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„Notleidende Banken“ heißt das Unwort 2008

Begründung: Die Verursacher Krise werden durch diese Formulierung zu Opfern stilisiert

© Die Berliner Literaturkritik, 20.01.09

 

FRANKFURT AM MAIN (BLK) - Das Unwort des Jahres 2008 heißt „notleidende Banken“. „Die Formulierung stellt das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise rundweg auf den Kopf“, begründete der Sprecher der unabhängigen Jury, Horst Dieter Schlosser, am Dienstag in Frankfurt die Wahl. „Während die Volkswirtschaften in ärgste Bedrängnis geraten und die Steuerzahler Milliardenkredite mittragen müssen, werden die Banken mit ihrer Finanzpolitik, durch die die Krise verursacht wurde, zu Opfern stilisiert“, heißt es in der Begründung der Sprach-Experten.

„Wer die Formulierung aufgebracht hat, wissen wir aber nicht“, sagte Schlosser. Das Unwort wurde aus 1129 verschiedenen Vorschlägen ausgewählt. 2117 Einsender aus dem In- und Ausland hatten sich an der 18. Aktion beteiligt.

Die Experten-Jury kritisierte auch den Begriff „Rentnerdemokratie“. „Als die Renten um ganze 1,1 Prozent erhöht werden sollten, malte der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog, selbst Bezieher satter Altersbezüge, das Schreckbild eines Staates, einer ‚Rentnerdemokratie’, in der ‚die Alten die Jungen ausplündern’“, begründete die Jury.

Gerügt wurde zudem die Wortschöpfung „Karlsruhe-Touristen“ als „bedenkliches Verständnis der Grundrechte“. Mit der Formulierung habe der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPOlG), Rainer Wendt, die FDP-Politiker Gerhart Baum und Burkhard Hirsch diffamiert, „die wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen schon einmal vor das Bundesverfassungsgericht gegangen waren und dies beim neuen BKA-Gesetz noch einmal tun könnten“.

Als Unwort werden seit 1991 sprachliche Missgriffe gebrandmarkt, die sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen. Ziel der sprachkritischen Aktion ist es, „für mehr sachliche Angemessenheit und Humanität im öffentlichen Sprachgebrauch zu werben“.

Die Häufigkeit eines Vorschlags spielt bei der Entscheidung keine Rolle. Mit „notleidenden Banken“ traf es diesmal aber einen Begriff, der zusammen mit „Nacktscanner“ am häufigsten vorgeschlagen worden war (je 48 Mal). Sehr viele Vorschläge hätten auf die gegenwärtige Finanzkrise Bezug genommen, sagte Schlosser. Über diesen Begriff, der von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres 2008 gewählt wurde, habe die Unwort-Jury ebenfalls diskutiert, „weil vieles als Krise heruntergestuft wird, obwohl es eine Katastrophe ist“. „Schauen Sie sich an, wo überall Krisen heutzutage sind und in Wirklichkeit bis zu Hunderttausende sterben“, sagte der emeritierte Sprachwissenschaftler und nannte als Beispiel das „Krisengebiet“ Darfur (Sudan).

Das Unwort kürt eine unabhängige Jury, der neben Schlosser die Sprachwissenschaftler Prof. Nina Janich (Darmstadt), Prof. Margot Heinemann (Leipzig) und Prof. Martin Wengeler (Düsseldorf) angehören. Dazu kommen jedes Jahr andere Vertreter der öffentlichen Sprachpraxis, diesmal war es der Chefredakteur der „Thüringer Allgemeinen“, Sergej Lochthofen.

2007 hieß das Unwort „Herdprämie“. Ein Begriff, der Eltern diffamiere, die ihre Kinder zu Hause erziehen, anstatt einen Krippenplatz in Anspruch zu nehmen, urteilten die Experten. 2006 rügten die Juroren „Freiwillige Ausreise“, einen Behördenterminus für die Rückkehr abgelehnter Asylbewerber.

Das Börsen-Unwort 2008, das zeitgleich in Düsseldorf verkündet wurde, lautet „Leerverkauf“. Dieser Begriff sei irreführend, weil er befürchten lasse, dass Leerverkäufe ohne jeden „Inhalt“ von statten gehen könnten. Jeder Verkäufer aber müsse das Wertpapier im Depot haben, weil er am Kassamarkt binnen zweiter Tage seiner Lieferverpflichtung gegenüber dem Käufer nachkommen müsse. (jud/dpa)

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