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Nur die

99 Geschichten aus dem Leben einer Frau

© Die Berliner Literaturkritik, 25.08.09

HAMBURG (BLK) – Im August ist bei Hoffmann und Campe der Geschichtenband „nur die“ von Heike-Melba Fendel erschienen.

Klappentext: „Leben Sie, solange es geht, im Abenteuer“. Diesen Rat ihres Professors befolgt die Protagonistin in dem Roman „nur die“ mit Lust und allen Möglichkeiten, die sich ihr bieten. Die Frau mit dem erfundenen Namen tanzt in New York und tobt in Berlin. In lauter Literaturminiaturen zeichnet Heike-Melba Fendel das lebendige Bild einer Frau, die durch verheerende wie erregende Erfahrungen stürmt, und dabei weder sich noch ihre Begleiter schont. Die einzelnen Geschichten fügen sich wie Teile eines zerbrochenen Spiegels zusammen und ergeben schließlich ein facettenreiches Ganzes, ein Generationsporträt, wie wir es noch nicht hatten. Denn neben dem Schein und Sein gehören dazu natürlich auch das Hässliche und Kleine dieser Welt. So stellt die Autorin bei aller Unterhaltsamkeit vor allem die Frage nach dem Sinn von Beziehungen – besonders derer zwischen Männern und Frauen …

Heike-Melba Fendel wurde am 1961 in Köln geboren. Sie ist Inhaberin der Veranstaltungs- und Künstleragentur Barbarella Entertainment. Parallel dazu arbeitet sie als Journalistin und Moderatorin mit Schwerpunkt Film und Frauen.

Leseprobe:

©Hoffmann und Campe©

Einem einmal

Gleich nach der Landung in Los Angeles stellte sich dieses Gefühl ein. Ein Ankommen im Unverhofften, man muss es wohl Glück nennen. Ich war zum ersten Mal an der Westküste; Sonja hatte mir gesagt, ich solle zu ihr kommen, nach Malibu, ganz ans Ende des PCH, des Pacific Coast Highway. Dorthin fuhren wir in ihrem roten Maranello. Während wir mit offenem Verdeck die Küste entlangglitten, zeigte sie auf dieses und jenes Strandanwesen und zählte die Namen der Superstars auf, denen sie gehörten. Sonja war meine Freundin. Sie hatte reich geheiratet und wollte immer, dass alle Freunde nach Malibu kommen, am besten für immer, weil es dort so schön sei. Es war schön, aber ein Hauch von Anstrengung wehte vom Pazifik über die polizeigeschützten Anwesen, in denen jedes Paar nach klaren Vorgaben zueinander gefunden hatte, meist paarte sich Geld mit Schönheit. Sonja war schön und ihr Mann sehr nett. Mein alter Freund Ralf war auch nett geworden, stellte sich heraus. Er hatte mich geschlagen, als Erster so richtig. Das nun war lange her, und weil er zufällig auch ein paar Wochen in LA war, verabredeten wir uns. Er holte mich ab, und wir fuhren über den PCH in ein schickes Restaurant mit Blick auf einen von wuchtigen Villen durchsetzten Canyon. Wir waren ja inzwischen erwachsene Menschen, erfolgreiche Menschen. Er war immer noch Architekt, längst mit Professur, klar. Er hatte Verhältnisse mit zahlreichen Studentinnen, auch klar. Aber nun gab es da eine Künstlerin in LA. Ihretwegen war er dort. Ja, die Künstlerin, die war verrückt, herrlich verrückt wahrscheinlich. So lange her war das mit uns, da redete man gerne über was Neues, wir waren ja erwachsene Menschen. Warum es mir plötzlich einfiel, was in mich fuhr, woher diese Ehrlichkeit, ich bin selten ehrlich – ich wusste es nicht, aber ich machte es. Ich fragte ihn warum er es getan hatte, ob er wisse, was es mit mir angerichtet hatte, damals, als derlei Dinge undenkbar schienen. Geschluckt habe ich sicher, aber geweint auf keinen Fall. Ich wollte etwas erfahren über eine Zeit, die lange zurücklag, und einen Ort, der weit entfernt war. Er gab mir keine Antwort, er hörte nicht, verstand nicht. Ich ließ es gut sein, was hätte er schon sagen sollen. Aber ich hatte es gesagt, einmal hatte ich es einem gesagt, dass es schrecklich ist und dass es etwas anrichtet. Wir tranken weiter unseren kalifornischen Rotwein und blickten in die schöne Landschaft.

