Von Roland H. Wiegenstein
Ben Hecht (1894-1964) galt (gilt?) in den USA als legendär erfolgreicher Dramatiker, Erzähler und vor allem Drehbuchschreiber, der in Hollywood für zahlreiche Filme die Scripts oder mindestens die Dialoge geschrieben und damit sehr viel Geld verdient hat, ehe er einen erklecklichen Teil seiner Honorare in ganzseitige Anzeigen gegen Nazideutschland steckte, um das zögernde, isolationistische Amerika zum Krieg gegen die Barbarei zu veranlassen. Er war 1919 in Deutschland gewesen und hatte darüber als Reporter und später in seiner 1954 in den USA erschienenen (noch immer nicht übersetzten) Autobiografie „A Child of the Century“ berichtet, aus der der Berenberg Verlag 2006 wenigstens einen Teil in dem Band „Revolution im Wasserglas“ herausgab: wie ernst der lange Jahre „unpolitische“ Reporter seine Erinnerungen nahm, stellte sich erst in den vierziger Jahren heraus, hielt man Hecht doch lange und zurecht nur für einen scharfsichtigen Reporter und fantasievollen Geschichtenerzähler. Nun legt sein deutscher Verlag nach: „Von Chicago nach Hollywood“, mit einem weiterem Extrakt aus dieser Autobiografie und zwei Bänden mit Stories (bereits 1922 und 1943 erschienen). 1989 hatte ein kleiner Verlag diese Version schon einmal herausgebracht – kaum jemand hat hingeguckt. Gleichwohl ist der Band eine Trouvaille.
Er erzählt von Hechts Anfängen 1910 in Chicago, wo er zuerst als Spürhund (für Fotos), dann als Reporter des „Chicago Daily Journal“ so lange arbeitete, bis ihn der Schriftsteller Henry Mankiewicz 1925 nach Hollywood zu Paramount holte. Die Chicagoer Geschichten handeln davon, wie ein begabter Provinzler die Gruselgeschichten aus der Unterwelt der Stadt zuerst erfindet, dann, als der Schwindel auffliegt, sorgfältig zu recherchieren beginnt, sie zeigen einen Journalisten, der sich in der money-and-crime-Geschichte Chicagos glänzend zurechtfindet und der sie brillant nachzuerzählen weiß. Die Typengalerie von großen und kleinen Verbrechern ist eindrucksvoll, er betrachtet sie mit unstillbarer Neugier – und ohne Moral. „Ich war mir nichts dir nichts in eine Welt geworfen, die mir so gut bekam, wie das Wasser dem Fisch. Es war eine Welt, die keine Veränderung von mir verlangte. Das Einzige, was ich tun musste, war loszugehen, mir das Leben anzugucken, es zu verschlingen, es zu genießen und darüber zu berichten.“ Das tat er so intensiv, dass der Ruf nach Hollywood nahelag. Dort freilich war anderes gefragt als beschriebene Wirklichkeit: er musste den eisernen Gesetzen der Filmindustrie folgen, die amerikanischen Moralvorstellungen und dem Massengeschmack gehorchte, also Geld brachte. Er kam nur dann mit großem Gefolge, Frau, Kindern, Bonne nach Los Angeles, wenn es etwas Hochbezahltes zu tun gab (und er Geld brauchte), dann verschwand er wieder nach New York.
Unter den schätzungsweise sechzig Filmen, an denen er als Autor beteiligt war, sind auch einige Meisterwerke wie „Scarface“ (der erste wirkliche Gangsterfilm in einer danach einsetzten unendlichen Serie), „Frontpage“ oder Hitchcocks „Notorious“. Er schrieb offenbar rasend schnell, an Einfällen, die einem plot weiterhalfen, hat es ihm nie gefehlt. Seine Notizen aus Hollywood sind von bissiger und doch gleichmütiger Schärfe, ganz gleich ob er Studioleiter, Produzenten oder Regisseure porträtiert, mit denen er gearbeitet hat: einer Bande von Hohlköpfen, denen nur an möglichst hohen Publikumszahlen gelegen war. Ausnahmen? Nur wenige. Dass Hollywood von Anfang an eben nichts anderes als eine „Industrie“ war, bei der nur ab und an (gemessen an der Zahl der Filme) etwas herauskam, was „besser“ war – die Filme, an die wir uns noch erinnern! – das konstatiert Hecht mit beinah fröhlichem Zynismus.
Er konnte auch anders, wie es die Übersetzerin Helga Herborth in ihrem kenntnisreichen Nachwort schildert: Er schrieb „We will never die“ – einen Film über die Ermordung der Juden in Europa – 1943 war das ein großer Erfolg. Aber: „Bei meinem letzten Engagement in Hollywood (1952) machten mich der Mief und die Feigheit der Stadt, und meine eigene wachsende Lust, etwas anderes zu schreiben, kühn. Ich floh aus Hollywood.“
Vorher erzählt er noch die wunderbare Groteske von dem Schmachtfetzen „Eine sündhafte Frau“, dessen Drehbuch eine Achtjährige (!) geschrieben hatte. Er wurde gedreht und machte Geld. Die Komik dieser Affaire (bei der man nicht weiß, wie viel davon sich wirklich so zugetragen, und wie viel Hecht der „Shakespeare von Hollywood“ hinzu geschwindelt hat), ist jedenfalls überwältigend. Hecht, der auf zeitgenössischen Fotos mit seinem Menjou-Bärtchen immer so aussieht, als wäre er selbst ein Filmstar, hat das Spiel mitgespielt und sich doch aus ihm entfernt, als es wirklich ernst wurde. Er wäre wohl als amerikanischer Filmchronist hierzulande eher bekannt geworden, hätte es da nicht 1975 „Hollywood Babylon“ gegeben, die Abrechnung des ungleich schärfer schreibenden und selbst sehr viel tiefer in die Skandalchronik der Filmmetropole verstrickten Kenneth Anger, ein Buch, das seinerseits Skandal machte. Hecht wollte erzählen, nicht anklagen wie Anger. Dessen Buch ist ziemlich alt und mürbe geworden, die Reportagen von Ben Hecht blieben lebendig. Als Anger kam, war Hechts Zeit längst vorbei. Helga Herborth schreibt: „Die Welt ist zum global village zusammengeschrumpft. Aber die Straßen dieses Weltdorfes scheinen Ben Hecht, dem alt gewordenen Kind des zwanzigsten Jahrhunderts, eigenartig öde, leer und verstummt.“ Wie es vorher war, das hat er wunderbar aufgeschrieben. Man läse gern die ganze Selbstbiografie und einen Sammelband seiner Stories.
Literaturangabe:
HECHT, BEN: Von Chicago nach Hollywood. Erinnerungen an den amerikanischen Traum. Berenberg Verlag, Berlin 2009. 150 S., 19 €.
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