München (BLK) – Im August 2009 ist Maxim Leos Buch „Haltet euer Herz bereit“ im Blessing Verlag erschienen.
Klappentext: In Maxim Leos Familie konzentrierte sich vieles, was in diesem Land einmal wichtig war: Die Hoffnung und der Glaube der Gründerväter. Die Enttäuschung und das Lavieren ihrer Kinder, die den Traum vom Sozialismus nicht einfach so teilen wollten. Und die Erleichterung der Enkel, als es endlich vorbei war. In dieser Familie wurden im Kleinen die Kämpfe ausgetragen, die im Großen nicht stattfinden durften. Hier traf die Ideologie mit dem Leben zusammen. Denn die Überzeugungen waren stark und sie wurden geprägt von einer starken Persönlichkeit, Großvater Leo: Résistance-Kämpfer, Spion, Journalist und Gründervater des antifaschistischen Staates. Widerspruch war entweder zwecklos oder führte zu Zerwürfnissen. Maxims kritischer Vater Wolf, ein radikaler Künstler und Freigeist, liebt Gerhards Tochter Anne trotz ihrer Staatstreue. Und Sohn Maxim steht dazwischen und muss einsehen, dass es gegen „revolutionäre“ Eltern kein jugendliches Aufbegehren geben kann. Bis es das Land, das sie aufgebaut und für das sie gekämpft hatten, plötzlich nicht mehr gab und ihr Lebenssinn – im Guten wie im Schlechten – verschwand.
Maxim Leo wurde 1970 in Ostberlin geboren; er studierte Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin und am Institut d’Etudes Politiques de Paris. Von 1995 bis 1996 war er Nachrichtenredakteur bei RTL. Seit 1997 ist er Redakteur der „Berliner Zeitung“, seit 2001 im Ressort „Seite Drei“. 2002 war er nominiert für den Egon-Erwin-Kisch- Preis, 2002 erhielt er den Deutsch-Französischen Journalistenpreis, 2006 wurde er ausgezeichnet mit dem Theodor-Wolf-Preis. Mit seinem Kollegen Jochen-Martin Gutsch hat Maxim Leo 2005 „Single. Family – Zwei Männer. Zwei Welten. 66 wahre Geschichten“ veröffentlicht. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.
Leseprobe:
©Karl Blessing Verlag©
1. Der Laden
In meiner Familie bin ich der Spießer. Das liegt vor allem daran, dass meine Eltern nie Spießer waren. Als ich zehn war, ist mein Vater mit abwechselnd grün oder blau gefärbten Haaren und einer selbst bemalten Lederjacke rum gelaufen. Er hat gebellt, wenn er kleine Kinder oder schöne Frauen auf der Straße sah. Meine Mutter trug am liebsten eine sowjetische Fliegerkappe und einen Mantel, den mein Vater mit schwarzer Tusche besprüht hatte. Die beiden sahen immer so aus, als wären sie gerade von irgendeiner Theaterbühne herunter gestiegen und nur kurz zu Besuch im richtigen Leben. Meine Kumpels fanden meine Eltern lässig und hielten mich für einen glücklichen Menschen. Aber ich fand sie peinlich und wünschte mir nichts mehr, als dass sie eines Tages so normal sein könnten, wie all die anderen Eltern, die ich kannte. Am liebsten so, wie die von Sven, meinem besten Freund. Svens Vater hatte eine Glatze und einen kleinen Bauch, Sven durfte ihn Papa nennen und mit ihm zusammen am Wochenende das Auto waschen. Mein Vater hieß nicht Papa sondern Wolf. Meine Mutter sollte ich Anne nennen, obwohl sie eigentlich Annette heißt. Unser Auto, ein grauer Trabant, wurde nie gewaschen, weil Wolf fand, es mache keinen Sinn, ein graues Auto zu putzen. Außerdem hatte er gelb-schwarze Kreise auf die Kotflügel gemalt, damit man uns schon von weitem sehen konnte. Manche Leute dachten, es wäre ein Blindenauto.
Svens Eltern hatten einen Farbfernseher, eine Polstergarnitur und eine Schrankwand. Bei uns im Wohnzimmer standen nur Bücherregale und eine Sitzecke, die Wolf aus Teilen einer barocken Schlafzimmergarnitur zusammengeschraubt hatte. Man saß dort ziemlich hart, weil Wolf meinte, man müsse es nicht gemütlich haben, wenn man sich etwas zu sagen hat.
Ich erinnere mich daran, dass ich einmal einen Plan unserer Wohnung gezeichnet habe, so wie ich sie gerne gehabt hätte. Eine Wohnung mit Polstergarnitur, Farbfernseher und Schrankwand. Wolf hat mich ausgelacht, als er das gesehen hat, weil die Polizistenfamilie, die vorher in der Wohnung gelebt hatte, genau so eingerichtet war, wie auf meinem Plan. Er erklärte mir, es sei dumm und manchmal sogar gefährlich, immer das zu machen, was alle machen, weil man sonst ja gar nicht selbst leben muss. Ich weiß nicht, ob ich damals verstanden habe, was er damit meinte.
Jedenfalls hatte ich von Anfang an gar keine andere Wahl, als ein vernünftiger, ordentlicher Mensch zu werden. Mit vierzehn bügelte ich meine Hemden, mit siebzehn trug ich ein Jackett und versuchte hochdeutsch zu sprechen. Das war die einzig mögliche Form, gegen meine Eltern aufzubegehren. Sie sind daran schuld, dass ich ein braver, gut angezogener Revolutionär geworden bin. Mit vierundzwanzig hatte ich meinen ersten Job, mit achtundzwanzig war ich verheiratet, mit dreißig kam das erste Kind. Mit zweiunddreißig die Eigentumswohnung. Ich bin ein Mann, der früh erwachsen werden musste.
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Literaturangabe:
LEO, MAXIM: Haltet euer Herz bereit. Eine ostdeutsche Familiengeschichte. Blessing Verlag, München 2009. 272 S., 19,95 €.
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