-- Dieser Text erschien erstmals im Juni 2011 in diesem Literaturmagazin. --
BRENNER, HELMUT/KUBIK, REINHOLD: Mahlers Welt, die Orte seines Lebens, Residenz Verlag, Salzburg 2011, 408 S., 39,90 €.
Von Roland H. Wiegenstein
Hundert Jahre sind seit seinem Tod im Mai 1911 vergangen: Gustav Mahler, geboren 1860, Komponist und Dirigent. Er hat zehn Jahre die Wiener Hofoper geleitet und ist dirigierend durch die Welt gezogen. Er war ein berühmter Musiker schon zu seinen Lebzeiten und gehört heute zu den am meisten gespielten Komponisten der Moderne.
Zu den vielen Büchern, die aus gegebenem Anlass erschienen, gehört auch ein besonders kurioses von Helmut Brenner und Reinhold Kubik: „Mahlers Welt“ – ein in jeder Hinsicht mit Akribie verfasstes Buch, das eine „Lebensgeschichte in Orten“ ist. Um die siebzig Orte auf über vierhundert Seiten mit 587 Abbildungen, meist etwa so groß wie Sondermarken der Post, werden gezeigt: lauter mehr oder weniger pompöse Opernhäuser und Konzerthallen in Wien, New York, Berlin, aber auch in kleineren Städten der österreichischen k. u. k. Monarchie, in Paris, Brüssel, Philadelphia und zahlreichen anderen Städten, lauter große Gründerzeithotels und Villen, einige kleinere Wohnhäuser bis hin zu Mahlers winzigen „Komponisten-Häuserln“.
Wo auch immer der Maestro aufgetreten ist, oder gespeist und geschlafen hat, oder seinem Metier als Komponist nachgegangen ist – die Autoren haben es herausgefunden, sie wissen, was aus den Gebäuden geworden ist (viele sind derweil vom Kriege zerstört oder aus Spekulationsgründen abgerissen worden) und den Restaurants, den Wiener oder Prager Cafés zum Beispiel, in denen damals bis zu 250 Zeitschriften und Zeitungen zur gefälligen Lektüre der Gäste auslagen. Sie wissen auch, mit welchen Dampfern Mahler seine Reisen in die USA unternommen hat (jeweils in der besten Staatssuite) und kennen die Züge, meist im Schlafwagen, die er benutzte.
So ausführlich die Schilderungen der Orte sind, die manchmal in ihrer Ausführlichkeit alten Baedekern gleichen, so wenig erfährt man doch vom inneren Leben Mahlers und von seiner Arbeit. Gerade einmal, dass die Eheschließung mit Alma Schindler in der katholischen Karlskirche zu Wien stattgefunden hat (dass der Jude sich taufen ließ, war das „Entreebillet“ für das Amt des Operndirektors), dass seine geliebte Tochter Anna an Masern gestorben ist, dass Alma ihn mit dem jungen Architekten Gropius betrogen hat (den sie nach Mahlers Tod heiratete). Aber das sind ebenso Beiläufigkeiten (im Buch) wie die in aller Regel gekürzten Zitate aus Briefen und Postkarten. Wir erfahren von Mahlers hypochondrischer Angst vor Lärm, der ihn zu häufigen Hotelwechseln veranlasste, von seinen vegetarischen Anfällen, von seiner unbezwinglichen Leidenschaft für lange Spaziergänge und fürs Fahrradfahren. Aber eben dies alles nur am Rande, wichtig sind den Autoren die „Orte seines Lebens“.
Über seine Musik: fast nichts. Allenfalls darüber, wo sie wann gut aufgenommen wurde, wenn er sie selbst dirigierte. Was er häufig hat, neben zahlreichen Werken der Konzert- und Opernliteratur, (bis hin zu dem sprichwörtlichen, heute vergessenen „Trompeter von Säckingen“, der Dutzende Mal auf seinen Programmen stand, nolens volens: was gespielt wurde, konnte er nur an wenigen Orten allein entscheiden.)
Für Mahler-Fans mag diese enorme Statistik von Wert und Interesse sein, für gewöhnliche Sterbliche ist sie weniger aufschlussreich, als man denken sollte, trotz jener eher seltenen Details, die wirklich in „Mahlers Welt“ führen anstatt nur an seine Orte. Zu bewundern daran ist der bibliographische Fleiß der beiden Autoren – und das enorme Arbeitspensum, dass der Musiker sich jederzeit abverlangte.
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