Wenige Monate später kam Sonjas Mann bei einem Reitunfall ums Leben, und ich flog zum zweiten Mal nach Los Angeles. Auf eigentümliche Weise war auch das eine gute Reise. Glück ist ein seltsamer Ort.

Wir hatten schon

Meine Tochter war noch recht klein, als wir an einem Sonntagmittag im Brauhaus Päffgen essen gingen. Holzvertäfelte, säuerlich riechende Köln-Folklore in der Friesenstraße. Zu jener Zeit, und lange danach noch, aß meine Tochter nach Farbe, was nicht beige war, kam im Grunde nicht in Frage, und so wird sie auch dort wohl Kartoffelpüree mit Weißbrot gegessen haben. Ein paar Tische weiter vergnügte sich ein Filmteam mit Hauptdarsteller. Der Hauptdarsteller trank etliche Gläser Kölsch. Er war berühmt und betrunken, und er kam herüber an unseren Tisch. Du bist aber ein hübsches Mädchen, sagte er zu meiner Tochter, und deine Mama ist auch sehr hübsch. Ich sah ihn an und sagte: Wir hatten schon.

Es war in einer Wohnung am Friesenplatz geschehen, einer sehr großen Wohnung. Oft wurde sie gewerblich als Galerie genutzt, aber alle paar Jahre wohnten Leute privat zur Miete. Der Schauspieler zum Beispiel. Er war damals der Mitbewohner eines selbsternannten Lebenskünstlers. Den kannte ich ganz gut, und ihn ging ich besuchen. Geschlafen habe ich aber mit dem Schauspieler in der sehr großen Wohnung. Viel später bin dann ich in diese Wohnung gezogen. Von dort waren wir auch ins Päffgen gekommen. Das habe ich dem Hauptdarsteller nicht erzählt, dann hätte ich ihm den Rest auch erzählen müssen. Man weiß, oder man weiß nicht.

Trümmerkinder

Das Schlimmste was man einer Frau sagen kann, ist, sie sei eine starke Frau. Man sagt es ihr, wenn sie Falsches tut, wenn sie aushält, verharzt, übrig bleibt. Man sagt es, wenn sie nicht stirbt, wo man sterben muss, wenigstens ein bisschen. Frauen nennen jene Frauen stark, die etwas überwunden haben, was man nicht überwinden will, weil man es nicht erleben will, schwere Verletzungen, schwere und schwerste Beziehungen, Tode und Abertode. Männer nennen jene Frauen stark, deren Stärke ihnen Anlass gibt, sie zu betrügen, weil sie wissen, dass sie das aushalten werden. Mit dem Preisen der Stärke entzieht man der Tragödie den Boden, den Nährboden der möglichen Heilung. Die Stärke der Frauen folgt der Härte der Männer. Der Härte, die diese an den Tag legen, weil ihre Taten im Dunkel der Nacht, der Erinnerung, der  Zeit verloren gingen. Ihrer zu Härte vereisten Hilflosigkeit, die ihnen jene Kaltblütigkeit verlieh, die das Vergessen braucht. Eine Generation Überlebender hatte ihr Leben gemeistert, als hätte sie alle Glieder am Leib, alle Sinne beieinander. Unsere Väter, unsere Lehrer, die Lenker unserer Entwicklung, die uns voller Rührung ihren Lieblingsautor Wolfgang Borchert nahelegten, hatten nicht einen Tag krankheitsbedingt gefehlt; egal, was ihnen fehlte, die zarten Kameraden womöglich, die zugrunde gingen, wie ihr Borchert. Der Lektüre seiner Geschichten widmen sich nun die Kindeskinder, deren Lehrer und Väter oftmals fehlen, krankheitsbedingt oder ganz und gar. Die Jugendlichen mögen besonders die Stelle: „Wir sind die Generation ohne Bindung und ohne Tiefe. Unsere Tiefe ist Abgrund.“ Die zitieren sie gern, um das Ausmaß ihrer Verlorenheit zu umreißen, bevor sie sich, inmitten von Identitätstrümmern, den eigenen Exzess organisieren.

 

© Hoffmann und Campe ©


Literaturangabe:

FENDEL, HEIKE-MELBA: „nur die“. Ein Leben in 99 Geschichten. Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 180 S., 14,99 €.

Weblink:

Hoffmann und Campe


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