MÜNCHEN (BLK) – Im August 2009 wurde das Buch „Ein Palast auf Reisen“ von Charif Majdalani vom Knaus Verlag herausgegeben.
Klappentext: Poesie, fantastisch anmutende Begebenheiten und feine Ironie durchziehen nach dem erfolgreichen Debüt „Das Haus in den Orangengärten“ auch den neuen Roman des libanesischen Erzählers Charif Majdalani. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlässt der junge Libanese Ayyad seine Heimat, um in der Welt sein Glück zu suchen. Im Sudan steigt er zum Vertrauten eines britischen Offiziers auf, der ihn als Kundschafter zu den rebellierenden afrikanischen Stammesfürsten schickt. Eines Tages stößt Ayyad auf eine Karawane, die mit einem in seine Einzelteile zerlegten arabischen Palast durch die Wüste zieht, auf der Suche nach einem Käufer. Ayyad schließt sich der Karawane an, um als Händler getarnt die Aufständischen auszukundschaften. Monate vergehen, doch niemand will den prächtigen Serail haben. Schließlich kauft Ayyad mit dem ihm anvertrauten Gold der Briten selbst den Palast und kehrt nach Beirut zurück, wo er beim Einzug in die Stadt seiner großen Liebe begegnet ... Charif Majdalani hat einen orientalisch-märchenhaften Abenteuerroman geschrieben, der den Leser verzaubert und ihn in eine geheimnisvolle Welt entführt.
Charif Majdalani wurde 1960 im Libanon geboren. Er studierte in Frankreich und lehrt heute als Professor an der Universität von Beirut. Majdalanis Debütroman „Das Haus in den Orangengärten“ hat außerordentliche Kritiken erhalten und wurde für die wichtigsten französischen Literaturpreise nominiert. (ros)
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Das ist eine Geschichte der Ritte unter großen, im Winde flatternden Bannern, voller Irrungen und Wirrungen, voller blutiger Feldzüge, sagt er sich - und denkt daran, dass dies der erste Satz in dem Buch über sein Leben sein könnte, das er nie schreiben wird. Aber schon lenkt ihn das Tacktack der Wasserräder am Kanal ab. Er richtet sich in seinem Korbsessel auf und genießt von der Terrasse aus die Stille: ein Geschenk, das die Wüste in ihrer paradoxen Freigebigkeit über die Pflanzungen, die dunkeln Schatten der Pflaumenbäume, der Aprikosenbäume, über die Melonenfelder ausbreitet - eine Stille, die seit Tausenden von Jahren nur vom gemächlichen, trockenen Rhythmus des Tacktack der Wasserräder unterbrochen wird. Möglicherweise, sage ich mir, gibt es gar keine Aprikosenbäume, auch keine Melonenfelder, sondern nur die Wüste, die man im Hintergrund auf dem Foto erahnen kann, auf diesem uralten Foto, auf dem man ihn in einem Korbsessel sitzen sieht, Zigarre rauchend, in Hosen mit Hosenträgern, ein Bein über das andere geschlagen, mit in die Ferne schweifendem, nachdenklichem Blick, mit gezwirbeltem Schnurrbart und zerzaustem Haar; Stirn und Kinn erinnern an William Faulkner. Es ist eine der wenigen Fotografien von ihm aus jener heroischen Zeit, und ich stelle mir vor, dass sie ihn in Khirbet el-Harik zeigt, vermutlich, als er gerade aus Arabien eingetroffen war. Doch ich bin mir nicht ganz sicher. Wie könnte ich mir im Übrigen sicher sein, wo doch alles, was in dieser Zeit mit ihm zusammenhängt, in das Reich der Mythen, der Übertreibung oder der Fantasie gehört? Wenn ich mir aber nicht sicher bin, wie kann ich dann seine Geschichte erzählen? Wo soll ich dieses Sultanat von Safa suchen, das dem Gedächtnis der Menschen entschwunden ist, in seiner Erinnerung jedoch haften blieb? Wie soll ich mir dieses wogende Heer unter im Wind flatternden Bannern vorstellen, diese Stämme Arabiens und ihre Paläste, die auf Kamelrücken getragen wurden? Wie soll ich alle diese Einzelheiten ohne Anfang und Ende zum Leben erwecken, wie sie miteinander verknüpfen, da ich sie doch ungewissen Überlieferungen oder den ungenauen Berichten meiner Mutter entnehme? Die hat sie von ihm, von ihrem Vater, den sie aber nie dazu brachte, sie zu erklären oder die diffusen Bruchstücke mit etwas Greifbarem zu verbinden. So kamen sie mir wie wirre, zusammenhanglose Teile verrückter Hirngespinste oder endloser romanesker Strickmuster vor, wie eine Geschichte, von der nur die Kapitelüberschriften übrig geblieben sind, die ich aber seit Jahrzehnten erzählen will. Wozu ich nun bereit bin, zögernd, ungenügend gerüstet, immer wieder abschweifend, während ich ihn mir gerade noch gedankenverloren auf seiner Terrasse in Khirbet el-Harik vorstelle, wie er in seiner Erinnerung vorbeiziehen lässt, was ich nicht sehen kann, aber zu erfinden gezwungen sein werde. Zu Beginn unterscheidet sich seine Geschichte dennoch kaum von denen all jener libanesischen Emigranten, die zwischen 1880 und 1930 ihr Geburtsland verließen, um irgendwo auf der Welt eine Arbeit zu suchen und Ruhm oder Reichtum zu finden. Wenn manche von ihnen mit Handel und Geschäften Erfolg hatten, so hinterließen andere Erinnerungen an größere Abenteuer, wie jene, die den Orinoko herunterfuhren, um ihre Zivilisationsprodukte an Völker zu verkaufen, die bis dahin unbekannt waren; oder jene Helden unglaublicher Odysseen in die entlegensten Gebiete Sibiriens während des russischen Bürgerkriegs. Er war einer von denen, die schließlich zurückkehrten, Herz und Kopf voller abenteuerlicher und verrückter Erinnerungen. Der Überlieferung nach verließ er den Libanon 1908 oder 1909. Er hätte in die Vereinigten Staaten oder nach Brasilien gehen können, wie die meisten anderen, nach Haiti oder Guyana, wie die Mutigeren, nach Sansibar, auf die Philippinen oder nach Malabar, wie die Originelleren oder wie jene, die davon träumten, mit außergewöhnlichen oder noch unbekannten Geschäften ihr Glück zu machen.
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Literaturangabe:
MAJDALANI, CHARIF: Ein Palast auf Reisen. Knaus Verlag, München 2009. 208 S., 17,95 €.
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