MÜNCHEN (BLK) – Der Verlag Droemer Knaur hat im November 2009 Andre Agassis Selbstporträt „Open“ veröffentlicht.
Klappentext: Zum Wunderkind erkoren, zum Tennis getrieben, wurde aus Andre Agassi der rebellische Superstar auf dem Centre Court, eine Pop-Ikone der Achtziger. Kaum stand er ganz oben auf der Weltrangliste, stürzte er ab und fiel tief. Sein spektakuläres Comeback und seine Liebe zu Stefanie Graf machten ihn zu der überragenden Persönlichkeit, die er heute ist. Er fördert die Schulbildung benachteiligter Kinder und kann ihnen das geben, was sein Triumph ihn selbst gekostet hat. Das sensationelle Selbstporträt eines begnadeten Tennisspielers, der über sich selbst hinausgewachsen ist.
Andre Agassi war von 1986 bis 2006 professioneller Tennisspieler. Er stand mehrmals an der Spitze der Weltrangliste und gewann acht Grand-Slam-Turniere. Als einziger Spieler hat er den Golden Slam gewonnen – alle Grand-Slam-Titel und die olympische Goldmedaille. Darüber hinaus war er einer der besten Davis-Cup-Spieler. Als Begründer der Andre Agassi Charitable Foundation hat er bislang Spenden in Höhe von mehr als 85 Millionen US-Dollar für die Andre Agassi College Preparatory Academy gesammelt, eine Privatschule für benachteiligte Kinder in seiner Heimatstadt Las Vegas. Mit seiner Frau Stefanie Graf und den beiden Kindern Jaden und Jaz lebt er in Las Vegas. (olb)
Leseprobe:
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Ich öffne die Augen und weiß nicht, wo und wer ich bin. Nichts Ungewöhnliches – mein halbes Leben lang habe ich das nicht gewusst. Trotzdem fühlt es sich diesmal anders an. Die Verwirrung ist beängstigender. Fast total. Ich blicke auf. Ich liege auf dem Boden neben dem Bett. Jetzt erinnere ich mich wieder. Ich bin während der Nacht vom Bett auf den Fußboden umgezogen. Das tue ich meistens. Ist besser für meinen Rücken. Zu viele Stunden auf einer weichen Matratze führen zu höllischen Schmerzen. Ich zähle bis drei, dann beginne ich mit dem langen, schwierigen Prozess des Aufstehens. Hustend und stöhnend drehe ich mich auf die Seite und rolle mich wie ein Fötus zusammen. Dann drehe ich mich auf den Bauch und warte darauf, dass das Blut zu zirkulieren beginnt. Ich bin ein junger Mann, relativ jung zumindest. Sechsunddreißig. Aber nach dem Aufwachen fühle ich mich, als wäre ich sechsundneunzig. Nach drei Jahrzehnten des Rennens und Abstoppens, des Hochspringens, nach unzähligen Sprüngen und harten Landungen fühlt mein Körper sich nicht mehr so an, als gehörte er mir, vor allem am frühen Morgen. Folglich fühlt sich auch mein Kopf nicht so an, als würde er mir gehören. Wenn ich die Augen öffne, bin ich mir selbst fremd, und obwohl ich auch daran gewöhnt bin, ist dieses Gefühl am frühen Morgen besonders stark. Schnell gehe ich die wesentlichen Fakten durch. Mein Name ist Andre Agassi. Meine Frau heißt Stefanie Graf. Wir haben zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, fünf und drei. Wir leben in Las Vegas, Nevada, wohnen jedoch derzeit in einer Suite im Hotel Four Seasons in New York, weil ich bei den US Open 2006 spiele. Mein letzter Auftritt bei den US Open. Mein letztes Turnier überhaupt. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit Tennis, obwohl ich Tennis verabscheue, obwohl ich diesen Sport mit dunkler, heimlicher Leidenschaft hasse, ihn immer gehasst habe. Nachdem dieses letzte Puzzleteil meiner Identität seinen Platz gefunden hat, gleite ich auf die Knie und warte. Leise flüstere ich vor mich hin: Hoffentlich ist das alles bald vorbei. Dann: Ich kann mich noch nicht damit abfi nden, dass es vorbei ist. Aus dem Nebenzimmer höre ich Stefanie und die Kinder. Sie lachen und plaudern beim Frühstück. Mein überwältigendes Bedürfnis, sie zu sehen und zu berühren, und mein heftiges Verlangen nach Koffein geben mir die Kraft, die ich brauche, um mich endgültig aufzurichten. Der Hass zwingt mich auf die Knie, die Liebe bringt mich wieder auf die Füße. Ich werfe einen Blick auf die Uhr auf dem Nachttisch. Halb acht. Stefanie hat mich ausschlafen lassen. In den letzten Tagen ist die Müdigkeit überwältigend. Zu der körperlichen Anstrengung kommt noch die Gefühlsfl ut, die mein bevorstehender Rückzug aus dem Profi sport mit sich bringt. Jetzt, wo die Müdigkeit nachlässt, kommt die erste Schmerzwelle. Ich fasse mir an den Rücken. Mein Rücken packt mich. Ich fühle mich, als hätte sich über Nacht jemand hereingeschlichen und so eine Lenkradkralle an meinem Rückgrat befestigt. Wie soll ich bei den US Open antreten mit einer Lenkradkralle im Rücken? Wird das letzte Match meiner Karriere mit einer Niederlage enden? Ich wurde mit Olisthesis geboren, einem Wirbelgleiten, was bedeutet, dass sich ein Wirbel im unteren Teil meiner Wirbelsäule selbständig macht, dass er rebelliert. (Das ist der Hauptgrund für meinen Watschelgang.) Wegen dieses einen rebellischen Wirbels haben die Nerven in meiner Wirbelsäule kaum Bewegungsfreiheit. Bei der kleinsten Bewegung fühlen meine Nerven sich sofort beengt. Dazu zwei Bandscheibenvorfälle und ein Wirbelkörper, dessen knöchernes Wachstum immer wieder provoziert wird, um diesen Bereich der Wirbelsäule zu schützen, so dass meine Nerven regelrecht Platzangst kriegen. Wenn sie dann anfangen, gegen die Enge zu protestieren, wenn sie Stresssignale aussenden, fährt mir ein Schmerz ins Bein, der mir den Atem raubt und unverständliche Worte entlockt. In solchen Situationen kann ich mich nur noch hinlegen und abwarten. Manchmal allerdings passiert es mitten in einem Match. Dann kann ich mir nur helfen, indem ich meine Spieltechnik ändere, anders schlage, anders laufe, alles anders mache. Und dann verkrampfen sich meine Muskeln. Niemand mag Veränderung, Muskeln am allerwenigsten. Wenn ich von meinen Muskeln verlange, dass sie etwas anderes tun, verbünden sie sich mit den aufständischen Nerven in meinem Rückgrat, und schon liegt mein ganzer Körper im Krieg gegen sich selbst.
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Literaturangabe:
AGASSI, ANDRE: Open – Das Selbstporträt. Droemer Knaur, München 2009. 592 S., 22,95 €.
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