MÜNCHEN (BLK) – Im August 2008 ist die Autobiografie des Rolling Stones-Gitarristen Ronnie Wood „Ronnie“ bei Heyne erschienen.
Klappentext: Ronnie Wood ist eins der letzten echten Originale des Rock ’n’ Roll. Und dies ist seine Geschichte, in eigenen, sehr persönlichen Worten. Eine Geschichte über das Leben und die Liebe, Musik und Kunst – und das Überleben gegen alle Widerstände. Seine Autobiografie gleicht einer Achterbahnfahrt der Gefühle, von den höchsten Höhen zu den unvorstellbarsten Tiefen und zurück. Es beginnt mit einem kleinen Jungen, der nicht weit vom Londoner Flughafen in Heathrow als Kind einer Roma-Familie in armen Verhältnissen aufwächst und der von einem Leben als Musiker und Maler träumt. Aus diesem kleinen Jungen wird einer der berühmtesten Musiker unserer Zeit, der an der Seite von Rod Stewart bei den Faces und seit Mitte der Siebzigerjahre als festes Mitglied der Rolling Stones alle Superlative erlebt hat, die es als Musiker zu erleben gibt. Doch das lustvolle Rock-’n’-Roll-Leben und die Euphorie forderten auch bei ihm ihren Tribut – Ronnies ausgeprägter Hang zu Exzessen führte zu immer härteren Drogen, die ihn zeitlebens verfolgen sollten.
Ronnie Wood wurde als Ronald Wood am 1. Juni 1947 in Hillingdon, London, geboren. In den Sechzigerjahren machte er sich einen Namen als Gitarrist bei der Jeff Beck Group und The Faces, bevor er 1975 festes Mitglied der Rolling Stones wurde. Neben diversen Soloaktivitäten und der Mitwirkung an unzähligen anderen Musikprojekten ist Ron Wood seit vielen Jahren als Maler angesehen, seine Kunstwerke werden weltweit ausgestellt. (vol)
Leseprobe:
© Wilhelm Heyne Verlag ©
Vorwort
Es war 1964. Die Rolling Stones spielten beim Richmond Jazz and Blues Festival. Ihre Musik traf mich direkt in den Magen, und seit jenen Tagen hat sie mich fest in ihrem Griff. Die Stones waren für mich der Köder – und ich ging ihnen an die Angel.
Das komplette Zelt erlag der unaufhaltsamen, urwüchsigen Verlockung des Beats. Die Jungs im Publikum kannten sich alle gut mit Musik aus; viele von ihnen waren selbst begeisterte Plattensammler. Die Frauen waren unerreichbar cool, funky, sexy und verführerisch. Auf dem Weg nach draußen stieß ich mir das Bein an einem Zeltpfosten, aber ich spürte keinen Schmerz. Die Musik hatte mich tief in meinem Innersten berührt – ich wusste, dass ich eines Tages mit diesen Jungs auf der Bühne stehen würde.
2005: Beim verstohlenen Blick aus dem Hotelzimmer über den Balkon hinweg auf die Millionen, die den Anfang unserer Show in Rio erwarteten, wurde mir erst richtig bewusst, wie weit wir gekommen waren. Die Vorfreude steigerte sich immer weiter, und das Adrenalin schoss in die Höhe, bis wir tatsächlich auf der Bühne an der Copacabana standen. Als wir über die eigens angefertigte Verbindungsbrücke direkt vom Hotel aus die Bühne betraten, herrschte ein solches Hochgefühl, wie es keine Droge auch nur annähernd erzeugen könnte. Wir wünschten uns gegenseitig Glück, bevor wir auf die Bühne stürmten, und dann wurde – wie Keith es ausdrücken würde – „der Käfig geöffnet“.
Und nun hat man mich, mehr als drei Jahrzehnte nachdem ich beim Blues Festival einen ersten Blick auf die Stones geworfen hatte, gebeten, meine Lebensgeschichte zu erzählen. So sehr mir diese Aufgabe auch Respekt einflößt, ich will sie damit beginnen, jedes Haus zu zeichnen, in dem ich in diesen zurückliegenden 60 Jahren gelebt habe. Ich will Orte beschreiben und die Menschen vorstellen, die mir über den Weg gelaufen sind, die ich durch Musik und Kunst kennengelernt habe. Ich möchte Sie an diese Orte führen und Ihnen diese Menschen zeigen.
