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Volksbühne in schwerer See

„Ozean“ uraufgeführt

© Die Berliner Literaturkritik, 13.11.09

Von Elke Vogel

BERLIN (BLK) - Vor 88 Jahren schrieb der deutsche Dichter Friedrich von Gagern sein Drama „Ozean“. Aufgeführt wurde es bis zum Donnerstagabend (12.11.) nie. Für die Wiedereröffnung der Berliner Volksbühne kramte Intendant Frank Castorf das schwer verdauliche Stück aus der Schublade - und geriet mit der Uraufführung von „Ozean“ prompt in schwere See.

Nach achtmonatiger Sanierung ist das Große Haus des Theaters am Rosa-Luxemburg-Platz wieder bespielbar. Für die Premiere wurde die Bestuhlung des Saales aber erst einmal wieder ausgebaut. Das Publikum wurde für den viereinhalb Stunden langen Theaterabend auf Seesäcken nachempfundenen Sitzkissen platziert. Von Gagerns (1882-1947) Werk spielt nämlich - nach der niedergeschlagenen deutschen Revolution von 1848/49 - im Zwischendeck eines Auswandererschiffes.

Castorf macht aus den Passagieren des Schiffes ein kurioses Panoptikum verirrter Seelen. Nach oft quälend langwierigen Monologen, ausufernden Schrei-Attacken der spärlich gezeichneten Figuren und den gewohnten Albernheiten von nackten Hintern bis vom Schnürboden stürzenden Wassermassen applaudierten die Zuschauer mit Sympathie für Darsteller und Regisseur - aber vor allem zufrieden, selbst durchgehalten zu haben.

Auf dem vom Untergang bedrohten Schiff drängen sich Barrikadenkämpfer und revolutionäre Theoretiker, schlesische Weber, Huren, Geistliche und Wissenschaftler. Ihr gemeinsames Ziel ist Amerika, wo die Gescheiterten ein neues Leben beginnen wollen. Als das Wasser an Bord ausgeht und eine Meuterei droht, brechen mitten auf dem Ozean alte und neue Konflikte auf. Es spielen unter anderem Max Hopp, Michael Schweighöfer, Anne Ratte-Polle, Horst Lebinsky, Silvia Rieger und Volker Spengler.

Weitgehend handlungsfrei schrammt die Inszenierung vorbei an allen großen Menschheitsthemen: Glaube und Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit, Revolution und Anpassung. Dabei bietet Castorf nicht einmal mehr Thesen-Theater, sondern eigentlich nur noch Zitate-Theater. Auf der bis auf ein paar die Schiffsplanken darstellenden Holzpaletten fast leergeräumten Bühne verhallen vor allem im ersten Teil des Abends viele Sätze bis zur Unhörbarkeit. Erschwerend kommt hinzu, dass einige Charaktere in kaum zu verstehenden Dialekten sprechen.

Die Erwartungen in Castorfs Eröffnungsinszenierung waren groß, hatte er sein Haus zuletzt doch in allzu beliebige und durchsichtige Gewässer gesteuert. Ob Castorf, der seit 16 Jahren Volksbühnen-Intendant ist, mit oder im „Ozean“ untergeht, das sei dahingestellt. Ein Befreiungsschlag sieht auf jeden Fall anders aus.


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