Die Monographie „Otto Dix: Lebenskunst“ liefert einen fundierten Überblick über Leben, Werk und Einfluss des deutschen Malers und Grafikers Otto Dix (1891-1969). Der lesenswerte Einführungsband von Philipp Gutbrod, der in Heidelberg promovierte und mittlerweile Geschäftsführer des Auktionshauses Villa Grisebach in New York ist, besticht mit hochwertiger Aufmachung, ist jedoch nicht ganz frei von gestalterischen Mängeln.
„Ich bin eben ein Wirklichkeitsmensch. Alles muß ich sehen. Alle Untiefen des Lebens muß ich selber erleben.“ So beginnt bereits das Vorwort mit einem charakteristischen Dix-Zitat aus dem Jahr 1963. Spätestens am Ende der Lektüre versteht man, wovon Dix spricht—von den politischen Wirren und künstlerischen Strömungen des 20. Jahrhunderts, an denen er hautnah beteiligt war. Sei es als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg, als Provokateur der DADA-Bewegung oder als „entarteter“ Künstler in der inneren Emigration—Dix war dabei, wollte der Wirklichkeit ins Auge sehen und sie auf seine Weise, immer dem schärfsten Realismus verpflichtet, darstellen. An diesem Grundsatz festzuhalten, ist jedoch eine Kunst für sich, wie auch das Leben eine Kunst ist, insbesondere wenn es der Kunst geweiht ist.
Da Dix von jeglichen Erklärungen und Theorien zu seinem Werk Abstand genommen hat, ist es nicht einfach, auf seine genauen Motivationen und Intentionen zu schließen—also gilt es, Dix zu erforschen. Dabei stößt man auf ein einzigartiges Lebenswerk, das stilistisch und thematisch breit gefächert ist. Zum Verständnis dieses Werkes ist es unerlässlich, den Werdegang des Künstlers und die bestimmenden zeithistorischen Impulse zu betrachten.
Im Jahr 1912 entstand Dix’ frühes Hauptwerk „Selbstbildnis mit Nelke“. Inspiriert von den Künstlern der Renaissance malte er sich in altmeisterlicher Mischtechnik. Obwohl er ernst und selbstbewusst blickt, nimmt er die Haltung des an der Welt leidenden Künstlers ein. Bereits hier lässt sich erkennen, dass genaues Sehen und Abbilden der Realität für Dix’ Arbeit von zentraler Bedeutung werden sollten. Betrachtet man das „Selbstbildnis mit Nelke“ genauer, kann man darin schon Anklänge der Neuen Sachlichkeit vernehmen—und das mehr als ein Jahrzehnt vor der bedeutenden Ausstellung in Mannheim, die der Neuen Sachlichkeit ihren Namen gab. Im Rückblick betonte Dix, dass er schon vor dem Ersten Weltkrieg sachlich gemalt habe. Sein Ausruf „Die Neue Sachlichkeit—das habe ich erfunden!“ scheint heute beim Betrachten seines Frühwerks nicht unberechtigt.
Mit Besuchen in Dresdner Avantgardegalerien, wie die von Emil Richter und Ernst Arnold, erhielt Dix bald starke antiakademische Impulse. Zudem übte der Philosoph Friedrich Nietzsche großen geistigen Einfluss auf ihn aus—bezeichnenderweise ist Dix’ einziges plastisches Werk eine verschollene Nietzsche-Gipsbüste aus dem Jahr 1914. In dieser Zeit wandelte sich seine Malweise vom Spätimpressionismus zum Expressionismus. Dann brach der Erste Weltkrieg aus und Dix, begierig auf Abenteuer und „Naturereignisse“, ging freiwillig an die Front. Der Krieg war für ihn eine produktive Zeit und die Kriegserlebnisse wurden grundlegend für eine ganze Reihe von Werken, die während seines Schaffensrausches in der Weimarer Republik entstanden, wie z. B. sein Hauptwerk „Schützengraben“ (1923), eine eindrucksvolle Darstellung menschlicher Kriegsüberreste, und die 1924 erschienene Grafikmappe „Krieg“. Die Motive des Krieges tauchen in Dix’ Werk immer wieder auf, sei es als Aufruf zur Opposition in dem Triptychon „Der Krieg“ (1929-32) oder als pazifistische Mahnung in dem Wandgemälde „Krieg und Frieden“ (1960).
Als Dix 1919 nach Dresden zurückkehrte, gründete er gemeinsam mit dem Maler Conrad Felixmüller die linksorientierte Künstlergruppe „Dresdner Sezession—Gruppe 1919“. Durch seine proletarische Herkunft stand Dix der Arbeiterbewegung zwar nahe, trat jedoch nicht in die Kommunistische Partei ein. Grund hierfür war seine freiheitsliebende, fast anarchistische Gesinnung, welche einer Ein- oder Unterordnung in eine Partei entgegenstand. Wahrscheinlich verhält es sich hier wie mit den verweigerten Stellungnahmen zur Kunst. So scheint Dix politische Ideologien oder durchformulierte theoretische Programme—ganz im Geiste Nietzsches—als Hindernisse bewusster Wahrheitsfindung angesehen zu haben.