1 Yer Father's Yacht
Meine Geschichte beginnt mit dieser Zeichnung. Meine Brüder und ich waren die Ersten in unserer Familie, die an Land zur Welt kamen. Meine Mutter und mein Vater wurden beide auf Lastkähnen im Paddington Basin in West London geboren. Beide waren „Water Gypsies“; sie lebten auf dem Wasser wie auch meine Groß- und Urgroßeltern. Mein Vater hieß Arthur, bekannt als Archie, und der Kahn seiner Familie war die Antelope. Meine Mutter hieß Mercy Leah Elizabeth, wurde aber immer Lizzie genannt. Ihrer Familie gehörte die Orient.
Kaum dem Wasser entronnen, schon bin ich da. Eine kleine, warme Sozialwohnung. Ich liege im Bett und lausche den Geräuschen der Umgebung. Ein altes Pärchen streitet sich, als es unter meinem Fenster vorübergeht. Wir befinden uns in Yiewsley, im Haus Nummer 8, in der Whitethorn Avenue. Yiewsley war ein Dorf, in dem es nachts sehr still wurde, weil es nicht viele Autos gab, und nach halb elf hatte sowieso alles geschlossen. An den Wochenenden wurde bei den Partys im Haus Nummer 8 die Nacht zum Tag gemacht. Aber unter der Woche, wenn ich mich in mein Bett kuschelte, war es weit und breit der einzige Krach, wenn sich Belle und ihr Mann George um elf aus dem „Red Cow“ auf den Nachhauseweg machten. Belle war alt und schlaksig, George gedrungen und noch älter, und beide liefen immer mit 15 Meter Abstand zwischen sich die Whitethorn Avenue entlang und stritten miteinander, was die Lungen hergaben. Sie drehte sich um und schrie: „Wag es nicht noch einmal, so mit mir zu sprechen.“ Ich lag dann im Bett und dachte: Hier kommt Belle. Eine Minute später schrie dann George los: „Halt deinen Mund, du alte Kuh!“ Und ich sagte mir: Ach, da ist ja auch George. Man konnte die Uhr nach den beiden stellen.
Meine Familie versammelte sich mit Vorliebe nach dem Abendessen ums Radiogerät und hörte sich das Unterhaltungsprogramm an. Es war, als würde sich Jimmy Edwards’ Sendung Take It From Here oder Frankie Howerds Programm The Goons oder Life With The Lyons im wirklichen Leben fortsetzen.
Die Whithethorn Avenue 8 war das Zentrum meines Universums für die ersten 15 Jahre meines Lebens und die erste Unterkunft an Land für meine Eltern. Unser kleines Haus hatte oben und unten je zwei Zimmer und eine kleine Abstellkammer über der Treppe, die gerade groß genug war, um ein einzelnes Bett darin unterzubringen. Alle Leute in unserer Straße sprachen von diesen Kammern als ihrer „Schachtel“. Als ich klein war, teilten sich meine Brüder Art und Ted ein Zimmer, meine Eltern hatten ihr Schlafzimmer und ich die „Schachtel“.
Diese Siedlung in Yiewsley im Schatten des Flughafens Heathrow war alles, was ich kannte, und jeder, den ich kannte, lebte nur einen Steinwurf entfernt von der Whitethorn Avenue. Die meisten meiner Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins lebten ebenfalls hier; ich war umgeben von meiner Familie. Mein Vater war eins von elf Kindern und meine Mutter eins von acht. Die Ziegelbrennerei lag in der Nähe, und die meisten Leute, die in der Gegend wohnten, hatten jemanden in der Familie, der dort arbeitete. Wenn nicht, dann arbeiteten sie auf dem Grand Union Canal, der direkt an Yiewsley vorbeiführte, so wie mein Vater und mein Großvater. Wir nannten den Kanal „The Cut“; schon die irischen Hilfsarbeiter, die ihn ausgehoben hatten, hatten ihm diesen Namen verpasst.
