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Alfred Döblins „November 1918“: Zwischen Geschichte und Fiktion

© Die Berliner Literaturkritik, 18.05.09

„Döblins großes episches werk über die revolution von 1918 stellt einen triumph des neuen typus eingreifender dichtung dar, ein politisches und ästhetisches unikum in der deutschen literatur und ein nachschlagewerk für alle schreibenden.“ Die von Bertolt Brecht gerühmte Leistung Alfred Döblins (1878-1957) erkannten viele erst lange nach ihm. Heute wird der vierbändige und umfangreichste Roman Döblins („November 1918 – Eine deutsche Revolution“) neben „Berlin Alexanderplatz“ (1929) zu seinen bedeutendsten Büchern gezählt.

Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler emigrierte Döblin zunächst nach Paris, später nach New York. In den bewegten Jahren des Exils schrieb er von 1937 bis 1943 seinen Romanzyklus über die Novemberrevolution von 1918. Was bewog aber einen Autor im Exil, ein solches Projekt in Angriff zu nehmen, noch dazu einen historischen Roman über eine gescheiterte und 20 Jahre zurückliegende Revolution? Diese Frage beantwort der Autor selbst: „Aber wo bei Schriftstellern die Emigration ist, ist auch gern der historische Roman. Begreiflicherweise, denn abgesehen vom Mangel an Gegenwart ist da der Wunsch, seine historischen Parallelen zu finden, sich historisch zu lokalisieren, zu rechtfertigen, die Notwendigkeit, sich zu besinnen, die Neigung sich zu trösten und wenigstens imaginär zu rächen.“ Mit dem Ende 1937 begonnenen Projekt knüpfte Döblin sowohl an seine politische Essayistik der Weimarer Republik an als auch an seine eigenen Erlebnisse in Berlin und seine Zeit als Lazarettarzt im Elsass 1918/19. Das Romanprojekt war auch der Versuch, einen Zusammenhang zwischen dem Scheitern der Novemberrevolution und dem Aufstieg der Nationalsozialisten herzustellen.

In „November 1918“ führt Döblin, als Schriftsteller aber vielleicht auch als Arzt, eine umfassende Untersuchung der politischen und sozialen Krankheiten am Patienten Deutschland durch.

In „November 1918“ führt Döblin, als Schriftsteller aber vielleicht auch als Arzt, eine umfassende Untersuchung der politischen und sozialen Krankheiten am Patienten Deutschland durch. Das Resultat ist eine ungeschönte Diagnose der Novemberrevolution, die 1918 im Deutschen Reich zum Sturz der Monarchie und zur Errichtung der parlamentarischen Republik führte. Dieser Prozess brachte jedoch keine Umwälzung der sozialen Verhältnisse, wie es etwa 1917 in Russland der Fall war. In dieser Zeit, vom 10. November 1918 bis zum 15. Januar 1919, siedelt Döblin verschiedenste Handlungsstränge und –ebenen an, sie bilden einen Querschnitt durch die damalige Gesellschaft und die vielfältigen Bedingungen der Novemberrevolution.

Im ersten Band „Bürger und Soldaten 1918“ entfaltet Döblin ein dichtes Panorama aus exemplarischen Einzelschicksalen, die die Stimmung der ersten beiden Wochen nach dem 9. November 1918 zum Ausdruck bringen. Zur Hauptfigur, deren Geschichte sich durch den gesamten Romanzyklus zieht, macht Döblin Friedrich Becker, vor dem Krieg Altphilologe, nun Oberleutnant, genauer: Patient in einem elsässischen Lazarett und Opfer einer Kriegsneurose. Eine weitere Figur ist Erwin Stauffer, ein unter seiner Schaffenskrise leidender Dramatiker, der stets von amourösen Instinkten beherrscht wird und vollkommen unpolitisch veranlagt ist. In den Stauffer-Episoden kommen vor allem Ironie und Parodie zum Tragen. Diese fiktiven Lebensläufe wechseln sich ab mit Kapiteln über historische Ereignisse und Personen.

War Straßburg noch Schauplatz des ersten Bandes, führt der erste Teil des zweiten Bandes („Verratenes Volk“) ins Zentrum des Machtkampfes, nach Berlin. Hier begegnet man den historisch-politischen Akteuren, wie dem Anführer des Spartakusbundes Karl Liebknecht sowie den Sozialdemokraten Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann. An ihnen bringt Döblin seine Enttäuschung über die deutsche Sozialdemokratie und deren Mitschuld am Scheitern der Revolution zum Ausdruck. Nicht unbeachtet bleibt auch das Fehlverhalten des sich selbst verratenden Volkes.

