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Lyrik für uns alle

„Was stört mich das Geschwätz von gestern“

© Die Berliner Literaturkritik, 02.06.09

Von Theo Breuer

„Was stört mich das Geschwätz von gestern“, wenn Postbote Guido Büchersendungen bringt, die ich gar nicht schnell genug öffnen kann vor lauter Kitzel und Neugierde, Interesse und Ungeduld. Umgehend verblassen beim Öffnen der Päckchen und Pakete diese schnell hingeworfenen, zumeist für den Moment geschriebenen Posts, Kommentare, Leserbriefe und sonstigen Reaktionen, die wir Tag für Tag im Internet und anderswo lesen. Wie groß aber ist die (zum Glück in diesen Jahren eher selten eintretende) Enttäuschung, wenn ich ein Buch aufschlage, den ersten Text lese, die Mundwinkel sich unmerklich nach unten verziehen und ich, fast verstört schon, den zweiten Text lese, den dritten, den vierten, den fünften – und nichts passiert, das heißt, nicht nichts (denn nichts gibt es ja gar nicht), aber nicht das, was ich mir – naturgemäß – „jedes“ Mal erhoffe, wenn ich ein Buch, das Gedichte auf dem Titel ver­spricht, zu lesen beginne.

Kürzlich gab es eine solche Enttäuschung beim jüngsten Band eines schon ein wenig in die Jahre gekommenen Autors, der weiter­hin recht viel schreibt und weiterhin relativ erfolgreich ist, was die Auflagenzahlen seiner Bücher angeht. Im Begleitschreiben des Buches ist von fast tausend in wenigen Monaten unter die Leute gebrachten Exemplaren die Rede, eine mich ziemlich verblüffende Zahl, denn insgesamt scheint es nach 2000 im Vergleich zu den 90er oder gar 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts immer schwieriger zu werden, auch herausragende Gedichtbücher an die Frau oder den Mann zu bringen, das lyrische Internet, dessen gute Seiten ich sehr schätze, scheint mehr und mehr zur fast übermächtigen Konkurrenz fürs Gedichtbuch, das Interesse am Erwerb von Büchern, belohnt mit dem sinnlichen Genuß des Blickens, Blätterns, Fühlens, Spürens, am Aufbau einer Sammlung immer geringer zu werden. Ich las und las und las und dachte, was ich immer denke, wenn bedruckte Seiten nicht so bei mir ankom­men, wie ich es dem Autor, dem Buch und mir als Leser wünsche: Okay, offensichtlich ist das größte anzunehmende Lyrikunheil eingetreten, du bist augenscheinlich übersättigt, offenbar prallen die Gedichte ab heute von dir ab, du hast anscheinend mehr als genug Gedichte gelesen, das kommt dir alles nur noch als zweiter oder dritter Aufguß vor usw. usw. usw., denn ich empfand nichts als Langeweile und Desinteresse, und so las ich zwar (wie meistens bei solchen Büchern vergeblich auf Besserung hoffend) viel zu viele Seiten, brach aber irgendwann gegen Ende des Bandes den Kopf schüttelnd und vor mich hin brummelnd ab.

Mißmutig verlebte ich den Rest des Tages und dachte kummervoll an eine lyriklose Zukunft: „Und schrieb, und schrieb an weißer Wand / Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.“ Ich saß da „mit schlotternden Knien und totenblaß“. Aus und vor­bei. Ich sah in den Garten auf die blattlosen Bäume mit ihren feuchten schwarzen Stämmen und den labyrinthischen Astgerippen, in denen die Vögelein schwiegen. „Wie soll dat bloß wiggerjonn“ singen die Bläck Föös, und ich begriff erstmals die elegisch klingende Frage, die ich seit Jahrzehnten schon kenne und so oft schon gedankenlos mitgesummt habe. Das war’s dann wohl. Mund abputzen und weitermachen, wie der ehemalige Manager Rainer Calmund nach Niederlagen seiner Leverkusener Werkstruppe gebetsmühlenartig posaunte? Hallo?

