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Nicole Krauss liebt Berlin - Lesung

Krauss stellt Roman „Das große Haus“ vor / Sie hasst Fagen nach ihrem Ehemann Jonathan Safran Foer

© Die Berliner Literaturkritik, 27.02.11

Von Stephanie Uhlig

Die Clinker-Lounge in der Backfabrik in Prenzlauer Berg ist kein Ort für klaustrophobisch Veranlagte. Wer es die schmale Wendeltreppe hinunter geschafft hat, findet sich in einem kellerartigen Raum voller schwarz-weißer Stühle wieder – zusammen mit rund 200 anderen Menschen, die an diesem Samstagabend (26.02.2011) den Worten der amerikanischen Autorin Nicole Krauss lauschen wollen. Als Moderator führt Rowohlt-Lektor Thomas Überhoff fachkundig durch den Abend.

„Das große Haus“ ist nach „Kommt ein Mann ins Zimmer“ und „Die Geschichte der Liebe“ der dritte Roman der New Yorker Autorin und der erste, seit sie Mutter geworden ist. „Als ich mein erstes Kind bekam, verlor ich zunächst jegliche Ambition zu schreiben“, sagt Nicole Krauss. „Plötzlich ist da etwas anderes im Leben, das viel wichtiger ist.“ Und mit einem Lächeln fügt sie hinzu: „Glücklicherweise – für Sie und für mich – kam die Ambition zurück.“

Im Mittelpunkt von „Das große Haus“ steht zunächst ein überdimensionaler Schreibtisch – ein Schreibtisch, wie ihn Nicole Krauss selbst in ihrem Haus in Brooklyn hat. Wie die Schriftstellerin in ihrem Buch, hat Krauss das Möbelstück geerbt. Allerdings – und sehr zu ihrem eigenen Leidwesen – nicht von einem chilenischen jungen Dichter, sondern vom Vormieter. „Der einzige Weg, den Schreibtisch loszuwerden, wäre, ihn zu zerstören“, sagt Nicole Krauss. Da sie das nicht wollte, hat sie ihn also behalten.

Ob das Möbelstück sie zu ihrem Roman inspiriert hat? „Ich fühle in mir nie so etwas wie eine Inspiration und ich verstehe nicht, wie andere Autoren dies fühlen können“, erwidert die Autorin. „Der Tisch war vielleicht der Ausgangspunkt meiner Geschichte, von der ich am Anfang aber überhaupt nicht wusste, wohin sie führen wird. Ich habe nie einen Masterplan. Das ist vielleicht dumm, aber wenn ich einen hätte, könnte ich nicht mehr schreiben. Ich lasse mich stattdessen selbst von dem überraschen, was meine Figuren am Ende plötzlich alle verbindet.“

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Nicole Krauss sieht in ihrem Roman daher auch den Ausdruck einer Sehnsucht, die wir alle haben, nämlich der, dass alles im Leben auf irgendeine Art und Weise miteinander verbunden ist und eine Einheit bildet.

Dann liest Nicole Krauss aus ihrem Buch. Sie liest aus dem langen Monolog des israelischen Richters, der nach der Beerdigung seiner Frau versucht, erstmals einen Zugang zu finden zu seinem inzwischen erwachsenen Sohn. Die beiden haben sich im Laufe der Jahre mehr und mehr voneinander distanziert, während die Mutter stets die Einzige war, die ihr Kind verstehen konnte. Der verwitwete Vater blättert nun Seite um Seite in seinen Erinnerungen. Ob eine Nähe zwischen Vater und Sohn jemals hergestellt werden kann, bleibt letztlich offen. Nicole Krauss liest ruhig und unaufgeregt und es fällt leicht, ihr zuzuhören.

Im Anschluss liest auch die bekannte Berliner Moderatorin Sarah Kuttner, jedoch eine andere Passage im Buch. Es geht nun um den Witwer der deutsch-jüdischen Schriftstellerin Lotte Berg, die einst vor den Nazis von Nürnberg nach England floh. Nach Jahrzehnten des gemeinsamen Lebens stellt der Ich-Erzähler fest, dass seine an Alzheimer verstorbene Frau für ihn letztlich immer ein Mysterium bleiben muss, das er nie vollends verstehen wird.

Sarah Kuttner gelingt es an diesem Abend nicht ansatzweise, die Melancholie, die in Nicole Krauss’ Texten mitschwingt, durch ihr Lesen auszudrücken. Kuttners sonst so beliebte lässige Berliner Art mündet hier in einer nuschelnden Aussprache, ihr Atem scheint zu kurz für die langen, verschachtelten Sätze von Nicole Krauss zu sein. Kuttner verhaspelt sich, stockt, sorgt auch mal für einen Lacher zwischendurch, aber leider geht die Tiefgründigkeit der von ihr gelesenen Passagen dabei verloren.

Es hätte vollkommen ausgereicht, die Veranstaltung allein mit Nicole Krauss und ihrem deutschen Lektor Thomas Überhoff durchzuführen, dessen Fragen sie im Anschluss noch einmal ausführlich beantwortet.

Sieht sie sich selbst als Teil einer jüdischen Schreibtradition? „In gewisser Weise ja“, antwortet Nicole Krauss. „Ich beneide Menschen, deren Familien seit Generationen an einem Ort Leben, eine Heimat haben. In Amerika ist das oft nicht so. Meine Großeltern stammen aus Europa und wurden durch den Krieg zum Auswandern gezwungen. Vielleicht ist mein Schreiben auch der Versuch, durch das Zusammenfügen verschiedener Orte eine Art Heimat zu kreieren.“ Genau so ein Versuch ist „Das große Haus“. Es ist Vergangenheitsbewältigung und Überlegung über die Möglichkeiten der Zukunft zugleich. „Mehr als der Holocaust selbst interessieren mich die Folgen“, erklärt die Autorin.

Auch das Publikum darf Fragen stellen, die Nicole Krauss freundlich und ausführlich zu beantworten versucht. Allein auf die Frage nach ihrem Ehemann Jonathan Safran Foer und seinem Einfluss auf ihr Schreiben reagiert sie allergisch. „Ich hasse diese Frage!“, sagt sie bestimmt und schweigt danach beharrlich, bis die nächste Frage gestellt wird. Wie es sich anhört, das eigene Buch in einer fremden Sprache vorgelesen zu bekommen? „Wie habe ich denn ausgesehen?“, fragt die Autorin lachend zurück und fügt hinzu: „Ich frage mich einfach nur die ganze Zeit: Wie bin ich bloß hierher gekommen? Was mache ich hier? Das ist schon absurd, aber ich mag dieses Absurdität.“

Genau das ist es, was Nicole Krauss so sympathisch macht: Sie bleibt stets freundlich und ruhig, wirkt nie hochmütig angesichts ihres Erfolgs und des überschwänglichen Lobs seitens des Publikums. Gleichzeitig ist sie ehrlich und berechtigterweise stolz auf ihre Arbeit. Am Ende der Veranstaltung signiert die New Yorkerin geduldig die Bücher der schier endlos wartenden Menschenschlange, nimmt sich Zeit, um mit jedem ein paar Worte zu wechseln und trinkt zwischendurch noch eine Flasche deutsches Bier.

Auf die Frage wie es dazu kam, dass sie, wie sie am Ende ihres Buches schreibt, teilweise in Berlin dank der Unterstützung der American Academy gearbeitet hat, antwortet sie schlicht: „Weil ich Berlin liebe.“ Und heute Abend liebt Berlin sie.


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