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Ostdeutsche Rock-Legende

Die Biographie „Tamara Danz“ von Alexander Osang

© Die Berliner Literaturkritik, 25.03.09

 

BERLIN (BLK) – Im Juni 2008 ist im Ch. Links Verlag das Buch „Tamara Linz“ von Alexander Osang erschienen.

Klappentext: Tamara Danz, die früh verstorbene Rock-Sängerin der Gruppe „Silly“, wird bis heute verehrt: Zu ihrem zehnten Todestag 2006 wurde in Berlin eine Straße nach ihr benannt. Zugleich ranken sich um ihr bewegtes Leben in der DDR und ihr Engagement in der Zeit des politischen Umbruchs viele Legenden.
Alexander Osang, der das letzte Interview mit ihr führte, ist der Frage nachgegangen, wer diese Frau eigentlich war, was sie in den Köpfen ihrer Freunde und Feinde hinterlassen hat. Dazu sprach er mit Liebhabern und Rivalinnen, mit Managern und Politikern, mit Kollegen und Ärzten. Entstanden ist ein facettenreiches Porträt, das ergänzt wird durch einfühlsame Fotos von Ute Mahler.

Alexander Osang: Jahrgang 1962, Studium der Journalistik in Leipzig, Wirtschaftsredakteur, später Chefreporter der Berliner Zeitung, 1999–2006 Reporter für Spiegel und Berliner Zeitung in New York, 1993, 1999, 2001 Egon-Erwin-Kisch-Preis, 1995 Theodor-Wolff-Preis, Roman: „Die Nachrichten“, Frankfurt/Main, 2000. (jud)

 

Leseprobe:

© Ch. Links Verlag ©

Es war noch kühl in Kanada. Aber der Himmel war hellblau, die Baumspitzen bewegten sich kaum, es waren nur wenige Autos unterwegs, es war morgens, und der Expressway 55 lag hell, weit und unbefleckt vor uns ausgerollt. Es sah nach einem Tag aus, der uns mit Amerika versöhnen könnte. Und den hatten wir auch nötig.

Gestern abend hatten wir den Nordosten von New York State stundenlang nach einem brauchbaren Motel abgesucht. Wir hatten ein paar verqualmte, sündhaft teure Kaschemmen inspiziert, hinter deren Tresen verwegene Gestalten mit Alkoholfahnen und krank aussehenden Hunden lauerten. Wir waren weitergefahren, durch eine windige, kalte Einöde, die kein Ende hatte. So lange, bis wir uns zu den Kaschemmen zurückgesehnt hatten, weil in ihnen wenigstens Betten standen. Irgendwann hatten wir nördlich eines Kaffs mit dem Namen Plattsburgh ein teures, aber sauberes „Super-8“-Motel gefunden. Der Pool war winzig gewesen, aber auf dem Parkplatz standen ein paar Bänke. Wir hatten zwei Zimmer genommen und im nächsten Supermarkt Dosenbier und Sandwiches gekauft. Als wir zurückkamen, war es dunkel, und die Bänke auf unserem Parkplatz wurden von Tausenden Moskitos umschwirrt. Wir hatten das Bier auf unseren Zimmern getrunken. Anschließend war ich raus auf den Parkplatz gegangen und hatte zwischen den aggressiven Moskitos eine hastige Zigarette geraucht.

In der Nacht träumte ich, daß Tamara Danz versucht hatte, mich anzurufen. Wegen des Interviews, das wir gerade geführt hatten. Ich hatte es ihr zum Autorisieren gebracht, aber sie hatte es nicht lesen können, weil sie zu erschöpft war. Jetzt hatte sie es gelesen. Sie hatte versucht, mich anzurufen. Immer wieder. Sie wollte noch mal über bestimmte Dinge reden. Sie wollte Sachen geraderücken. Erklären. Aber sie hatte mich nicht erreicht. Ich war ja weit weg. In Amerika. Sie war immer schwächer geworden. Und dann war sie gestorben.

Am Morgen hatten wir den dünnen Motelkaffee aus Styroporbechern geschlürft und dazu ein paar trockene, klebrige und eingeschweißte Doughnuts gegessen. Die kanadischen Grenzbeamten hatten mit starkem französischem Akzent eigenartige Fragen gestellt, uns aber schließlich in ihr Land gelassen.

Nun rollten wir auf einen sonnigen Parkplatz zu, der sich etwa fünf Meilen hinter der Grenze befand. Auf dem Parkplatz stand eine dieser praktischen Informationsbaracken, in denen man sich mit kostenlosem Kartenmaterial und Prospekten eindecken kann. Amerika hatte ja auch seine guten Seiten.

Vor den Toiletten der Baracke hingen zwei Telefone, die VISA-Karten akzeptierten. In Berlin war jetzt Nachmittag.