Am nächsten Tag dann die Büchersendung vom Poetenladen mit der 6. Ausgabe der Literaturzeitschrift Poet – in der ich in zum Teil hochinteressanten Gesprächen mit Friederike Mayröcker (bei jeder Gelegenheit wiederhole ich es gern: ein lyrischer Liebling), Dagmar Nick, Giwi Margwelaschwili, Rainer Kunze, Urs Widmer und Ger­hard Zwerenz mit eigenen Augen lese, daß diese Autoren quasi nix mitkriegen von der Power des ständig über die Ufer tretenden Lyrikstroms, der in diesen 2000er Jahren – gleichsam wildgeworden – durch deutsche Städte und Provinzen rauscht. Tiefpunkt einiger zum Teil un/freiwillig drollig klingenden Aussagen: „Und ich muß auch gestehen, daß ich mit vielen jüngeren Stimmen, wenn ich sie in Zeitschriften finde, nichts anfangen kann – daß ich sie einfach nicht verstehe oder überflüssig finde „(Dagmar Nick) – sowie, und jetzt kommt’s, endlich, endlich, Sandra Trojans Gedichtband „Um uns arm zu machen“

 Wenn ich in Bienen spreche
meine ich Unschärfe, Murmeln
Nektar am Mund. Und wenn ich in
Birnen spreche, in Äpfeln, in Zellen
in Kisten, von Zungen zerfressen
in Zungen, in Menschen, meine ich
Menschen: Schwärme gestempelt
innen & außen, ein Bienentanz
und damit meine ich: Bienentanz

Gleich vom ersten Gedicht Wenn ich in Bienen spreche werde ich hellwach gesummt. Jedwedes dräuende Hirngespinst hat sich im Nu in Nichts aufgelöst. Ich schwebe durch den Funkenflug der Wörter und Verse und bin ebenso beglückt und begeistert, wie es Mi­chael Gratz, Herausgeber der Lyrikzeitung, nach der Lektüre dieses die Leser reich machenden Lyrikbands in der Nachricht 58 vom 12. März 2009 – Frisch aus der Post – be­schreibt.

Während ich vor wenigen Tagen in Carl-Christian Elzes „land/stadt/stopp“ und Jörg Bernigs „wüten gegen die stunden“ (beide Mitteldeutscher Verlag, Leipzig 2006 bzw. 2009) unter den vielen Gedichten einzelne (sehr) starke Stücke finde, die im Gedächtnis haftenbleiben, besticht in Sandra Trojans Buch die Ge­schlossenheit des durchgängig beseelten, schwingenden, vielfältigen Ganzen, dessen energisch auftretende Teile weitestgehend zu „einer“ Wortgestalt verschmelzen, die ich gnadenlos meinem Lyrikinneren einverleibe. Sandra Trojan hat früh gefunden, was manche freilich oft vergeblich beim Schreiben aufzuspüren suchen: Stil, dynamisch erwachsen aus vielen einfach guten, resonanten Wörtern, deren Saft mir die Lefzen herunter­läuft: „Und wollene Moose spannen straff.“ Diesem herrlich geglückten Gedichtbuch wünsche ich tausend Leser – und noch 354 mehr.

PS : Auch der anschließend und zunächst noch mit Sandra Trojans Sound aus „Um uns arm zu machen“ im Kopf gelesene Gedichtband ist ein Gewinn: In „Das AnAlphabet“ (Steidl, Göttingen 2007), auf das mich eine Be­sprechung im Poetenladen aufmerksam macht, schreibt sich Michael Wüstefeld auf springlebendige und originelle Art und Weise Inger Christensens notwendigerweise Fragment gebliebenem, gloriosem „alfabet – die aprikosenbäume gibt es, die aprikosenbäume gibt es „ – vom Buchstaben Z aus mit Phantasie und Verve entgegen: „Überall Ziegenmelker, Zie­genmelker, und Zigarettenkippen überall.“ Es lebe Fibonacci. Die Schwalben machen weiter. Die Dichter machen weiter. Die Leser machen weiter. Hurra.

Literaturangabe:

Trojan, Sandra: Um uns arm zu machen. Gedichte. Poetenladen, Leipzig 2009, 13,80 €.

Weblink:

Poetenladen


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