In Berlin kam Dix 1920 mit der Dadaisten-Bewegung in Kontakt. Insbesondere die Begegnung mit George Grosz führte zu entscheidenden Veränderungen in seiner Kunst. Aus Dix wurde DADA-Dix. Die Technik der Collage löste bei ihm wilde Experimentierlust aus, schnell verinnerlichte er den neuen Stil. In Werken wie „Die Skatspieler“ (1920) kam eine satirische Note zum Vorschein. In den folgenden Jahren nahm Dix eine abgebrühte Pose ein—selbst durch die Kriegshölle gegangen, begegnete er sogar dem Leid der Kriegversehrten mit rauem Sarkasmus.
Dix’ ungehemmte Aggressivität wurde von Nietzsches attackierendem Ton und der kreativen Angriffslust der Futuristen gespeist und schließlich von der lärmenden Antibürgerlichkeit des Dadaismus auf ein neues Niveau gehoben. Fasziniert vom Sujet des sexuellen Rausches, der Offenlegung von Trieben und dem Kampf gegen Heuchelei, stellte er sich in einer Reihe sadistisch anmutender Werke selbst als Lustmörder dar. Es ging ihm dabei jedoch nicht um soziale Anklage oder plumpe Provokation, vielmehr identifizierte er sich mit denen, die am Rand der Gesellschaft lebten. Anzeigen wegen Verbreitung unzüchtiger Bilder waren keine Seltenheit.
Sein endgültiger Durchbruch zu einem der gefragtesten Maler der Weimarer Republik erfolgte um 1926. Erfolg bescherten ihm jedoch nicht seine kontroverseren Werke, sondern seine Portraitarbeiten. Sie waren es, die das Interesse der Museen und Sammler weckten und ihm finanzielle Absicherung verschafften. Eine ganz andere, ruhigere Seite zeigen die Portraits seiner Familie. Doch es gibt noch andere Seiten an Dix zu entdecken, wie seine Faszination für Amerika, Jazz, Tanz und Varieté. Sein belebtes Triptychon „Großstadt“ (1927/28) zeigt die polarisierte Gesellschaft der 1920er Jahre und bietet gleichzeitig ein aus den bevorzugten Themen Dix’ bestehendes Panoptikum seiner Kunst—sei es die bessere Gesellschaft beim Tanz auf der Mitteltafel oder die zu ihren Seiten postierten Huren und bettelnden Kriegskrüppel.
Auf die von den Nationalsozialisten initiierte Ausstellung „Entartete Kunst“ (1933) folgte die innere Emigration—der Rückzug auf das Land, das Malen von Natureindrücken in freierer Malweise: „Ich bin eben anonym durchgerutscht. Ich habe Landschaften gemalt—das war doch Emigration. Übrigens: Wie konnte man denn emigrieren, wenn man hier einen Stall voll Bilder hat?“ In seinen Arbeiten dominierten jetzt christliche Inhalte, wobei es ihm nicht um Bekehrung und spirituellen Missionseifer ging, sondern um freies Schöpfen aus einem riesigen Reservoir von Symbolen. Dix blieb am Bodensee, die Großstadt sah ihn trotz zahlreicher Ehrungen nicht wieder. Im Sommer 1969 erlitt er einen zweiten Schlaganfall, an dessen Folgen er kurz darauf in Singen am Hohentwiel starb.
Die Zielsetzung der Monographie ist den Worten Philipp Gutbrods zufolge, Zeitströmungen und weltliche Impulse aufzuzeigen, um so einen Überblick über den Künstler Otto Dix und sein Oeuvre zu geben. Indem Gutbrod die verschiedenen Stationen im Leben des Künstlers im zeitgeschichtlichen Kontext beleuchtet, liefert er einen gelungenen Einstieg für eine weitere Beschäftigung mit Otto Dix. Es bleibt jedoch unverständlich, weshalb der 20-seitige Bildteil in einen laufenden Text integriert wurde. Auch die unkonventionelle Anordnung der Bilder ist gewöhnungsbedürftig, auf diese Weise ergeben sich illustre Bild-Kombinationen wie aus dem verschollenen Werk „Schützengraben“ (1923) und dem „Bildnis der Tänzerin Anita Berber“ (1925). Positiv ist das Unterlassen von trivialer Ausleuchtung und die knappe Analyse einiger Schlüsselwerke Dix’. Insgesamt ist „Otto Dix: Lebenskunst“ eine verständliche und prägnant formulierte Einführung.
Von Carolin Beutel
Literaturangabe:
GUTBROD, PHILIPP: Otto Dix: Lebenskunst. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2009. 128 S., 24,80 €.
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