Im zweiten Band des zweiten Teiles „Heimkehr der Fronttruppen“ ist der Titel Programm. Döblins exemplarischer Heimkehrer ist der junge Leutnant Johannes Maus, ein unpolitischer Kleinbürger, der aber vorerst mit den sozialistischen Revolutionären sympathisiert. Sein Schicksal ist verwoben mit dem der Hauptfigur Friedrich Becker, den er im Lazarett kennen gelernt hat.

Unter dem Titel „Karl und Rosa. Eine Geschichte zwischen Himmel und Hölle“ widmet sich der dritte und letzte Teil dem menschlichen und persönlichen Bild Rosa Luxemburgs. Aus der starken Revolutionärin ist eine im Gefängnis halluzinierende Existenz geworden. Liebknecht und Luxemburg fungieren hier als Figuren des Scheiterns.

Döblin führt sein Personal vor und gibt den Blick auf unliebsame Wahrheiten frei. Sei es die unrevolutionäre Mentalität der Soldaten oder der politische Bewusstseinsmangel innerhalb der breiten Bevölkerung. Auf diese Weise schrieb er sowohl ein historisches Tatsachendokument als auch ein Werk dichterischer Fiktion. Auch scheute der Autor keine gewagten Bezüge, wie etwa die zwischen politischer Satire und christlicher Mystik.

Allein aufgrund seines historisch politischen Inhalts war der Roman, insbesondere zur Zeit seiner Entstehung, brisant. Zudem bieten die Editionsgeschichte und die Rezeption der Tetralogie einen traurigen Blick auf Döblins letzte Schaffensperiode und die deutsche Literaturgeschichte in der Mitte des 20. Jahrhunderts.

Alfred Döblin zählt zu den großen Klassikern der deutschsprachigen Moderne. Mit „Berlin Alexanderplatz“ (1929) schrieb er den bekanntesten deutschen Großstadtroman, der gleichzeitig sein einziger großer Publikumserfolg war. Genau dieser Erfolg wurde ihm für seine späteren Arbeiten jedoch zum Verhängnis.

„Ich bin in diesem Land überflüssig.“

„November 1918“ entstand in der Zeit von 1937 bis 1943. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges konnte der erste Teil „Bürger und Soldaten 1918“ zwar noch beim Querido-Verlag in Amsterdam erschienen, viel Resonanz bekam dieser jedoch nicht. Erst 1948 erschienen die weiteren Bände beim Karl-Alber-Verlag, wobei fast der gesamte erste Band der Zensur zum Opfer fiel. Während sich Döblins weitere Werke leidlich gut verkauften, blieb „November 1918“ unbeachtet. Die Resonanz der literarischen Öffentlichkeit fehlte und die Döblinforschung konzentrierte sich auf sein Frühwerk. So fühlte sich Döblin, der als einer der Ersten aus dem Exil  zurückkehrte, isoliert und nicht gebraucht („Ich bin in diesem Land überflüssig.“). Wahrscheinlich war es auch der Misserfolg seiner monumentalsten Arbeit, der ihn 1953 zur erneuten Umsiedlung nach Paris bewog. Günter Grass drückte es einmal sehr treffend aus: „Döblin ist aus der Emigration nie ganz zurückgekommen.“

Erst 1978 erschien die vollständige vierbändige Ausgabe des Romanzyklus beim Deutschen Taschenbuch Verlag, die innerhalb kurzer Zeit vergriffen war. Nach „Jahren des Exils“ ist nun das Werk Alfred Döblins wieder in seinen Heimatverlag S. Fischer zurückgekehrt, der schon 1929 „Berlin Alexanderplatz“ veröffentlichte und nun wieder die Weltrechte am Werk Döblins besitzt. Die bei S. Fischer erschienene (textkritisch überarbeitete und ansprechend gestaltete) Ausgabe von „November 1918“ ist es wert, als großes literarisches Dokument erneut entdeckt zu werden.

Von Carolin Beutel

Literaturangabe:

DÖBLIN, ALFRED: November 1918 – Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen. Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008, 416 S., 17,90 €.

DÖBLIN, ALFRED: November 1918 – Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen. Zweiter Teil, Erster Band: Verratenes Volk. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008, 492 S., 18,90 €.

DÖBLIN, ALFRED: November 1918 – Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen. Zweiter Teil, Zweiter Band: Heimkehr der Fronttruppen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008, 576 S., 18,90 €.

DÖBLIN, ALFRED: November 1918 – Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen. Dritter Teil: Karl und Rosa. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008, 784 S., 19,90 €.


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