf der Straße einfach „Osten“ oder „drüben“ zu hören sei. Hauptgrund für die Zähigkeit des Wortes sei aber Bequemlichkeit. Schlosser ist deshalb sicher, dass wir noch lange „neue Bundesländer“ sagen werden. „Das ist wie mit dem Sonnenaufgang. Den nennen wir immer noch so, obwohl seit langem klar ist, dass sich die Sonne nicht um die Erde dreht.“


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