Von Rudolf Grimm
HAMBURG (BLK) – Das erste uns bekanntgewordene historische Großereignis auf dem Boden, der jetzt Deutschland ist, jährt sich in einigen Monaten zum 2.000. Mal. Dieses Datum markiert nicht nur die damalige Vernichtung römischer Heeresverbände von insgesamt mehr als 18.000 Mann unter dem Befehl von Publius Quinctilius Varus durch Angehörige germanischer Stämme unter der Führung des Cheruskers Arminius. Sie bezeichnet auch den historischen Ausgangspunkt von Vorstellungen und Mythenbildungen, die später in Deutschland eine wichtige Rolle spielten.
Neue Bücher thematisieren die Varus-Schlacht zwischen Weser und Rhein im Herbst des Jahres 9 auf vielfältige Weise. Neben dem Aspekt ihrer späteren Bedeutung im Bewusstsein der Deutschen sind da insbesondere die Forschungsbefunde zum genauen Ort und Ablauf der Schlacht. In dieser Hinsicht sind, trotz intensiver Forschung, immer noch Fragen offen, konstatiert der Althistoriker und Archäologe Reinhard Wolters (Tübingen) in seinem Buch „Die Schlacht im Teutoburger Wald“. Diese Ortsbezeichnung stammt von dem römischen Historiker Publius Cornelius Tacitus, der die Schlacht in einem „saltus Teutoburgiensis“ an den „Oberläufen von Lippe und Ems“ lokalisiert. In den vergangenen zwanzig Jahren haben Funde die Gemarkung Kalkriese, nördlich von Osnabrück, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt.
Für eine Mehrheit der Forscher scheint der Ort der Schlacht hier gefunden zu sein. Wolters hält ihn aufgrund der archäologischen Funde und Befunde zumindest für den einer römisch-germanischen Auseinandersetzung. Zu seinem Zweifel an einem abschließenden Urteil über den Ort der Vernichtung des Varuszuges verweist er vor allem auf erhebliche Diskrepanzen zwischen den Kalkriese-Funden und den Angaben antiker Autoren über die Ausdehnung des Kampfgeschehens. Außer Tacitus hat auch der Historiker Cassius Dio ausführlich darüber berichtet. Andere Autoren erwähnen die Schlacht ebenfalls. Philologen und Historiker sind sich Wolter zufolge mehrheitlich darin einig, dass mit dem sehr detaillierten Bericht des Cassius Dio eine insgesamt zuverlässige Überlieferung vorliegt. Sie stimmt mit der Darstellung von Velleius Paterculus, einziger Zeitzeuge unter den Autoren, darin überein, dass die Schlacht ein Geschehen von einer gewissen zeitlichen (vier Tage) und auch räumlichen Ausdehnung (40 oder sogar 60 Kilometer) war.
Eine besonders umfangreiche deutsche Neuerscheinung hat der mit Büchern und Reportagen über historische Themen hervorgetretene Ralf-Peter Märtin (Frankfurt am Main) vorgelegt: „Die Varusschlacht“. Als Hintergrund zu dieser widmet er sich ausführlich der Geschichte der germanischen Stämme und der Roms. Detailreiches biografisches Material zu damals maßgeblichen Römern und ihren Familien trägt zum Verständnis der Machtposition Roms in jener Zeit bei.
Ein weiteres Buch hat der Leiter der Medienagentur Geschichte in Hamburg, Tillmann Bendikowski, geschrieben: „Der Tag, an dem Deutschland entstand“. Wie er bemerkt, soll mit dem Titel an die lange verbreitete Vorstellung erinnert werden, mit dieser Schlacht sei Deutschland „entstanden“. Er sei „die Zuspitzung einer hierzulande gern gepflegten Annahme“. Der Autor präsentiert, anschaulich erzählt und bebildert, in den zwei Teilen seines Buchs die Schlacht und was daraus wurde.
Letzteres wird auch in den anderen Büchern gebührend thematisiert. Die Varusschlacht war kein „Urknall“ der deutschen Geschichte. Auch keine deutsche Identitätsfindung ist von ihr ausgegangen. Die Bezeichnung „theodisk“, aus der sich später der Begriff „deutsch“ ableitete, tauchte erstmals im 8. Jahrhundert auf. Auch eine deutsche Nation gab es erstmals im Mittelalter, als die meisten Schriften antiker Autoren verschollen waren und die Varusschlacht im Bewusstsein der Deutschen keine Rolle spielte.
Erst nach der Wiederentdeckung von Tacitus’ „Annalen“ 1507 im Kloster Corvey (Nordrhein-Westfalen) wurden die Zeitgenossen mit der Schlacht und Arminius bekannt. Im folgenden Jahrhundert wurde aufgrund der „Annalen“-Lokalisierung der als Schlachtort vermutete Höhenzug Osning in Teutoburger Wald umbenannt. Vorher war im Umfeld Martin Luthers schon die Eindeutschung von „Arminius“ zu „Hermann“ erfolgt. Der Reformator selbst erklärte den Namen als „Heermann“. Der Cherusker stand für die Reformation, Varus für die römische Kirche.
Aktuellen Bezug nahm zur Zeit von Napoleon Bonaparte auch das Drama „Die Hermannsschlacht“ von Heinrich von Kleist. Varus verkörpert hier den Besetzer Preußens. Ein besonders eindringlicher Bezug war 1875 vor dem Hintergrund des gewonnenen deutsch-französischen Kriegs und der Gründung des Deutschen Reiches die Errichtung des Hermannsdenkmals bei Detmold. Blick und Schwert des Cheruskers sind westlich gerichtet – nach Frankreich.
Literaturangaben:
BENDIKOWSKI, TILLMANN: Der Tag, an dem Deutschland entstand. Geschichte der Varusschlacht. C. Bertelsmann, München 2008. 272 S., 19,90 €.
MÄRTIN, RALF-PETER: Die Varusschlacht. Rom und die Germanen. S. Fischer, Frankfurt am Main 2008. 461 S., 22,90 €.
WOLTERS, REINHARD: Die Schlacht im Teutoburger Wald. Arminius, Varus und das römische Germanien. C.H. Beck, München 2008. 255 S., 19,90 €.
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