Von Yuriko Wahl
KÖLN/FRANKFURT/MAIN (BLK) - Er solidarisiert sich mit den Verlierern. Obdachlosen, Chancenlosen, Mittellosen. Seit vier Jahrzehnten verschafft sich Günter Wallraff mit falscher Identität Zugang zu Betrieben oder in unterprivilegierte Kreise, erlebt Missstände am eigenen Leib und enthüllt sie nach dem Undercover- Einsatz in seinen Reportagen. Am Mittwoch (14.10.) hat der 67 Jahre alte Kölner Schriftsteller sein neues Buch „Aus der schönen neuen Welt - Expeditionen ins Landesinnere“ zur Frankfurter Buchmesse vorgelegt.
Für die Reportage-Sammlung hat der Autor als Obdachloser gelebt sich in der Rolle des Mitarbeiters Michael G. in die Abzocker-Methoden von Call-Centern einweisen lassen. Er schuftet als Fließbandarbeiter oder erträgt als Afrikaner verdeckte Abneigung und offenen Rassismus. „Es hat etwas mit Abenteuer zu tun, aber vor allem ist es eine Expedition in die immer unbewohnbareren Gegenden dieser Republik, in die gesellschaftliche Wüste“, sagt Wallraff über seinen neuen Titel.
Wieder hat er Strapazen auf sich genommen. Statt Heiligabend mit Frau und Töchtern zu verbringen, rollt Wallraff seinen Schlafsack bei Minusgraden neben Obdachlosen in Köln aus, hört sich deren Geschichte an. Neujahr zittert er in einer Container-Notunterkunft in Hannover. „Es ist mir ein Bedürfnis. Es ist auch ein Demonstrieren von Zugehörigkeit.“ In Hannover und Frankfurt hat die öffentliche Kritik des Journalisten über unmenschliche Bedingungen in den Obdachlosen- Quartieren bereits zu Verbesserungen geführt.
„Das ist die größte Genugtuung, wenn man mit einer Veröffentlichung schlimmste Zustände vor Ort verbessern kann und hilft, dass drangsalierten Menschen Gerechtigkeit widerfährt“, erklärt Marathonläufer Wallraff. Auch nach seinen Arbeitswochen als schikanierter Arbeiter in einer Brötchenfabrik im Hunsrück konnte er erreichen, dass sich dort ein Betriebsrat gründen durfte und die Löhne deutlich angehoben wurden. „Die waren so unter Druck, dass sie reagieren mussten, aber es gibt schon wieder einen rückläufigen Trend, da muss ich noch mal ran.“
Das Buch schildert auch Wallraffs Tour als schwarzer Deutscher und als vermeintlicher Flüchtling aus Somalia – „Ich habe eine gute Maskenbildnerin“ - quer durchs Land. Dabei scheitert er am Versuch, eine Wohnung zu mieten, ist unerwünscht auf dem Campingplatz, in einer Wandergruppe oder in Kneipen. Abneigung, Pöbeleien, Sprüche wie „Afrika für Affen. Europa für Weiße“ machen ihn mürbe. Ausgerüstet ist Afrikaner Wallraff mit einer Minikamera und Mikrofonen. Ein Team begleitet ihn unauffällig - für den Film „Schwarz auf weiß“ über den alltäglichen Rassismus in Deutschland, der am kommenden Dienstag (20.10.) in Köln Kinopremiere feiert.
Wallraffs Prognose zu seinem neuen Buch: „Ich rechne wieder mit Prozessen, aber es ist alles beweisfähig, ich habe Zeugen und eidesstattliche Erklärungen. Bisher habe ich immer alle Prozesse gewonnen und bin ja inzwischen selbst schon fast Jurist.“ Seine Darstellungen seien eigentlich teilweise noch zu milde. In einer Nobel-Küche nahe Kaiserslautern müssten Auszubildende fast bis zum Umfallen arbeiten, in der Kaffeehauskette Starbucks herrschten „menschenunwürdige Verhältnisse“.
Der Autor - seit seinem Bestseller „Ganz unten“ (1985) über den türkischen Gastarbeiter Ali weltberühmt, aber auch angefeindet – legt sich in seinem neuen Buch zudem mit der Deutschen Bahn oder Teilen der Anwaltszunft an – „Anwälten, die ihren Titel nicht verdient haben“. So schreibt Wallraff über Anwaltsbüros, die im Auftrag von größeren Unternehmen „trickreich und jenseits der Gesetze unliebsame Mitarbeiter rausmobben oder sie mit konstruierten Kündigungsgründen loswerden“. Einige Kapitel sind allerdings nicht nach Selbstversuch, sondern mit Hilfe von Betroffenen- und Zeugenaussagen entstanden. Klar ist aber für den drahtigen Undercover-Journalisten: „Es gibt noch viel zu tun. Ich mach das weiter.“