Mein Großvater Sylvester Wood arbeitete auf den Booten. Er war ein kleiner Mann, der sich wie ein Dandy-Gangster aus Chicago kleidete: mit Hut, Weste, Uhrkette und einer Nelke im Knopfloch. Sein Schlepper war die Fastnet, mit der er jeden Tag fünf oder sechs Kähne voller Sand und Schotter von Yiewsley bis zu den Baustellen in London zog. Eine seiner Frauen war meine Oma Phoebe – ich sage das deshalb so, weil ich erst vor Kurzem erfuhr, dass er anscheinend mehrere Frauen hatte. Mein Onkel Fred, einer der Brüder meiner Mutter, erzählte mir, dass sich Sylvester ziemlich herumgetrieben haben muss, und dass er sich etwas weiter den Kanal hoch in Stratfordupon-Avon eine zweite Familie hielt – und möglicherweise noch eine dritte in Manchester.
Glück bedeutet, eine große, fürsorgliche, eng zusammenhaltende Familie in einer anderen Stadt zu haben. George Burns
An Sylvester und Phoebe habe ich nur noch sehr vage Erinnerungen, aber meinen Großvater Fred Dyer und meine Oma Leah sehe ich noch vor mir. Sie war eine wunderbare kleine Frau. Sie kam direkt vom Lastkahn und konnte weder lesen noch schreiben. Sie starb, als ich noch klein war, aber Großvater Fred erreichte ein hohes Alter. Er hatte sehr spät im Leben ein Bein verloren und erinnerte mich mit seinem Holzbein an einen Piraten. Ich sehe ihn immer noch vor mir, wie er im Kittel am Hauseingang zur Yew Avenue 101 stand und die Leute grüßte, die vorübergingen. Aus seiner einen Kitteltasche lugten Zigarren heraus, aus der anderen eine Flasche Rum. Ich war als Kind ziemlich kleinwüchsig, in Freds Augen wohl nicht kräftiger als ein Mädchen. Deswegen begrüßte er mich immer mit „Hallo, Ronda“.
Meine Mutter war eine der älteren seiner sieben Töchter. Sie wuchs auf dem Schleppkahn Orient auf, der gegenüber dem St. Mary’s Hospital ankerte. Sie trug die abgelegten Kleidungsstücke der Älteren, so wie wir alle. Meine Mutter lief trotz ihrer durch die schlechten Schuhe verwachsenen Füße neben Oma Leah den ganzen Weg zur Schule und wieder zurück. Uns Kleine schoben sie dabei in einer Schubkarre. Meine Mutter war winzig, genau wie ihre Mutter, gerade mal 1,50 Meter groß. Ich kann mich noch erinnern, wie einmal jemand zu ihr sagte: „Stehen Sie auf, Misses Wood“, und sie antwortete: „Ich stehe doch schon.“ Irgendwann arbeiteten meine beiden Großväter auf dem gleichen Boot, und mein Vater auch. Auf diese Weise lernten sich meine Eltern kennen. Eines Abends begleitete Oma Leah als Anstandsdame meine Mutter in den „Nag’s Head“-Pub, der nur wenige Minuten von unserem Haus entfernt lag. Liz trat ein, als Archie gerade Mundharmonika spielte und seine Späßchen machte. Er hat mir später erzählt, dass er sofort, als er meine Mutter sah, dachte: Die ist was für mich.
Er hatte bei der Tombola im Pub gewonnen – in jenen Tagen war der erste Preis ein Fresskorb mit Lebensmitteln und Schnaps – und entschied sofort, dass der Gewinn ihr gehören sollte. „Du hast das Eisbein gewonnen“, war sein Anmachspruch.
Mein Bruder Arthur kam 1937 zur Welt, mein anderer Bruder Ted wurde zwei Jahre später geboren. Ich kam am 1. Juni 1947 zur Welt, ein Jahr, in dem bemerkenswert viele UFOs gesichtet wurden. Ein Jahr der Nachkriegsdepression und des kältesten Winters, seit solche Dinge statistisch erfasst wurden. Hoffentlich trug meine Ankunft dazu bei, die Zeiten etwas zu erwärmen.
© Wilhelm Heyne Verlag ©
Literaturangaben:
WOOD, RONNIE: Ronnie – Die Autobiografie. Wilhelm Heyne Verlag, München 2008. 416 S. mit zahlreichen s/w-Abbildungen und 70 Farbfotos, 19,95 €.
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