Ich könnte eigentlich mal in der Redaktion meiner Zeitung anrufen. Ich könnte fragen, ob Tamara Danz inzwischen das Gespräch autorisiert hat, das wir vor ein paar Wochen geführt hatten. Ich könnte, aber ich mußte nicht. Ich wollte auch gar nicht. Ich wollte es nicht wissen. Ich hatte ja Urlaub. Niemand zwang mich.

Ich schob die VISA-Karte in den Automaten und tippte die lange Nummer ein. Ich dachte an meinen Traum.

„Hallo“, sagte ich in das Klicken, das bei den Amerika-Telefongesprächen unsere ersten Worte schluckt.

„Alex?“ fragte mein Kollege.

„Ja.“

„Wo bist du?“

Ich erklärte ihm in ein paar Sätzen unsere Reiseroute, dann redeten wir übers Wetter, bis ich möglichst beiläufig fragte, was ich wissen wollte.

„Hat Tamara das Interview autorisiert?“

„Nein“, sagte er. „Sie ist vor drei Tagen gestorben.“

Auch er hatte so beiläufig wie möglich sein wollen. Weil er aber in diesen Dingen keine Erfahrung hatte, war er zu weit gegangen, und es hatte beinahe fröhlich geklungen. Er hatte die Nachricht fast gesungen.

„Oh, Scheiße“, sagte ich.

„Ja“, sagte er.

Und weil einen Moment lang nicht klar war, ob sich das auf das nun nicht mehr zu autorisierende Interview bezog, sagte er noch: „Aber wir haben euer Gespräch gestern gedruckt. Hassbecker und Barton waren hier, haben es gelesen und genehmigt.“

Wir redeten noch ein bißchen darüber, in welchem Teil der Zeitung es gestanden hatte, in welcher Länge, mit welchen Fotos, wo es gekürzt werden mußte und welche Reaktionen es ausgelöst hatte. Zeitungszeugs. Ich war dankbar dafür, weil es mich vom eigentlichen Fakt, dem Tod von Tamara Danz, ablenkte. Und auch von der Tatsache, daß sie nicht in der Nacht gestorben war, in der ich es geträumt hatte. Sondern in einer Nacht, in der ich, soweit ich mich erinnerte, vorzüglich geschlafen hatte. Ich hatte zu spät von ihrem Tod geträumt.

„Hat sie noch was zu dem Gespräch gesagt?“ fragte ich zum Schluß.

„Nee“, sagte mein Kollege. „Soweit ich weiß, hat sie es nicht mehr lesen können.“

Bevor ich auflegte, sagte mir mein Kollege noch, wann und wo die Beerdigung stattfinden würde.

Draußen in der Sonne saßen meine Frau und mein Sohn zusammen mit meinem Freund, dessen Frau und Tochter auf einem Stückchen Rasen vor dem Touristeninformationshäuschen der Provinz Quebec. Hundert Meter weiter surrten die Autos über die Interstate. Von Norden nach Süden. Und umgekehrt. Erst jetzt merkte ich, daß ich weiche Knie hatte. Es würde doch kein schöner Tag werden.

Ich sagte ihnen schnell, daß Tamara gestorben ist.

„Wann?“

„Vor drei Tagen.“

„An Krebs, ja?“

„Ich denke ja.“

„Naja, hat sie es wenigstens hinter sich.“

»Ja.«

Wie sollten sie auch reagieren? Sie hatten nie mit Tamara zu tun gehabt. Aber was hatte ich eigentlich mit ihr zu tun gehabt?

Ich setzte mich zu den anderen auf das kleine Rasenstück, wir tauschten die ohnmächtigen Floskeln der Überlebenden aus, während vor meinen Augen Bilder einer kurzen Beziehung abliefen.

Zu DDR-Zeiten war ich nie ein großer Silly-Fan gewesen. Ich hatte nur einmal ein Konzert der Band besucht, ich besaß keine Platte. Ich fand die Gruppe in ihren frühen Jahren, als sie sich noch Familie Silly nannte, albern. So albern wie die langen Ringelstrümpfe der Sängerin und den Partyerfolg »Ich bin der letzte Kunde«. Sie versuchten es mit Funk, sie versuchten es mit Klamauk, und anschließend versuchten sie es mit anspruchsvollen Texten.

Wahrscheinlich glaubte ich ihnen nicht.

Ich traute der Sängerin nicht. Sie spielte mir was vor. Tamara Danz sah manchmal arrogant aus, manchmal vulgär und oft kalt. Ihr Schreien und ihr Wimmern paßten nicht zu diesem Gesicht. Sie schien es für ihre Lieder von irgendwoher abzurufen wie aus einem Tonarchiv. Sie wirkte künstlich. Puppenhaft. Alles an der Band wirkte auf mich künstlich und kühl. Das Lachen der Sängerin, die bunte, schreiende Garderobe, die flirrende Musik, die immer zweitrangig schien. Vor allem aber die lakonischen, kalten Texte, die gesellschaftliche und persönliche Verhältnisse zerschnitten, zerlegten, sezierten. Eine Lyrik aus dem Labor.

