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Neuer Erzählband von T.C. Boyle

Selbstverschuldete Schlamassel und Naturkatastrophen

© Die Berliner Literaturkritik, 05.02.08

 

MÜNCHEN (BLK) – Im Carl Hanser Verlag ist T.C. Boyles Erzählband „Klauen und Zähne“ erschienen.

Klappentext: T. C. Boyle At His Best: Seine neuen Storys erzählen von selbstverschuldeten Schlamasseln, kosmischen und Naturkatastrophen. Ein junger Mann nimmt eine Raubkatze aus Afrika zu sich, um ein Mädchen zu beeindrucken, und bald tobt sich in seinem Schlafzimmer die Natur ganz buchstäblich aus. Eine Frau tut sich nachts mit streunenden Hunden zusammen, des faden Vorstadtlebens mit Mann und Gärtchen überdrüssig - sie wird nicht lang allein bleiben. Ein Rentner sucht sich ein gemütliches Plätzchen in Florida aus, muss aber bald feststellen, dass sich dort wilde Kreaturen herumtreiben. Anderswo brausen Winde, wüten Schneestürme, fallen Meteoriten vom Himmel - der Mensch macht dabei stets eine traurige Figur.

T.C. Boyle, 1948 geboren in Peekskill, New York wuchs in schwierigen Familienverhältnissen auf. Nach ausschweifenden Jugendjahren in der Hippie- und Protestbewegung der 60er Jahre war Boyle Lehrer an der High School in Peekskill und publizierte während dieser Zeit seine ersten Kurzgeschichten in namhaften Zeitschriften. Heute lebt er mit seiner Frau und drei Kindern in Kalifornien und unterrichtet an der University of Southern California das Fach „Creative Writing“.

 

Leseprobe:

© Carl Hanser Verlag ©

Einen langen Augenblick starrte ich auf die Tür und versuchte zu begreifen, was geschehen war, dann schaute ich zu den Stammgästen – in ihre Gesichter – und zu den anderen Gästen, Leute aus dem Ort oder vielleicht auch Touristen, die auf ein Bier oder einen Burger oder das Menu des Tages hereingekommen waren und sich jetzt mit dieser Fremdartigkeit konfrontiert sahen, und schließlich zum Käfig. Daria beugte sich darüber, gurrte das Tier darin an, Ludwigs Eier in der Hand. Sie war klein und kompakt, auf konventionelle Weise hübsch mit den runden Augen und den symmetrischen Gesichtszügen eines Mädchens aus einem japanischen Zeichentrickfilm, ihre Joggingschuhe nicht größer als die eine Kindes, das blonde Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, und all das war mir schon früher aufgefallen, in wochenlangen Studien, aber jetzt bemerkte ich es mit der Wucht einer Offenbarung. Sie war wunderschön, ein wunderschönes Mädchen, auf ein Knie gestützt, die Shorts hinten nach oben gerutscht, das T-Shirt unterhalb des Busens gebauscht, und bot der Katze – meiner Katze – ein kleines bisschen Trost, als wäre es ein Kätzchen, das sie verlassen auf der Straße gefunden hatte.

„Himmel, was willst du mit dem Tier machen?“ Chris war hinter der Bar hervorgekommen, stand neben mir und blickte ehrfürchtig drein.

Ich sagte, dass ich es nicht wüsste. Dass ich nicht vorgehabt hätte, eine Wildkatze zu halten, dass ich bis vor fünf Minuten nicht einmal gewusst hätte, dass es so etwas gab – Servale.

„Lebst du hier in der Gegend?“

„Bayview Apartments.“

„Sind dort Haustiere erlaubt?“

Ich hatte nie darüber nachgedacht, aber sie waren erlaubt, es musste so sein – der Mann neben mir hatte zwei japsende kleine Hunde mit Schleifen im Haar, und die Frau am anderen Ende des Flurs hatte einen Dobermann, dessen Krallen jedes Mal, wenn sie kam oder ging, was sie ungefähr hundertmal am Tag zu tun schien, über das Linoleum kratzten. Aber das hier war etwas anderes. Das war etwas, was die Paramenter des Standardmietvertrags sprengte. „Ja“, sagte ich, „ich glaube schon.“

Wo die Tür des Käfigs eingehängt war, gab es den einzigen Spalt, der breit genug war, um ein Ei durchzuschieben, ohne die Schale zu zerdrücken, und Daria, die noch immer gurrte, rollte das erste Ei, dann das zweite durch die Öffnung. Einen Augenblick lang geschah nichts. Dann veränderte die Katze, die sich gegen den Maschendraht drückte, kaum merklich die Position und nahm das erste Ei ins Maul – zwei Zähne, spitz wie Spritzen, ein Knirschen und dann das leise Raspeln der Zunge.

