Von Nada Weigelt
Vielleicht haben die Nobeljuroren einfach keine Chance gehabt, das neue Buch von Philip Roth zu lesen? Es lag zwar einige Tage vor der Vergabe des Literaturpreises wie zufällig in den US-Buchhandlungen, doch offiziell erscheint es erst am 2. November. Und jetzt ist es wieder zu spät. Roth, der wortgewaltige Frontmann der amerikanischen Gegenwartsliteratur, ist erneut leer ausgegangen.
Dabei hätte sein neues Buch „The Humbling“ (Die Demütigung) jeden Preis verdient. Es ist mit seinen 140 sehr locker bedruckten Seiten zwar nicht wirklich ein Roman, sondern eher eine Kurzgeschichte - aber von einer so meisterhaften Eleganz, dass einem der Atem stockt. Nach dem Jugendroman „Empörung“ im letzten Jahr kehrt Roth (76) mit dem Buch zum zentralen Thema seines Spätwerks zurück: Es geht um Alter und Gebrechlichkeit, Versagen und Verfall - und um den verzweifelten Versuch, dem Unausweichlichen zu entgehen.
„Er hatte seinen Zauber verloren. Die Kraft war verbraucht.“ Mit diesen Sätzen gibt der Autor von der ersten Zeile an den düsteren Tenor der Erzählung vor. Seine fiktive Hauptfigur Simon Axler, einst einer der berühmtesten Bühnendarsteller Amerikas, ist mit 65 am Ende: Er kann nicht mehr spielen, auf der Bühne zieht es ihm buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Er verfällt in eine tiefe Depression, seine Frau verlässt ihn und aus Angst vor einem Selbstmord liefert er sich selbst in eine psychiatrische Klinik ein.
So weit, so vertraut. Die Anklänge an frühere Werke wie „Jedermann“ (2006) und „Exit Ghost“ (2007) sind unüberhörbar. Doch von da an nimmt die Geschichte ihre besondere Wende. Eine 40-jährige lesbische Frau, die Tochter eines befreundeten Ehepaares, taucht in Axlers Einsamkeit auf. Die beiden werden ein Paar, eine leidenschaftliche Beziehung beginnt. Doch von Anfang an sind die Brüche zu ahnen.
Sie sucht nach zwei traumatischen Erfahrungen mit Frauen Trost und Wärme: „Du bist, was der Doktor mir verschrieben hat.“ Er hofft auf ein zweites Leben, einen wirklichen Neuanfang. Mit Schmuck, Designer-Klamotten und einem 200-Dollar-Haarschnitt möchte er aus der Geliebten eine Frau machen, die von Männern begehrt wird statt von Frauen. Als es jedoch nach Axlers Altmänner-Fantasie zu einer „Menage à 3“ kommt, brechen die Illusionen in sich zusammen.
Mit kühler Distanz seziert Roth die Leidenschaft und zugleich Aussichtslosigkeit dieser Beziehung - die ungewöhnlichen Sexpraktiken, den scheinbar normalen Alltag. Jeder Satz, jedes Wort trifft. In den drei dicht durchkomponierten Kapiteln (oder „Akten“) wird der Leser unerbittlich in den düsteren Sog der Geschichte hineingezogen, die im doppelten Sinne ein Tschechowsches Ende nimmt.
„The Humbling“ ist ein verstörendes Buch. Und dennoch möchte man nicht aufhören zu lesen und wünscht sich, Roth möge noch einmal Zeit finden zu einem opulenteren Werk. Sein nächstes Buch ist schon für Frühjahr 2010 angekündigt: „Nemesis“ soll die fiktive Geschichte um eine Polioepidemie im Jahr 1944 in seiner Heimatstadt Newark in New Jersey werden. „Ich bin einfach zum Schreiben da“ sagte er einmal. „Und wenn ich nicht schreibe, komme ich mir vor wie ein Wagen, dessen Räder im Schnee durchdrehen.“
Literaturangabe:
ROTH, PHILIP: The Humbling. Houghton Mifflin, Boston 2009, 140 S., 14,90 €.
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