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Ein Opfer der Vergangenheit?

Ursula Nuber gibt Tipps zur Selbstbestimmung des Lebens

© Die Berliner Literaturkritik, 22.06.10

Von Leonhard Reul

Die Psychologin Ursula Nuber hat ein neues Buch geschrieben. Und dabei ein für sie altes Thema wieder aufgenommen: der Einfluss der Kindheit auf das Leben der Erwachsenen. Kindheit prägt – dieser Satz hat inzwischen unzählige geprägt und Nuber macht sich die Mühe auszuloten, inwieweit er wirklich gilt. Die Antwort der Autorin, einer Vertreterin der positiven Psychologie, ist simpel und dennoch differenziert. Jede Kindheit schreibt ein Skript und es liegt an uns, wie wir in Folge damit umgehen. Schlimme Jahre zu Beginn erschweren den Start in ein erfüllendes Erwachsenenleben, verunmöglichen es aber nicht zur Gänze.

Nuber präsentiert uns hierzu einige Biografien von Prominenten, die mit schlimmen „Fehlstarts“ beginnen. Sie zeigt dem Leser schwache Eltern, die Bedürfnisse ihrer Kinder nicht wahrnehmen geschweige denn erfüllen. Und sie verweist auf die dramatischen Folgen für manche dieser Fälle: das Leben ist schwer und endet in einem emotionalen Desaster – Romy Schneider oder Michael Jackson sind solche hilflose Langzeitopfer ihrer Kindheit. Ganz anders aber sieht das Ergebnis bei Steve Martin oder Elton John aus – ähnliche Mangelerfahrungen in der Kindheit führen hier nicht zum Super-GAU. Was sagt uns das? Nuber gibt die einleuchtende Antwort: Nicht jede unerfüllte Kindheit produziert traurige, ängstliche oder beziehungsunfähige Erwachsene.

Die tausendfache Leserschaft, die das Buch binnen kürzester Zeit auf die Bestsellerlisten beförderte, erwartet sich nun natürlich die Antwort auf die Frage: Wie schaffe ich trotz schwierig eingestufter Kindheit das Erwachsenenleben ähnlich emotional erfolgreich zu meistern wie Elton John oder Steve Martin? Nuber gliedert hierfür ihr Buch in mehrere Abschnitte, die durchweg sinnvoll sind. Zunächst erklärt sie uns, warum Ausweichmanöver in der Kindheit nützlich waren: schlichtweg deshalb, weil wir seinerzeit den Eltern ausweglos ausgesetzt waren und folglich ausweichen mussten, um nicht emotional „überfahren“ zu werden. Nur sind diese Manöver folgenreicher Natur. Sie schreiben ein Skript, helfen ein Verhalten einzuprägen, das in der Situation der Kindheit sinnvoll heute aber behindernd ist.

Neben Verhaltensstrategien befördert Kindheit auch die Ausbildung von Glaubenssätzen über sich selbst – die uns in der Regel länger begleiten und definieren als uns lieb ist. Gerade in Stresssituationen, die uns an unsere Grenzen bringen und mehr als sonst verletzlich machen, werden diese Selbstzuschreibungen aus Kindheitstagen ungewollt wieder aktiv – und auch die damals begangenen Auswege scheinen auf. Nur sind sie zumeist inadäquat geworden und helfen nicht wirklich, sondern verursachen eher neue Probleme, sagt Nuber. Daher gilt es eine „gesunde“ Distanz zu diesen Vehikeln einzunehmen. Wie aber gelingt dies dem unglücklichem „noch immer“(weil in alten Mustern so gefangenen) „Kind“?

Nuber vertritt die These, dass die eindimensionale Sicht („Ich bin…“) des Selbst erweitert werden kann – niemand ist nur Opfer der Eltern und dadurch Träger von negativen Eigenschaften mit nur einem Handlungsrepertoire. Ein neues Skript unser Selbst ist prinzipiell anlegbar – alternative Glaubenssätze über uns sind auffindbar. Eine breit angelegte Suche in der Kindheit bringt oft auch alternative Erfahrungen zum Vorschein – Resilienz heißt hier das fachspezifische Zauberwort. Positive Erfahrungen mit anderen Bezugspersonen im Kindheitsalter und auch im späteren Leben wirken als Puffer und Ausgleich fürs Mangelerleben. Besteht noch immer ein Mangel, so kann der gereifte Erwachsene ihn (sich selbst eine bessere Mutter oder aber ein besserer Vater seiend) prinzipiell ausgleichen, indem er seine Bedürfnisse ernst nimmt. Der beste Abschluss gelingt demjenigen, der zudem loslässt und „vergibt“. Eltern sind gleichermaßen Kinder (schwieriger Eltern), geprägt und oftmals hilflos in ihrem Erleben. Warum sollten also gerade sie perfekt sein können?

Dieses therapeutische Vergeben entlastet uns Kinder und macht uns freier, meint die Autorin. Denn durch die abgelegte kindliche Erwartungshaltung begegnen wir unseren Eltern als Erwachsene auf gleicher Augenhöhe. Diese Individuation ist für Nuber ein entscheidender Schritt hin zum glückenden Erwachsenenleben. Und gleichsam der Schlusspunkt dieses Buches.

Das ist nun von diesem Buch zu halten? Nur ein weiteres Bändchen im unüberschaubaren Dschungel der Selbsthilfeliteratur? Das uns letztlich nur vorgaukelt, die Selbsterlösung sei ja ach so leicht und liege in Jedermanns Vermögen? Oder bietet Ursula Nuber mehr? Ja – sie bietet mehr – allein schon durch die Nichterfolgsgeschichten à la Schneider und Jackson. Diese tragischen Figuren werden nicht kühl mit „selbst schuld“ gebrandmarkt. Auch weiß Nuber nicht immer alles besser, dafür aber, dass der Weg, den sie anschaulich und durchaus sinnvoll aufeinander abgestimmt vorstellt, nicht immer leicht ist. Dass er unterstützender therapeutischer Hilfestellung bedürfen kann. Dass selbst dann noch lange festgefahrene Muster wiederkehren können. All das nimmt positiv für die engagierte Autorin ein. Sie weiß viel, ist aber keine Besserwisserin, formuliert klar und gibt eine Vielzahl guter Hinweise. Dabei bedient sie sich bei Urvätern ihres Fachs genauso wie bei der neuesten Forschung – und gibt diese (zumindest namentlich) auch an.

Fazit: Leicht lesbar und durchaus plausibel hat Nuber auf 230 Seiten ihre Sicht zum Thema Überwinden der Kindheit vermittelt. Ob ihre Thesen nun tatsächlich auch Gültigkeit besitzen, kann jeder Leser letztlich nur für sich selbst prüfen.

Literaturangabe:

NUBER, URSULA: Lass die Kindheit hinter dir. Das Leben endlich selbst gestalten. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2010. 240 S., 19,90 €.

Weblink:

Campus Verlag


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