Daria stand auf und trat mit einem Ausdruck der Verwunderung zu mir. „Unternimm nichts, bis meine Schicht zu Ende ist, okay?“ sagte sie und griff in ihrem Eifer nach meinem Arm. „Um neun habe ich Schluss, also warte, okay?“

„Ja“, sagte ich. „Klar.“

„Wir können ihn fürs erste hinten in den Lagerraum stellen, und dann können wir ihn mit meinem Pick-up …“

Ich hatte nicht die Muße, um darüber nachzudenken, wie kompliziert plötzlich alles geworden war, und selbst wenn – ich hätte mich nicht anders verhalten. Ich nickte nur, schaute in ihre runden Augen und nickte.

„Es wird sich wohl fühlen“, sagte sie und fügte hinzu: „Wirklich“, als hätte ich ihr widersprochen. „Ich muss jetzt wieder arbeiten, aber du wartest, okay? Du rührst dich nicht von der Stelle.“ Chris sah uns zu. Der Manager sah zu. Die Stammgäste und die Hälfte der anderen Gäste reckten die Hälse. Daria strich ihre Schürze glatt, fuhr sich übers Haar. „Wie war doch gleich dein Name?“ Ich hatte also eine Katze. Und eine Freundin. Wir hievten den Käfig auf die Ladefläche ihres roten Toyota Pick-up, warfen eine Plane darüber, damit das Tier nicht nass wurde, und fuhren zu Von’s, wo ich Daria dabei zusah, wie sie die Gänge entlangging, Katzenstreu und das größte Katzenklo aussuchte (wir entschieden uns für eine Abwaschschüssel aus hartem blauem Plastik, die so gut wie unzerstörbar schien), und dann marschierten wir in die Fleischabteilung. „Ich habe nur zehn Dollar“, sagte ich.

Sie bedachte mich mit einem vernichtenden Blick. „Das Tier muss fressen“, teilte sie mir mit und langte an ihren Hinterkopf, um das Band um ihren Pferdeschwanz abzuziehen, so dass ihr das Haar glänzend über die Schultern fiel, ein Sturm aus Haaren, fließend und locker, die Spitzen glitten über ihren Rücken wie Flüssigkeit in Bewegung. Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. „Aber du hast doch eine Kreditkarte, oder?“

Zehn Minuten später dirigierte ich sie zu meinem Wohnblock, wo sie neben dem Mustang parkte, den ich geerbt hatte, als mein Vater starb, dann gingen wir die Außentreppe hinauf und den Laubengang entlang zu meiner Wohnung im ersten Stock. „Sorry“, sagte ich, öffnete die Tür und drückte auf den Lichtschalter, „aber ich bin leider keine gute Hausfrau.“ Ich wollte hinzufügen, dass ich auch nicht mit Besuch gerechnet und deswegen nicht aufgeräumt hatte, aber Daria trat einfach ein, räumte Platz auf der Küchentheke frei und stellte die Einkaufstüten ab. Ich betrachtete ihre Schultern, als sie in die Tiefen einer Tüte nach der anderen griff und Hühnerteile und Ribeyesteaks (heruntergesetzt für den schnellen Verkauf) im Wert von vierzig Dollar herausholte.

„Okay“, sagte sie und drehte sich zu mir um, nachdem sie alles im Kühlschrank verstaut hatte, „wohin mit der Katze? Ich glaube nicht, dass wir sie noch lange draußen auf dem Wagen lassen sollten, oder? Katzen mögen keinen Regen, das weiß ich – ich habe zwei. Eins ist noch ein Kätzchen.“ Sie stand auf der anderen Seite der Küchentheke, ein Durcheinander verkrusteter Teller und Gläser, in denen unterschiedliche Kolonien Schimmel wuchsen, trennte uns. „Du hast doch ein Schlafzimmer, oder?“

Hatte ich. Aber wenn mir schon der Zustand der Küche und des Wohnzimmers peinlich war – es war mein erster Versuch, allein zu leben, und das Bedürfnis nach Ordnung war mir nicht wirklich wichtig gewesen –, so erschien mir der Zustand des Schlafzimmers, mit dem Chaos schmutziger Kleidung und Bettwäsche, den stinkenden Arbeitsschuhen und der Reisetasche, aus der ich bislang lebte, höchst bedenklich. Hier stand diese wunderschöne Erscheinung in der Küche, die einzige Person außer meiner Tante, die jemals über die Schwelle meiner Wohnung getreten war, und jetzt sollte sie die traurige einsame Unordnung im Herzen meines Lebens entdecken. „Ja“, sagte ich, „die Tür dort, links neben dem Bad“, aber sie war bereits im Schlafzimmer, schob Sachen beiseite, ein konzentriertes Stirnrunzeln zwischen den Augen.