Sie traf sicher den Kern, aber sie traf mich nicht in den Bauch. Ich hatte nie Lust zu tanzen, wenn ich einen Silly-Song hörte.

Komischerweise besuchte ich nach der Wende ausgerechnet Tamara Danz, um herauszufinden, was aus dem Ost-Rock geworden war. Wahrscheinlich, weil sie in zwischen ein Exempel war, mehr als eine Rocklady.

Das lag daran, daß sie schneller, schnoddriger und unverbindlicher war als die meisten von uns. Sie schien immer schon dazusein. Sie hatte vor der Wende unkonventionelle Sachen gesagt und gesungen. Sie hatte in der Wendezeit Resolutionen ausgearbeitet und verlesen. Sie hatte nach der Wende als eine der ersten vor einer schnellen Vereinigung gewarnt. Immer schien es aus dem Bauch zu kommen. Tamara Danz verfügte über einen guten politischen Instinkt.

So hielt sie sich in der Nachwendezeit mehr in Talkshows auf als auf der Bühne. Sie stand immer für irgend etwas. Sie war Frau, Ostlerin, Musikerin, Berlinerin, Revolutionärin, und sie hatte hochstehende gefärbte Haare. Sie war der ideale Talkshow-Gast. Sie war die Folie. Sie war das Beispiel. Sie war so, wie der Westen sich den aufmüpfigen Osten vorstellen wollte. Und sie war, wie der Osten sich selbst gern gesehen hätte.

Sie kritisierte die ostdeutschen Politiker und wirkte, als hätte sie auch keine Probleme damit, Helmut Kohl ins Gemächt zu treten.

Sie kannte den Osten, sie war ihm immer ein Stück voraus. In der Nachwendezeit holte er sie ein. Sie hat es nicht gemerkt. Ihr politischer Instinkt hatte sie verlassen.

Als ich im Herbst 1991 zum erstenmal vor Tamara Danz’ Tür stand, wußte ich das noch nicht. Ich merkte nur, daß ich Angst vor ihr hatte. Angst vor ihrer Unberechenbarkeit. Angst vor ihrer Lautheit. Angst vor ihren Launen. Angst davor, nicht ernst genommen zu werden. Angst davor, daß sie mich lächerlich machte. Ich hatte Angst vor ihrem öffentlichen Bild in meinem Kopf.

Wir verbrachten einen angenehmen Nachmittag in ihrer Wohnung am Gendarmenmarkt. Wir tranken Bier, rauchten, hörten neue Silly-Songs, und Tamara Danz gewährte mir ein paar kurze Blicke hinter ihre Fassade. Als wir über Kinder sprachen und über die Schwierigkeiten eines Rockmusikers, alt zu werden. Am Abend wußte ich immer noch nicht, wer sie war, hatte aber zumindest den Eindruck, dass Tamara Danz die Arrogante, die Vulgäre, die Kalte wirklich nur spielte.

Ich wußte nicht, warum. Vielleicht hatte sie Angst.

In jedem Fall war sie mir nähergekommen.

Ich kaufte mir die Silly-Platten – alle bis auf die erste, die wirklich bescheuert ist –, und ich mochte sie. Sie trafen mich immer noch nicht ins Herz, aber ich fühlte, daß sie wahr waren. Und ich fühlte, wie Tamara Danz mit ihrer Stimme diese Wahrheiten suchte. In Liedern wie »Über ihr taute das Eis« oder »So ’ne kleine Frau« fand sie sie auch.

Ich habe danach noch ein paarmal mit Tamara telefoniert, ein paarmal haben wir uns zufällig getroffen. Ich habe mich immer gefreut, wenn ich sie sah. Einmal rief sie mich von ihrer Freundin Angelika Weiz aus an, um mir zwei Sätze über Gerhard Gundermann zu erzählen, der gerade als IM enttarnt worden war, und vier über den Fisch, den sie gerade kochten. Im Hintergrund hörte man Angelika Weiz lachen. 1994, in der Nacht nach der Bundestagswahl, hat sie mir morgens um vier im Restaurant des Karl-Liebknecht-Hauses, wo ich seit Stunden Skat spielte, den Nacken massiert. Das letztemal sah ich sie auf einer Veranstaltung mit dem ehemaligen ORB-Starmoderator Bertram im Deutschen Historischen Museum. Das war im Sommer 1995, und Tamara hatte den Krebs schon im Leib. Ein paar Tage später erfuhr sie es auch.

© Ch. Links Verlag ©

Literaturangaben:
OSANG, ALEXANDER: Tamara Danz. Legenden. Ch. Links Verlag, Berlin 2008. 200 S., mit 75 s/w-Abbildungen. 19,90 €.

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