BERLIN (BLK) — Moritz Holfelders Buch „Palast der Republik. Aufstieg und Fall eines symbolischen Gebäudes“ wurde 2008 im Ch. Links Verlag veröffentlicht.
Klappentext: Der Palast der Republik im Zentrum Ost-Berlins entstand zwischen 1973 und 1976 in knapp drei Jahren, war dann14 Jahre in Nutzung, stand anschließend fast die gleiche Zeit leer und wird nunmehr abgerissen. Im Frühjahr 2009 soll er vollständig verschwunden sein und später durch das Humboldt-Forum, einen modernen Nachbau des Hohenzollern-Schlosses, ersetzt werden. Moritz Holfelder interessiert das seltsame Schicksal dieser „Wiedervereinigungsruine“, die ein Stück deutsch-deutscher Nachkriegsgeschichte spiegelt. Er beschreibt nicht nur die bewegte Bau-, Nutzungs- und Abrissgeschichte, sondern lässt auch die Beteiligten zu Wort kommen — vom Bauarbeiter der ersten Stunde über die Architekturkritikerin aus dem Westen bis zum Politiker der Wendezeit. Über 100 bisher noch nicht veröffentlichte Farbfotos lassen die Gesamtgeschichte noch einmal lebendig werden.
Moritz Holfelder: Jahrgang 1958, Studium der Kunstgeschichte, Publizistik und Germanistik in München, freier Kulturjournalist für Süddeutsche Zeitung, Bayerischer Rundfunk, Norddeutscher Rundfunk u. a., Spezialgebiete Architektur und Film, seit 2001 lebt er in München und Berlin, seit 2003 Berichterstattung über Abriss und Zwischennutzung des Palastes der Republik, 2007 Feature „Der unvermeidliche Abriss des Palazzo Prozzo“ (nominiert für den Prix Italia), zahlreiche Fotoarbeiten und Buchveröffentlichungen. (mül/köh)
Leseprobe:
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Der Palast der Republik im Zentrum Ost-Berlins wurde zwischen August 1973 und April 1976 in nur 32 Monaten gebaut, in einer ziemlich rekordverdächtigen Zeit für ein Bauwerk dieser Dimension und Qualität. Nach seiner festlichen Eröffnung erlebte er als Parlament der DDR (das politisch freilich keine Bedeutung hatte), vor allem aber als Haus des Volkes eine unglaubliche Erfolgsgeschichte: Jeder in der DDR kannte den Palast, fast jeder besuchte ihn. Dazu kamen viele Touristen und Gäste aus aller Welt, dem Osten wie dem Westen. Bis zu 3000 Kulturveranstaltungen fanden hier pro Jahr statt, manche davon staatstragend, andere schlicht unterhaltsam und einige durchaus von kritischem Geist durchsetzt. Immerhin — auch der Untergrund rieb sich am Palast. Alles in allem war er ein nicht zu übersehendes, symbolisches Gebäude für die Gesellschaft der DDR, egal, ob man nun dem totalitären System ablehnend gegenüber stand, sich mit ihm arrangiert hatte oder im radikalen Widerstand war gegen Fremdbestimmung, Überwachung und rigide Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte. Natürlich ist der Palast der Republik in seiner Einzigartigkeit bereits in einigen Publikationen (siehe Literaturverzeichnis) beschrieben worden, stilistisch, architekturgeschichtlich, städtebaulich und politisch.
Das vorliegende Buch möchte diese teils sehr ausführlichen und lesenswerten Ausführungen nicht wiederholen, sie allenfalls knapp rekapitulieren. Der Schwerpunkt dieses Buches liegt woanders. Es will exemplarisch das seltsame Schicksal eines umkämpften Gebäudes beschreiben, das nur gut 14 Jahre genutzt wurde und anschließend als bizarre Wiedervereinigungsruine mit asbestöser Aura über 15 Jahre lang leer stand, bevor es Stück für Stück gut drei Jahre lang abgetragen wurde. Ein einzigartiges Gebäude, das sich wie kein anderes eignet, die deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte bis ins neue Jahrtausend hinein zu spiegeln. Das politische Kontroversen auslöste, das als Projektionsfläche für Utopien und Visionen diente sowie Gegenstand vieler Erinnerungen bleiben wird. Daneben werden im zweiten Teil des Buches Menschen porträtiert, deren Lebenslinien sich mit dem Palast der Republik kreuzten — ob nun auf tragische und existentielle Art und Weise oder nur flüchtig und entfernt, deshalb aber nicht weniger aufschlussreich. Es ist der Blick auf Menschen, die die Bedeutung des Palastes und den politisch leichtfertigen Umgang mit ihm aus einer persönlichen Sicht schildern — vom Bauarbeiter der ersten Stunde über die Architekturkritikerin aus dem Westen bis zum Politiker der Wendezeit und dem Künstlerduo, das feinsinnliche Vergangenheitsforschung betreibt.
Der Palast der Republik hat das Zentrum Berlins zwischen Alexanderplatz und der Prachtstraße Unter den Linden rund 35 Jahre lang optisch geprägt — zuerst als „Palatzo di Protzo“, wie ihn Wolf Biermann in seiner Bibel-Ballade besang, und später über die lange Zeit von fast zwei Jahrzehnten als verfallender Riese und morbider Überrest eines auseinandergebrochenen Staates. Die vielen Fotos im Buch sollen den Palast schließlich in all seinen Widersprüchen visuell erfahrbar machen, seine Blüte genauso dokumentieren wie seinen stoischen Untergang, in dem er stille Größe gewann. Denn sein Verschwinden ist absolut: Mit dem Erscheinen dieses Buches wird der Palast vergangen sein, ein Gebäude, das Geschichte geschrieben hat, das einen lebenssatten Roman von Aufbruch und Absturz, von Teilung und Zusammenkommen erzählt. Dazu trägt in besonderem Maße der Standort bei, die zentrale Bühne des Geschehens, die über Jahrhunderte von verschiedenen Machthabern besetzt und andererseits von Menschen, die gegen die Macht aufbegehrten, genutzt wurde, um den eigenen Vorstellungen im wahrsten Sinne des Wortes einen Platz zu schaffen, um sich zu verorten. Dabei bewegte man sich von Beginn an auf schwierigem Boden, dem schwankenden Urgrund.
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Literaturangabe:
HOLFELDER, MORITZ: Palast der Republik. Aufstieg und Fall eines symbolischen Gebäudes. Ch. Links Verlag, Berlin 2008, 208 S., 29,90 €.
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