„Du wirst hier ausräumen müssen“, sagte sie. „Das Bett, alles. Deine Sachen.“ Ich stand in der Tür und sah ihr zu. „Wie meinst du das, ‚ausräumen’?“

Sie hob den Kopf. „Du glaubst doch nicht etwa, dass das Tier im Käfig bleiben kann, oder? Es kann sich da drin kaum umdrehen. Und es ist einfach grausam.“ Sie sah mich wieder mit diesem Blick an, dann stemmte sie die Hände in die Hüften. „Ich helfe dir“, sagte sie. „Es wird keine zehn Minuten dauern …“

Dann mühten wir uns zu zweit mit dem sperrigen Käfig die Treppe hinauf. Die Plane lag noch fest verknotet darüber, sowohl um den Regen abzuhalten als auch um ihn vor Nachbarn zu verstecken, die zufällig vorbeikommen mochten, und obwohl wir ihn auf der Treppe schräg halten mussten, gab das Tier keinen Laut von sich. Den Käfig durch die Tür zu bringen war ein kleines Problem – die Katze schien sich in lautlosem Protest schwer zu machen –, aber wir schafften es, dann manövrierten wir ihn ins Schlafzimmer und setz- ten ihn mitten auf dem Teppich ab. Daria hatte in der Ecke auf mehreren Lagen Zeitungen bereits das Katzenklo aufgestellt, und sie hatte meinen größten Kochtopf mit Wasser gefüllt und neben der Tür positioniert, wo ich ihn leicht erreichen konnte. „Okay“, sagte sie und sah mich zufrieden an, „Zeit für die Entschleierung“, und sie beugte sich vor, um die Plane zu lösen.

Das Deckenlicht strahlte hell, die Plane glitt vom Käfig und zu Boden, und da war die Katze, mit angezogenen Gliedmaßen gegen den Draht gedrückt, die gelben Augen musterten uns. „Liebes Kätzchen“, gurrte Daria. „Will es aus dem schrecklichen Käfig raus? Hmm? Und Fleisch – will es Fleisch?“

Bislang hatte ich wie benommen alles mitgemacht, aber jetzt wurde es problematisch. Wer wusste, was das Tier tun würde, was für Gewohnheiten, Bedürfnisse es hatte? „Wie sollen wir …“, setzte ich an und ließ den Rest unausgesprochen. Das Deckenlicht brannte auf mich herunter, und der Alkohol flüsterte in meinem Blut. „Du erinnerst dich doch noch, was der Typ über das Füttern gesagt hat, oder?“ In meinem Hinterkopf lauerte der Schimmer einer weiteren Komplikation: Wenn es einmal aus dem Käfig wäre, wie sollten wir – wie sollte ich – es jemals wieder hineinbringen?

Zum ersten Mal blickte Daria zweifelnd drein. „Wir müssen schnell sein“, sagte sie.

Und das waren wir. Daria stand an der Schlafzimmertür, bereit sie zuzuknallen, während ich mich mit klopfendem Herzen vorneigte und den Riegel am Käfig zurückschob. Damals war ich geschmeidig – dreiundzwanzig Jahre alt und mit ausgezeichneten Reflexen trotz der vier oder fünf Jack-mit-Cokes, die ich im Lauf des Abends geschluckt hatte –, und ich sprang zur Tür, kaum war der Riegel zurückgeschoben. Erregung erfüllte mich. Und auch die Katze, weil sie beim ersten Klicken des Riegels zum Leben erwachte, als hätte sie ein Stromschlag getroffen. Ein Kreischen zerriss das Zimmer, die Käfigtür flog auf, und das Tier sprang verwischt durch die Luft und knallte gegen das billige Sperrholz der Schlafzimmertür, als Daria und ich sie gerade geschlossen hatten.

Am Morgen (sie schlief auf der Couch, zusammengerollt wie ein Fötus, und schnarchte leise; ich lag ausgestreckt auf der Matratze aus dem Schlafzimmer, die wir unter dem Fernseher an die Wand geschoben hatten) sah ich mich mit mehreren Problemen konfrontiert.

© Carl Hanser Verlag ©

Literaturangaben:
BOYLE, T.C.: Zähne und Klauen. Erzählungen. Übersetzt aus dem Englischen von Anette Grube und Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, München 2008. 320 S., 19,90 €.

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